Mali: Ein Schritt Richtung Demokratie, ein Schritt weg vom Westen

Nach dem Verfassungsreferendum und der Forderung nach dem sofortigen Abzug der UN-Stabilisierungsmission Minusma ist Malis Zukunft völlig offen. Von Bettina Rühl (epd)



Nairobi/Bamako. Die Militärregierung in Mali hat massiv für die Abstimmung geworben. Doch die Sicherheitslage machte es den Menschen schwer, am Sonntag an dem Referendum über eine neue Verfassung teilzunehmen. Vor allem in dem von Gewalt beherrschten Norden konnte es nicht überall stattfinden. Ergebnisse wurden für Dienstag erwartet.



Das Referendum gilt als wichtiger Schritt auf dem Weg zu Parlamentswahlen im kommenden Jahr - und damit zur Rückkehr zur Demokratie. Nach zwei Militärputschen 2020 und 2021 wird Mali von einer Militärregierung unter Oberst Assimi Goïta regiert. Der versprach vergangenes Jahr Wahlen im Februar 2024, um ein Ende von Sanktionen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas zu bewirken. Grundlage sollte eine vom Volk angenommene neue Verfassung sein.



Das nun zur Abstimmung vorgelegte Regelwerk stärkt die Befugnisse des Präsidenten: Er kann künftig den Premierminister sowie die Regierung ernennen oder entlassen und das Parlament auflösen. Außerdem wird Französisch von der Amtssprache zu einer «Arbeitssprache» herabgestuft, die nationalen Idiome werden zu Amtssprachen aufgewertet.



Um das gewünschte Ergebnis zu erlangen, ließ die Regierung Handynutzern täglich Textnachrichten auf ihre Telefone senden, darunter Aufforderungen wie: «Für ein souveränes Mali - Stimmen Sie mit Ja.» In einem TikTok-Video wird die Botschaft besonders deutlich: Staatschef Goïta und der französische Präsident Emmanuel Macron stehen auf einer Wippe. Macron stürzt hinunter, der russische Präsident Wladimir Putin schwebt aus der Luft herab, nimmt Macrons Platz ein und stabilisiert Goïta auf der schwankenden Wippe. Darunter die Aufforderung, bei dem Referendum mit «Ja» zu stimmen.



Die malische Militärregierung, die durch den Putsch vom Mai 2021 an die Macht kam, arbeitet seitdem eng mit Russland zusammen. Mit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich hat sie sich überworfen, das Verhältnis zu den UN ist angespannt. Ende vergangener Woche forderte Außenminister Abdoulaye Diop das sofortige Ende einer UN-Stabilisierungsmission Minusma, die seit 2013 im Land ist und an der auch die Bundeswehr noch bis Mai 2024 beteiligt ist.



An sich sei die Verfassung «relativ solide», sagt der Leiter des Büros der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako, Christian Klatt. Sie enthalte positive wie negative Aspekte. Zu den negativen zählt er den wachsenden Einfluss des Präsidenten. Positiv sei die größere Rolle traditioneller und religiöser Führungspersönlichkeiten, die künftig Sitze in einem neu zu bildenden Senat bekommen. Einen größeren Einfluss traditioneller Autoritäten hatte sich die Bevölkerung in großangelegten Umfragen im Dezember ausdrücklich gewünscht.



Und: Erstmals bekäme Mali einen Rechnungshof. Staatliche Funktionsträger sollen demnach nicht nur beim Amtsantritt ihr Vermögen offenlegen, sondern jährlich - und müssten erklären, woher eventuelle Zuwächse stammen. Sofern er wie vorgesehen arbeitet, könnte der Rechnungshof ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die überbordende Korruption sein.



Klatt ist gleichwohl vorsichtig: Mali habe in der Regel «keine Probleme damit, ( ) auf dem Papier gute Gesetzgebungen und gute Prozesse auf den Weg zu bringen». Es scheitere immer an der Umsetzung.



Wochen vor dem Referendum hatte die Regierung in landesweiten Versammlungen über die Inhalte des Entwurfs informiert. Ende Mai nahm Fatoumata Samaké in Bamako an einer dieser Veranstaltungen teil. An dem Entwurf gefällt ihr vor allem, dass darin «die Achtung der traditionellen und gesellschaftlichen Werte Malis» formalisiert wird. Sie findet es gut, dass sich Mali «von westlichen Ideen und dem Westen verabschiedet», vor allem Frankreich und der Westen insgesamt hätten Mali zu sehr bevormundet.



Moussa Dembele hingegen ist «gegen die Verfassungsänderung, weil die Übergangsregierung nicht die Legitimität dazu hat». Schließlich sei sie durch einen Militärcoup an die Macht gekommen. Nur eine legitime Regierung dürfe derart grundlegende Veränderungen auf den Weg bringen. Wie viele Menschen die neue Verfassung trotz der sehr hohen Zustimmungswerte ablehnen, ist schwer einzuschätzen. Kritiker des gegenwärtigen Kurses werden immer vorsichtiger, weil sie Repressionen fürchten. (epd)