Es ist Zeit für Gespräche mit dem Iran

Nach Bekanntgabe des US-Geheimdienstberichtes sollte Europa nun selbstbewusst eine gemeinsame Politik mit den USA einfordern, welche die iranische Innenpolitik im Blick hat. Diese kann neue Sanktionen des Sicherheitsrates einschließen, muss aber auch ein Dialog-Angebot enthalten, meint Volker Perthes.

Nach Bekanntgabe des US-Geheimdienstberichtes sollte Europa nun selbstbewusst eine gemeinsame Politik mit den USA einfordern, welche die iranische Innenpolitik im Blick hat. Diese kann neue Sanktionen seitens des Sicherheitsrates einschließen, muss aber auch ein Angebot zum Dialog enthalten, meint Volker Perthes.

Mahmud Ahmadinedschad und George Bush; Foto: AP
Nur bedingungslose Verhandlungen können im Atomstreit eine Einigung erbringen, sagt Volker Perthes.

​​Der jüngst veröffentlichte umfassende Bericht der amerikanischen Geheimdienste über das Atomprogramm und die nuklearen Ambitionen des Iran – der so genannte "National Intelligence Estimate" (NIE) – hat den Anstoß zu erneuten strategischen Diskussionen unter den fünf ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates und Deutschland gegeben.

Diese strategische Neubewertung ist wahrscheinlich für diejenigen in der Bush-Administration (und für ein paar Personen anderswo) dringend notwendig, die sich noch bis vor kurzem als Propheten einer unmittelbar drohenden Gefahr betätigten.

Für die Europäer hat der NIE jene Befürchtungen, welche die EU-3 (Großbritannien, Frankreich und Deutschland) im Jahr 2003 auf den Plan riefen, eher bestätigt als ausgeräumt – wonach nämlich das iranische Atomprogramm dem Land letztlich zu nuklearen militärischen Kapazitäten verhelfen und vorher sogar noch eine nukleare Weiterverbreitung in der Region auslösen könnte.

Der NIE bestätigte auch zwei Annahmen, an denen sich der diplomatische Ansatz der Europäer bisher orientierte: Der Iran reagiert auf Anreize sowie auf Abschreckung und die Berücksichtigung legitimer iranischer Interessen ist die beste Methode, um die Führung des Iran zu beeinflussen.

Die meisten mit dem Thema befassten Europäer gehen auch davon aus, dass der Iran eher darauf abzielt, sich letztlich alle Optionen, einschließlich der raschen Entwicklung einer Atomwaffe, offen zu lassen, als tatsächlich in den Besitz einer solchen Waffe zu gelangen, geschweige denn sie zu testen, und damit gegen den Nichtweiterverbreitungsvertrag zu verstoßen.

Drei Elemente einer robusten Diplomatie

Die Bedenken gegen das Atomprogramm des Iran sind daher weiterhin gerechtfertigt. Eine robuste Diplomatie, die nötig ist, um diesem Problem zu begegnen, muss aus drei Elementen bestehen. Erstens muss sie auf breitem internationalen Konsens beruhen.

Zweitens muss sie verdeutlichen, dass es um das Thema Weiterverbreitung geht und nicht um das Wesen der iranischen Führung. Drittens sollten sämtliche weiter gehenden Sanktionen von einem ernsthaften Angebot zum Engagement begleitet sein.

Im Gegensatz dazu glauben manche politischen Entscheidungsträger in Amerika weiterhin, dass der Iran sein Anreicherungsprogramm einstellen wird, wenn nur die Europäische Union unilaterale Sanktionen ergreifen würde.

Präsident Putin und Ahmadinedschad; Foto: AP
Unilaterale Sanktionen der EU und der USA? Davon würde Russland profitieren, doch die ökonomischen Nachteile für Iran blieben begrenzt.

​​Aber eine sachliche Analyse des Verhaltens des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad ergibt, dass Sanktionen der EU zu einer Handelsdiversion führen würden, wobei China, Russland, die Türkei oder Dubai vom Rückgang der europäischen Exporte in den Iran profitieren würden.

Natürlich würden sich für den Iran manche Importe verteuern, aber die ökonomischen Auswirkungen derartiger Sanktionen blieben begrenzt. Politisch würde Ahmadinedschad die Gelegenheit unilateraler Maßnahmen propagandistisch nutzen – und behaupten, der Iran befände sich nicht im Konflikt mit der internationalen Gemeinschaft, sondern mit imperialistischen Staaten, die seinem Land den technologischen Fortschritt vorenthalten wollen.

Aus diesen Gründen bevorzugen die Europäer eine neue Resolution des Sicherheitsrates, auch wenn seine Maßnahmen schwächer ausfallen als eventuelle unilaterale Sanktionen der USA oder der EU. Eine derartige Resolution würde ein wirksames Signal an die iranische Öffentlichkeit und die politische Elite senden, dass sich der Iran im Konflikt mit der gesamten internationalen Gemeinschaft befindet.

Die Iraner wollen nicht isoliert sein. Selbst die klerikale Elite hat ein starkes Interesse am Austausch mit dem Rest der Welt und schickt auch ihre Kinder gerne in Schulen im Westen. Eine Klarstellung, dass Ahmadinedschads Politik den Iran isoliert, würde jene immer noch brüchige Allianz aus pragmatischen Konservativen und Reformern gegen Ahmadinedschad stärken, die in letzter Zeit vermehrt auf sich aufmerksam machte.

Das ist ein wichtiger Aspekt, den man angesichts der für März 2008 anberaumten Wahlen zum Parlament ( Majlis ) im Auge behalten sollte. Diese Wahlen werden nicht völlig frei sein, aber die Regierung wird sie auch nicht vollständig manipulieren können.

Der Majlis spielt insofern eine Rolle im politischen Prozess als er in der Lage ist, politische Änderungen herbeizuführen oder zu verhindern: Man denke an die Art und Weise wie ein konservativer Majlis den Reformpräsidenten Mohammed Khatami während der letzten Jahre seiner Amtszeit blockierte.

Bedingungslose Verhandlungen notwendig

Iranische Studentenproteste; Foto: AP
Proteste gegen Ahmadinedschad in Teheran: Nur ein "ehrliches Angebot zum Engagement" kann die Opposition im Iran unterstützen.

​​Die Europäer sollten nun selbstbewusst eine gemeinsame Politik mit den USA einfordern, welche die Entwicklungen in der iranischen Innenpolitik im Blick hat. Diese Politik kann neue Sanktionen seitens des Sicherheitsrates einschließen, muss aber auch ein Angebot zum Dialog enthalten, das pragmatische Kräfte im Iran nicht ablehnen würden.

Sowohl die EU als auch die USA sollten bereit sein, in direkte, umfassende und bedingungslose Verhandlungen mit dem Iran einzutreten. Denn was Sicherheitsgarantien angeht, ist Washington der eigentliche Gegner und mögliche Partner Teherans.

Bislang spricht man lediglich mithilfe europäischer Vermittlung oder in Bagdad auf Botschafterebene über ausgewählte Themen miteinander. Die USA beharren darauf, einem umfassenden Dialog nur dann zuzustimmen, wenn der Iran die Urananreicherung aussetzt. Dies sollte aber ein Ergebnis und nicht die Voraussetzung von Verhandlungen sein.

Was immer Amerika und Europa dem Iran gegenüber unternehmen, wird dort die innenpolitische Dynamik beeinflussen. Einfache Mechanismen gibt es dabei nicht. Der sicherste Weg, Ahmadinedschad zu stärken, dürfte aber sein, das Land und das Regime im Ganzen zu bedrohen.

Durch ein ehrliches Angebot zum Engagement könnten Ahmadinedschads pragmatische Gegner zeigen, dass nicht der Westen, sondern der iranische Präsident mit seiner kontroversen Politik für die Situation verantwortlich ist.

Volker Perthes

© Project Syndicate 2008

Volker Perthes ist Vorsitzender und Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit in Berlin.

Qantara.de

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