Stimmenfang mit unorthodoxen Mitteln

Obwohl Präsident Ahmadinedschads wirtschaftliche und politische Bilanz für einen Großteil der Iraner verheerend ausfällt, könnte seine Abwahl womöglich daran scheitern, dass viele den Wahlurnen fernbleiben. Aus Teheran informiert Katajun Amirpur.

Wahlkampf für Ahmadinedschad; Foto: Roshy Zangeneh
Politik nach dem Gießkannenprinzip: Die Wirtschaftsbilanz Ahmadinedschads fällt trotz der hohen Einnahmen aus dem Erdölgeschäft düster aus: Inflation und Arbeitslosigkeit haben in seiner Regierungszeit zugenommen.

​​ Das Ansehen Irans im Ausland ist schwer beschädigt, es besteht latente Kriegsgefahr, die Wirtschaft ist marode und was der iranische Kulturminister stolz als Errungenschaft feiert – nämlich, dass sein Ministerium Hunderte von Büchern hat verbieten lassen – dürfte das iranische Bildungsbürgertum kaum als solche betrachten.

Und selbst die Angehörigen der ärmeren Einkommensschichten, die in den Genuss der Gelder gekommen sind, die Ahmadinedschad nach dem Gießkannenprinzip hat verteilen lassen, sind unzufrieden.

Denn die rasende Inflation hat seine Geldgeschenke längst entwertet. Wo man geht und steht, wird geschimpft – und zwar vor allem über die Preise. Das ist nichts Neues. Schon immer ist die Inflation das Lieblingsthema der meisten Iraner gewesen.

Inkompetenz und ziellose Wirtschaftspolitik

Aber anders als sein Amtsvorgänger Mohammad Khatami, dessen Fokus Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit waren, ist Mahmoud Ahmadinedschad damit angetreten, den Erdölreichtum Irans so umzuverteilen, dass die gesamte Bevölkerung etwas davon hat und nicht nur einige Bonzen.

Mohsen Rezai; Foto: AP
Ungewöhnlich scharfe Worte: Präsidentenherausforderer Mohsen Rezai wirft Ahmadinedschad wirtschaftliche Inkompetenz vor.

​​ Doch daraus ist nichts geworden. Zwar hat Ahmadinedschad – was ihm viele zu gute halten – auf Forderungen einzelner aus der Bevölkerung an ihn durchaus reagiert. So bekam beispielsweise der Pförtner aus Isfahan, der sich bei Ahmadinedschad in einem Brief beschwerte, dass er sich keine Wohnung leisten könne, nicht nur sofort Antwort, sondern auch eine bezahlbare Wohnung zugeteilt.

Doch so viel Wählerstimmen ihm Aktionen dieser Art gebracht haben mögen, sinnvoll investiert hat Ahmadinedschad damit die beträchtlichen Erdöleinnahmen über die er – im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger – verfügte, nicht.

Wirtschaftsfachleute warnen schon seit Monaten vor seiner unüberdachten und ziellosen Wirtschaftspolitik. Und natürlich hat das Wirtschaftsembargo Iran geschadet – auch wenn dies niemand zugibt.

Auf die Wirtschaft stürzen sich deshalb Ahmadinedschads Gegenkandidaten und wissen, dass sie damit am ehesten Stimmen fangen können. Mohsen Rezai, Konservativer wie Ahmadinedschad selbst, hat Ahmadinedschad vor allem dessen wirtschaftliche Inkompetenz vorgehalten.

"Ahmadinedschad schadet iranischen Interessen"

Anhängerin Mussawis in teheran; Foto: dpa
Unzufrieden mit der radikalen Außenpolitik Ahmadinedschads: Viele Iraner plädieren für eine moderate, pragmatische Politik - so wie sie ihrer Meinung nach Ex-Ministerpräsident Mirhossein Mussawi befürwortet.

​​ Und weil sie Iran schadet, wird auch sie im Wahlkampf immer wieder Ahmadinedschad vorgehalten: seine Haltung im Nahost-Friedensprozess und seine Haltung zu den USA.

Vielleicht hat Ahmadinedschad deshalb jetzt ein Einsehen gezeigt und in einem Interview mit dem US-Fernsehsender ABC auf die Frage, ob Iran eine "Zwei-Staaten-Lösung" akzeptieren würde, gesagt: "Wir unterstützen die Entscheidung der Palästinenser, wie auch immer sie aussehen mag."

Zudem hat Ahmadinedschad sich den USA gegenüber in der letzten Zeit relativ versöhnlich gegeben, denn er weiß, dass alles andere ihn viele Wählerstimmen kosten würde.

Äußerst negativ werden in weiten Teilen der Bevölkerung zudem seine Äußerungen zum Holocaust und zu Israel gesehen. Viele sind schier fassungslos, dass Ahmadinedschad den Holocaust in Frage stellte und 2006 ein Zitat von Religionsführer Ayatollah Khomeini wiederholte, wonach das "Regime, das Jerusalem besetzt hält, von der Seite der Zeit verschwinden" müsse – was von den Nachrichtenagenturen als "Israel muss von der Landkarte verschwinden" übersetzt wurde.

Selbst wenn Ahmadinedschad damit bei vielen Palästinensern hat punkten können – was sein Ansinnen war –, doch dass Iran heute vor allem mit dem Begriff Antisemitismus assoziiert wird, ist den meisten Iranern peinlich und unangenehm.

So will die Bevölkerung dieses Landes, das auf eine lange fruchtbare jüdische Geschichte zurückblickt, nicht gesehen werden. Hier setzte der Präsidentschaftskandidat der Reformer, Mehdi Karrubi, an, als er die Infragestellung des Holocausts durch Ahmadinedschad scharf verurteilte.

Die Rolle des Atomkonflikts

Ebrahim Yazdi; Foto: AP
Ebrahim Yazdi: "Wenn wir im Iran wirklich Meinungsfreiheit hätten, dann könnten auch diskutieren, was uns das Atomprogramm bringt."

​​ Und vermutlich steht die Bevölkerung nicht einmal in der Atomfrage noch geschlossen hinter Ahmadinedschad. Zwar betonen viele, mit denen man spricht, Iran habe – wie auch Ahmadinedschad und seine Herausforderer immer betonen – das Recht zur friedlichen Nutzung der Atomenergie und solle sich dieses nicht von den sich kolonialistisch gebärdenden westlichen Staaten nehmen lassen.

Doch andererseits, so Ebrahim Yazdi, Vorsitzender der semi-legalen iranischen Oppositionspartei, "Nehzat Azadi" (zu Deutsch: Freiheitsbewegung):

"Man kann nicht sagen, was die Iraner über die friedliche Nutzung der Atomenergie denken – weil es keine freie Meinungsäußerung gibt. Einige wiederholen natürlich das, was offiziell verlautbart wird. Aber wenn man die Leute auf der Straße wirklich befragen und ihnen erklären würde, was Iran das alles kosten könnte, dann würden bestimmt viele sagen: Nein danke, lasst es."

Einig sind sich allerdings die meisten, dass es der Regierung Ahmadinedschad durchaus gelegen kommt, wie die westlichen Regierungen die Atomfrage in den Fokus ihrer Politik gegenüber Iran stellen.

Denn grundsätzlich sind es vier politische Problemfelder, die die Amerikaner und die anderen westlichen Staaten gegen Iran anführen: Die Atomfrage, die Menschenrechtsfrage, die Unterstützung des Terrorismus, die Gegnerschaft gegen den Friedensprozess im Nahen Osten.

Oppositionelle wie beispielsweise Yazdi, aber auch die Nobelpreisträgerin des Jahres 2003, Schirin Ebadi, meinen, dass die Europäer sich so sehr auf das Atomprogramm Irans konzentrieren würden, dass sie die Menschenrechtsfrage aus den Augen verloren haben.

Doch diese Position ist unklug und nicht im Interesse der westlichen Staaten. Denn, so Yazdi, "Sie übersehen dabei: Wenn wir Meinungsfreiheit hätten, dann könnten auch wir im Iran diskutieren, was uns das Atomprogramm bringt. Und der iranischen Regierung ist es natürlich auch lieber, dass sich die westlichen Regierungen nur mit der Atomfrage beschäftigen. Denn sonst käme ja jemand auf die Idee, sich nach der Menschenrechtslage zu erkundigen."

Kartoffeln als Wahlgeschenke

Ahmadinedschad weiß, dass es eng werden könnte. Allenfalls seine bescheidene

Roxana Saberi; Foto: AP
Freilassung aus politischem Kalkül? In einem Eilverfahren wurde die Journalistin Saberi zu acht Jahren Haft verurteilt, ein Berufungsgericht reduzierte das Strafmaß jedoch später auf eine zweijährige Bewährungsstrafe.

​​ Lebensweise und dass er volksnah und nicht korrupt ist, halten ihm viele noch zugute. Vielleicht greift Ahmadinedschad deshalb nun zu so unorthodoxen Mitteln wie dem Verschenken von Kartoffeln, um seine Beliebtheit zu steigern. 400.000 Tonnen Kartoffeln hat seine Regierung im letzten Monat unter Bedürftigen verteilt.

Außerdem machte Ahmadinedschad den Angestellten im öffentlichen Dienst Geschenke. Und sogar als Verteidiger der Menschenrechte hat er sich positioniert, um bei Kritikern der iranischen Menschenrechtssituation auf Stimmenfang zu gehen.

Er machte sich für die amerikanisch-japanische Journalistin iranischer Herkunft Roxana Saberi stark, die kürzlich in einem aufsehenerregenden Verfahren zu acht Jahren Haft wegen angeblicher Spionage verurteilt worden war. Die Haftstrafe wurde schließlich in eine Bewährungsstrafe umgewandelt.

Doch trotz dieser negativen Bilanz könnte die Abwahl Ahmadinedschads daran scheitern, dass zu wenig Menschen wählen gehen. Denn während Ahmadinedschads Wähler auf jeden Fall zur Wahl gehen, bleiben die Wähler der Reformer möglicherweise entmutigt zuhause.

Grenzen der Reformen im Iran

Viele sagen, auch ein Reformpräsident könne letztlich nichts ändern – weil das konservative Establishment dies zu verhindern wisse. Doch andererseits: "Als Ahmadinedschad bei der letzten Wahl gewählt wurde, haben viele bereut, nicht wählen gegangen zu sein. Viele Iraner sagten sich, hätten wir bloß, dann wäre er nicht Präsident geworden. Deshalb könnte es sein, dass sie sich dieses Mal sagen: Wir müssen unbedingt wählen gehen."

Das ist zumindest die Hoffnung der Reformer, die auch Ebrahim Yazdi formuliert. Doch nach einer Iranreise im April 2009 bleibt der Eindruck: Viel Anlass zu dieser Hoffnung besteht nicht.

Katajun Amirpur

© Qantara.de 2009

Katajun Amirpur ist promovierte Islamwissenschaftlerin und Journalistin.

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