K.o. für den Pharao

Wir erleben einen welthistorischen Moment, angesichts dessen sich die Ereignisse in Tunesien, so unabdingbar sie für die ägyptische Revolution waren, wie eine Ouvertüre ausnehmen, schreibt Stefan Weidner in seinem Kommentar.

Hosni Mubarak; Foto: AP
Aus und vorbei: Noch am vergangenen Donnerstag hatte Mubarak erklärt, bis September 2011 im Amt bleiben zu wollen. Die Geschichte hat ihn nun über Nacht hinweggefegt.

​​ Die Ägypter haben uns inspiriert, sagte Obama in seiner Rede am vergangenen Freitag (11.2.). Man merkte ihm die Erleichterung an. Angesichts von Mubaraks Intransigenz musste man vermuten, die USA hätten entweder jeden Einfluss auf ihn verloren oder, schlimmer noch, sie nützten ihn nicht.

Seit jenem Freitag regiert jetzt das Militär in Form eines bislang mit drei Verlautbarungen hervorgetretenen "Hohen Rats der Streitkräfte", nicht jedoch der noch vor einer Woche als Hoffnungsträger gehandelte Vizepräsident Omar Sulaiman. Seine einzige Aufgabe bestand schließlich darin, zu verkünden, dass Mubarak doch zurückgetreten sei.

In Mubaraks Rede vom Donnerstag (10.2.) war von einem Rücktritt noch nicht die Rede, dafür aber sehr viel von seinen Leistungen. Dies führte zu einer solchen Wut unter den Demonstranten, dass die Lage zu explodieren drohte und die Armee gezwungen war, Mubaraks Rücktritt sozusagen erklären zu lassen.

Ein "Doktortitel in Sturheit"

Halten wir fest: Mubarak selbst hat seinen Rücktritt, jedenfalls vor der Öffentlichkeit, bis heute nicht verkündet. Dem "Doktortitel in Sturheit", mit dem er sich stets gebrüstet hat, ist er treu geblieben. Gestürzt hat ihn das Volk gemeinsam mit der Armee. Könnte ein ins Zivil geschlüpfter General ein aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat sein, wie manche Kommentatoren vermuteten?

Dagegen spricht, was der "Hohe Rat" in seiner dritten Verlautbarung verkündete: Die Übernahme der Macht durch die Armee sei vorübergehend, die einzige Legitimität liege beim Volk.

Ägypter schwenken nach dem Rücktritt Mubaraks Nationalfahnen in Kairo; Foto: dapd
Siegreiche Revolution vom 25. Januar: "Die Menschen fühlen sich, wenigstens diesen einen Kippmoment lang, auf genuine, seit langem nicht mehr verspürte Weise frei", schreibt Weidner.

​​Gleichwie die Zukunft aussehen wird: Das Gefühl des Erreichten, noch zu Anfang des Jahres für unmöglich Gehaltenen, ist nicht nur unter den Ägyptern überwältigend.

Wir erleben einen welthistorischen Moment, angesichts dessen sich die Ereignisse in Tunesien, so unabdingbar sie für die ägyptische Revolution waren, wie eine Ouvertüre ausnehmen. Wozu aber ist das neue Ägypten die Ouvertüre?

Panarabischer Stromstoß

Eine der ersten Empfindungen, die nahezu alle arabischen Kommentatoren in der Nacht von Freitag auf Samstag vernommen hatten, war ein panarabischer Stromstoß, wie er seit Gamal Abdel Nassers Triumph im Konflikt um den Suezkanal 1956 nicht mehr verspürt worden war. Tunesien grüßt Ägypten grüßt Jordanien grüßt den Libanon grüßt die Golfstaaten grüßt den Gazastreifen…

Der Panarabismus ist kein Panislamismus. Er hat nichts Missionarisches. Er gebiert Stolz und Selbstbewusstsein, aber keinen Fanatismus. Er hätte das Zeug, die arabischen Gesellschaften vor den Versuchungen des politischen Islams zu feien.

Proteste gegen Mubarak in kairo; Foto: dpa
Zeitenwende am Nil: Die bewundernswerte Friedfertigkeit der Proteste, das Ausbleiben fanatischer Töne und ideologischer Überwucherungen, sprechen für eine positive Prognose.

​​Für Europa dürfte das Aufleben des Panarabismus daher kaum ein Problem sein, wohl aber für Israel. Keine demokratische legitimierte Regierung in der arabischen Welt kann sich die Konzilianz gegenüber Israel leisten, welche autoritäre Regime wie in Saudi-Arabien, Jordanien oder Ägypten in den Augen des Westens so sehr ausgezeichnet hat.

Schon in der Nacht auf Samstag war unter den Stimmen auf den Straßen, die die Reporter überall in der arabischen Welt einfingen, davon die Rede, dass jetzt auch Palästina befreit werden müsse.

Marschallplan für die arabischen Demokratien

Wenn die Israelis klug sind, schließen sie mit den Palästinensern Frieden, solange die Ägypter noch mit sich selbst beschäftigt sind. Denn der Wind, der ihnen von jetzt an entgegenschlägt, kann nur rauer werden. Doch es muss nichts Schlechtes sein, wenn Israel aufgrund einer realistischen Einschätzung der geänderten Lage zu längst fälligen Konzessionen gegenüber den Palästinensern bereit wäre.

Die eigentliche Prüfung, die Bewährung in freien, demokratischen Verhältnissen, steht den Ägyptern und all jenen, die sich von ihnen inspirieren lassen, noch bevor. Die bewundernswerte Friedfertigkeit der Proteste, das Ausbleiben fanatischer Töne und ideologischer Überwucherungen, sprechen für eine positive Prognose.

Dagegen spricht die katastrophale wirtschaftliche Situation des Landes, die auch die gescheiteste Regierung nicht in wenigen Jahren so wird verbessern können, wie es für stabile Verhältnisse nötig wäre.

Deshalb ist jetzt der Westen gefragt. Mit einem Marschallplan für die jungen Demokratien der arabischen Welt können Europäer und Amerikaner beweisen, was ihnen die Stabilität im Nahen Osten wert ist.

Stefan Weidner

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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