Polizeistaat Ägypten: Ein Land erstickt seine Zivilgesellschaft

Um die Menschenrechte in Ägypten steht es weiterhin düster, Nichtregierungsorganisationen drohen Geldstrafen und Arbeitsverbote. Ein neues NGO-Gesetz soll die Lage verbessern. Kritikern zufolge dient es nur dazu, Regierungen in USA und Europa ruhig zu stellen. Von Johannes Schmitt-Tegge

Die Ermittlungen gegen Mohamed Zaree laufen noch. Ägypten kann er wegen eines Reiseverbots seit drei Jahren nicht mehr verlassen, sein Vermögen wurde eingefroren. Der Vorwurf: Seine Organisation CIHRS, die sich in Ägypten und anderen Ländern der arabischen Welt für die Stärkung der Menschenrechte einsetzt, soll finanzielle Hilfe aus dem Ausland erhalten und die «nationale Sicherheit» des Landes gefährdet haben. Zaree droht lebenslange Haft.

In den fünf Jahren seit seiner Machtübernahme hat Präsident und Ex-General Abdel Fattah al-Sisi das Land am Nil zum brutalen Sicherheitsstaat ausgebaut. Wer Kritik äußert, riskiert die Festnahme und Schlimmeres. Das US-Außenministerium warf der Regierung im März willkürliche Tötungen, Folter und lebensbedrohliche Bedingungen Gefangener vor. Tausende kamen nach Massenprozessen hinter Gitter. Die Pressefreiheit ist stark eingeschränkt, 34.000 Websites sind der Organisation NetBlocks zufolge derzeit blockiert.

Mit einem neuen Gesetz zur Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) muss die Zivilgesellschaft nun bangen, wie viel Luft ihr noch zum Atmen bleibt. Sogenannte «politische Arbeit» und solche, die etwa die «öffentliche Moral» gefährdet, wird verboten. Spenden von und die Zusammenarbeit mit ausländischen Einrichtungen muss die Regierung genehmigen. Bei Verstößen drohen Geldstrafen von umgerechnet mehr als 50.000 Euro und Arbeitsverbote bis zu einem Jahr, was gerade für kleine NGOs das faktische Ende bedeuten kann.

«Es gibt keinen Raum», sagt Zaree der Deutschen Presse-Agentur. «Man kann keinen Protest organisieren, keinen Marsch, keine Sitzblockade, nicht mal ein Seminar, um ein Anliegen neutral zu diskutieren.» Er könne nicht einmal ein Hotelzimmer für eine Gesprächsrunde buchen.

Al-Sisi habe seine Lektion vom gestürzten Langzeitherrscher Hosni Mubarak gelernt und sämtliche kritischen Stimmen ausgeschaltet. «Es ist eine klassische Diktatur», sagt Zaree. Eigentlich war das NGO-Gesetz als Korrektur einer älteren und noch verschärften Fassung von 2017 gedacht, dessen Überarbeitung Al-Sisi nach internationalem Druck in Aussicht stellte. Die Ankündigung dazu kam pünktlich zum Besuch bei US-Präsident Donald Trump in Washington im April. Die «Propaganda» diente Zaree und anderen NGOs nur dazu, Regierungen in den USA und Europa ruhigzustellen. Ägypten zählt zu den weltweit größten Empfängern von US-Militärhilfe.

Die 107 Artikel des Gesetzesentwurfs hatte das Parlament vor zwei Wochen dann im Schnelldurchlauf abgehandelt. In der überarbeiteten Fassung seien «99 Prozent» der Forderungen von mehr als 1.200 NGOs berücksichtigt worden, erklärte Parlamentssprecher Ali Abdil-Aal. Der Vorsitzende des Ausschusses für soziale Solidarität sprach von «radikalen Änderungen» nach einem fünf Monate langen Dialog.

Menschenrechtler schlagen trotzdem Alarm. Wenn Al-Sisi auch nur einen «Fetzen guten Willens» habe, müsse er das Gesetz überarbeiten lassen, sagt Michael Page, Nahost-Leiter bei Human Rights Watch. Der New Yorker Einrichtung zufolge hat Al-Sisi bereits 2.000 Organisationen schließen lassen, die meisten davon hatten sich für wohltätige Zwecke eingesetzt. Amnesty International klagt, dass Informanten aus Angst vor Festnahmen inzwischen die Zusammenarbeit verweigerten.

Amnesty stützt sich unter anderem auf Gespräche mit Anwälten und Familienangehörigen. So etwa beim Hungerstreik im Tora-Gefängnis in Kairo: 130 Insassen verweigerten dort seit sechs Wochen das Essen, um gegen Haftbedingungen zu protestieren. Familienbesuche würden kaum erlaubt, einige hätten ihre Angehörigen seit Jahren nicht gesehen.

Die Mehrzahl habe erklärt, gefoltert worden zu sein, sagt Amnestys Ägypten-Experte Hussein Baoumi - die Rede ist von Elektroschocks, Schlägen und Isolationshaft. Teils hätten Sicherheitskräfte Tränengas abgefeuert, sagt Baoumi unter Berufung auf Angehörige.

Die Bundesregierung dränge in Gesprächen «regelmäßig» darauf, dass der Zivilgesellschaft wieder mehr Räume geöffnet werden, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf versucht seit Jahren, einen Sondergesandten nach Ägypten zu schicken, um dort unter anderem das Recht auf Versammlungsfreiheit zu untersuchen. Die Anfragen in den Jahren 2011, 2013 und 2017 wurde allesamt verweigert.

In Berlin weckt das Thema auch Erinnerungen an den jahrelangen Streit um deutsche politische Stiftungen im Land: Der frühere Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Kairo war 2013 zu fünf Jahren Haft und eine Mitarbeiterin zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Nur mit Hilfe eines Zusatzprotokolls zum Kulturabkommen zwischen beiden Länder konnten die Urteile aufgehoben werden.

«Ich will weiter von hier arbeiten», sagt Zaree. «Die wahren Auswirkungen werden von innen kommen.» Frustrierend sei die Arbeit manchmal schon, Ägypten erlebe einen der dunkelsten Momente seiner Geschichte. Seine sechs Jahre alte Tochter sehe seine Lage ganz pragmatisch: Sie glaubt, sein Reiseverbot werde lebenslang gelten. (dpa)