Ägyptischer Terrorist Saif al-Adel: Die neue Spitze von Al-Kaida?

Mit Blick auf seine eigene Sicherheit soll Terrorchef Osama bin Laden kaum jemandem so vertraut haben wie Saif al-Adel. Der Ägypter gilt als Veteran im internationalen Dschihad. Im Terrornetzwerk Al-Kaida könnte er nun zum neuen Anführer aufrücken. Von Johannes Sadek und Nabila Lalee, dpa

Kabul/Kairo (dpa) - Die Nachricht über die Tötung von Top-Terrorist Aiman al-Sawahiri war kaum über die Ticker gelaufen, da begann die Diskussion über mögliche Nachfolger an der Spitze von Al-Kaida. Seit dem US-Drohnenangriff vor vier Wochen, bei dem der 71-Jährige auf einem Balkon in Kabul gezielt getötet wurde, ist das Terrornetzwerk ohne Anführer. Wer wird neuer Chef der von Osama bin Laden gegründeten Organisation? Und in welche Richtung steuert sie?



Als besonders aussichtsreicher Kandidat gilt ein Ägypter, der sich den Kampfnamen Saif al-Adel («Schwert des Rechts») gegeben hat. Er soll um die 60 Jahre alt sein und gilt mit seiner militärischen und terroristischen Erfahrung als eine Art Veteran im internationalen Dschihad. Die US-Bundespolizei FBI listet ihn als einen der meistgesuchten Terroristen weltweit. Kopfgeld: 10 Millionen US-Dollar.



Seine Lebensgeschichte - oder das, was darüber bekannt ist – lese sich wie ein «dschihadistischer Schelmenroman», schreibt der frühere FBI-Agent und Terrorismusexperte Ali Soufan. Bereits in jungen Jahren habe Al-Adel seinen eigenen Tod vorgetäuscht und habe selbst westliche Geheimdienste glauben lassen, er sei ein völlig anderer Mann. Laut Soufan sind nur drei Fotos bekannt, die den echten Al-Adel mit seinem schmalen Gesicht und etwas leerem Blick zeigen. Mit bürgerlichem Namen soll er Mohammed Saidan heißen.



In einer Spezialeinheit der ägyptischen Armee eignete sich Al-Adel vermutlich Wissen zu Sprengstoff und Geheimdienstarbeit an. Ende der 1980er Jahre soll er nach Afghanistan gereist sein, um gegen die sowjetische Besatzung zu kämpfen. Dort gründete sich im Grenzgebiet zu Pakistan um dieselbe Zeit Al-Kaida («Die Basis»). Diese Zeit in Afghanistan sei «sehr undurchsichtig», sagt Experte Asfandyar Mir vom US Institute of Peace. Vieles weise aber darauf hin, dass Al-Adel für einen großen Teil der 1990er Jahre im Land war.



Al-Adel rückte bald in die zweite Führungsebene nach Osama bin Laden auf. Er leitete das Training in einem afghanischen Camp, eröffnete weitere Lager im Sudan und in Somalia und legte im Jemen den Grundstein für den heutigen Ableger AQAP. Bin Laden, der 2011 in Pakistan von einer US-Spezialeinheit getötet wurde, soll mit Blick auf seine eigene Sicherheit kaum jemandem mehr vertraut haben als Al-Adel.



Als führender Planer setzte Al-Adel schließlich zwei der größten Attacken Al-Kaidas mit um: in Ostafrika auf zwei US-Botschaften mit mehr als 200 Toten (1998) sowie auf die USS Cole mit 17 getöteten US-Soldaten (2000). Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Einmarsch der US-Truppen in Afghanistan übernahm er das Kommando bei der Verteidigung Kandahars. Dort habe er sich als «zäher und erfinderischer Militärkommandeur bewiesen», schreibt Soufan.



Al-Adel setzte sich dem Experten Mir zufolge schließlich in den Iran ab. Dort verbrachte er die meiste Zeit des nächsten Jahrzehnts unter Hausarrest in Teheran, ehe er bei einem Gefangenenaustausch 2010 frei kam. Laut Edmund Fitton-Brown, Leiter eines UN-Expertenteams zu Al-Kaida, wird der Ägypter auch weiterhin im Iran vermutet. Dort soll sich auch der Marokkaner Abdel-Rahman al-Maghrebi aufhalten, als langjähriger Leiter von Al-Kaidas wichtigstem Sprachrohr ebenfalls ein möglicher Kandidat für den offenen Spitzenposten.



Derzeit gilt Al-Kaida als geringere Gefahr im Vergleich zur verfeindeten Terrormiliz Islamischer Staat (IS). «Al-Kaida wird vom Zufluchtsort in Afghanistan nicht als unmittelbare internationale Bedrohung gesehen», hieß es im Juli in einem UN-Expertenbericht. Dem Netzwerk fehle die «externe Einsatzfähigkeit». Attacken außerhalb Afghanistans seien unwahrscheinlich, zudem wolle man den im Land herrschenden Taliban keine Probleme bereiten. Letztlich sei das Ziel aber, wieder als «Anführer des globalen Dschihads» gesehen zu werden.



Unter einem Chef namens Saif al-Adel könnte das klappen - vorausgesetzt, er kann den Iran überhaupt verlassen oder das Netzwerk von dort aus führen. «Der Iran wird ihm möglicherweise nicht erlauben, zu gehen, und mit Al-Kaida anderswo Ärger zu machen», sagt Fitton-Brown. Der Iran hatte Al-Kaida-Mitgliedern schon vor den Anschlägen von 9/11 teilweise Unterschlupf gewährt.



Al-Kaida ist heute deutlich stärker als zum Zeitpunkt der Anschläge von 9/11 vor 20 Jahren. Zwar gebe es wie beim IS nur begrenzt Mittel, um etwa Anschläge in Europa zu verüben, heißt es im UN-Bericht. Auch Angriffe von «Einzeltätern» seien rückläufig. Aber Al-Kaida hat nach Schätzungen vom vergangenen Jahr weltweit rund 30 000 bis 40 000 Mitglieder mit Ablegern im Nahen Osten, Südasien, auf der Arabischen Halbinsel und einigen der gefährlichsten in Afrika.