Von Menschen und Schafen

Aus dem Pamir in die Ost-Türkei: Regisseur Ben Hopkins gelingt mit "37 Uses For A Dead Sheep" das beeindruckende Porträt eines kirgisischen Volksstammes im Exil. Nun ist der Film auch in deutschen Kinos zu sehen.

37 Uses For A Dead Sheep von Ben Hopkins in Zusammenarbeit mit Ekber Kutlu; Foto: Piffl Medien
Mit erstaunlich selbstironischem Stolz spielen die Kirgisen ihre eigene Geschichte und ergreifen in manchen Momenten sogar selbst die Regie

​​Der Pamir, die "kalte Steppenweide", wie das zentralasiatische Gebirge übersetzt heißt, ist eine zersplitterte Region. Der Norden gehört zu Kirgisien, der Osten zu China, der Süden liegt in Afghanistan und der Rest in Tadschikistan.

In dieser rauen und trockenen Landschaft haben einmal die Pamir-Kirgisen gelebt, eine heute noch etwa 2000 Mitglieder umfassende Volksgruppe. Die letzten 100 Jahre haben sie im Exil verbracht, immer auf der Flucht, zunächst in Russland und China.

Vor 27 Jahren vertrieb man sie schließlich aus Afghanistan in die östliche Türkei, die ihnen ein Hilfsangebot gemacht hatte. Dem Filmemacher Ben Hopkins ("Die neun Leben des Thomas Katz") hat dort zusammen mit Ekber Kutlu, einem Intellektuellen und Bildhauer, ein beeindruckendes Porträt der Dorfgemeinschaft geschaffen. Der Titel "37 Uses For A Dead Sheep" mutet dabei zunächst etwas morbide an.

Fiktion und Dokumentation

37 Dinge sind es, die sich aus einem toten Schaf herstellen lassen - wenn man nur weiß, wie. Das beginnt bei Wolle und Fleisch und kann beim Poloball enden. Diese Dinge ziehen den Rahmen um den Dialog zwischen dem Regisseur und einem alten Kirgisen.

Und doch ist dieser Film weit mehr als nur eine Dokumentation des Alltags – anders als die ethnographischen Dokumentarfilme, an die Regisseur Hopkins sich aus seiner Kindheit erinnert. Er wollte die Trennung zwischen dem beobachtenden Filmteam und dem "exotischen" Volk aufheben, dessen Leben vor der Kamera nur ausgestellt wird.

Und so erklärt er auch gleich zu Beginn, dies sei kein Film "über" die Pamir-Kirgisen, sondern "mit" ihnen, ein Film über "Heimat, Exil, Verbundenheit und Sehnsucht". Es vermischen sich Fiktion und Dokumentation, Spielszenen und Interviews. Und zwischen der Geschichte der Kirgisen und ihres Exodus' sind auch immer wieder Kapitel über die Dreharbeiten entstanden - unfreiwillig.

Ein Film über das Filmemachen

Genauso flexibel wie zwischen seinen Genres lässt Hopkins auch zwischen den technischen Möglichkeiten hin und her springen. Kameramann Gary Clarke, der bereits für die Bilder von Hopkins' Dokumentation "Footprints" (2003) verantwortlich war, wechselt virtuos die Filmformate vom Digitalen bis zur 16mm-Kamera und changiert zwischen historischem Film und modernem Kino. So bietet er auch ein Panorama über das Filmemachen selbst und seine Möglichkeiten.

Ben Hopkins und ein Kirgise; Foto: Piffl Medien
Hopkins wollte die Trennung zwischen dem beobachtenden Filmteam und dem "exotischen" Volk aufheben, dessen Leben vor der Kamera nur ausgestellt wird

​​Mit erstaunlich selbstironischem Stolz spielt das kleine Volk seine eigene Geschichte und ergreift in manchen Momenten sogar selbst die Regie. Eine Tatsache, von der Hopkins sichtlich begeistert war:

"Was mir an diesem Film, der durch unsere gemeinsame Arbeit entstanden ist, am besten gefällt, ist das starke Gefühl von camaderie, das in ihm spürbar wird. Ich denke, man kann erkennen, dass wir Spaß an der gemeinsamen Arbeit hatten, dass wir die guten und die kritischen Momente geteilt haben – und dass wir viel gelacht haben."

Die Dinge verändern sich

So ist ein Film entstanden, der sich nicht zwischen Dokumentation und Kino entscheiden muss. Mit der Leichtigkeit des Humors, der zwischen Filmteam und Akteuren entstand, gerät "37 Uses" nie in Gefahr, sentimental oder beobachtend zu sein. Mittendrin steht Hopkins und kommt dem Volk der Kirgisen dabei so nahe, dass ihm der unglaublich breite Spagat zwischen historischem Dokument und Komödie gelingt.

Zum großen Teil liegt das auch an der Gelassenheit der Kirgisen. Denn die sind sich der Kluft zwischen ihrer kleinen Gemeinschaft und der globalisierten Welt durchaus bewusst, und auch bei ihnen träumen einige von einem besseren Leben, vielleicht in Istanbul.

"Die Veränderung wird kommen, weil die jungen Leute unsere Kultur nicht weiter tragen", sagt Ekber Kutlu. "Wir wissen, dass das der Lauf der Welt ist. Die Dinge verändern sich."

Florian Blaschke

© DW-WORLD.DE 2006

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