Die Entdeckung der arabischen Literatur am Golf

Im Interview mit Qantara.de spricht der Gewinner des diesjährigen arabischen Bookerpreises Abdo Khal über die Bedeutung dieser Auszeichnung für die Golfregion sowie über die Aufteilung der arabischen Kultur in Zentrum und Peripherie. Loay Mudhoon hat sich mit ihm unterhalten.

Im Interview mit Qantara.de spricht der Gewinner des diesjährigen arabischen Bookerpreises Abdo Khal über die Bedeutung dieser hohen Auszeichnung für die Golfregion sowie über die Aufteilung der arabischen Kultur in Zentrum und Peripherie. Loay Mudhoon hat sich mit ihm unterhalten..

Abdo Khal; Foto: privat
"Auseinandersetzung zwischen zwei Welten: die des dekadenten Reichtums und die der bitteren Armut" - Abdo Khal gewinnt mit seinem gesellschaftskritischen Roman "Sie sprüht Funken"</wbr> den diesjährigen arabischen Bookerpreis.

​​ Ihr arabischer Roman "Tarmi bi shararin" (zu Deutsch: "Sie sprüht Funken") gewann am Rande der Buchmesse in Abu Dhabi den diesjährigen arabischen Bookerpreises. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie und die arabische Literatur am Golf?

Abdo Khal: Diese Auszeichnung stellt einen Meilenstein für die Literatur in der Golfregion dar, die lange vom Rest der arabischen Welt kaum beachtet wurde. Viele in der arabischen Buchbranche und im Literaturbetrieb haben den Erfahrungsschatz der Menschen am Golf in ihrer langen arabisch-islamischen Geschichte nicht zu würdigen vermocht, obwohl diese die Seewege lange kontrollierten und zur Bereicherung der arabischen Kultur entscheidend beigetragen haben.

Das heißt, der Bookerpreis kann als eine Art "Rehabilitation" der arabischen Literaturleistungen am Golf angesehen werden…

​​Abdo Khal: Zweifelsohne kann die Verleihung des Bookerpreises an einen Autor aus der Golfregion helfen, das Monopol des so genannten "Zentrums" in der arabischen Kultur zu brechen, zumal ich diese künstliche Aufteilung der arabischen Kultur in Zentrum und Peripherie in Bezug auf einen traditionsreichen Kulturraum wie den arabischen für unwürdig halte. Literarische Kreativität hat meiner Ansicht nach mit geographischer Aufteilung nichts zu tun.

Zurzeit befindet sich die Golfregion in einer Aufbruchsstimmung und avanciert zunehmend zu einem wichtigen Epizentrum der Globalisierung. Auch deshalb sollte den menschlichen Leistungen in dieser Region mehr Beachtung geschenkt werden. Um arabischen Autoren zum Durchbruch zu verhelfen, plädiere ich sogar dafür, alle fünf Shortlist-Autoren auszuzeichnen, wobei es dabei weniger um Preisgelder gehen sollte, sondern vielmehr um die Anerkennung und Würdigung ihrer literarischen Leistungen.

Ihr Roman "Sie sprüht Funken", in dem Sie ohne Rücksicht auf Tabus die gesellschaftlichen Veränderungen in der Stadt Dschidda beschreiben, wurde vor allem aufgrund seiner provozierenden Sprache heftig kritisiert. Einige Kritiker meinen, Ihr Roman diffamiere die moralischen Werte der Gesellschaft? Hat Sie diese Kritik überrascht?

Abdo Khal: Nein. Es ist völlig normal, dass ein Roman, der soziale Phänomene kritisch beleuchtet und nicht zimperlich mit den Mächtigen umgeht und vor allem Despotismus und Machtmissbrauch anprangert, unterschiedlich bewertet wird. Ich denke aber, dass gute literarische Kritik viel Erfahrung voraussetzt, damit der Kritiker die Komplexität des Romans mit allen Verknüpfungen ihrer Handlungsstränge und Figuren überhaupt erfassen kann.

Ein Roman wird in der Regel falsch eingeschätzt, wenn sich die Kritiker nur auf einen Teilaspekt des Romans konzentrieren und andere Aspekte und Handlungsstränge außer Acht lassen.

Verleihung des Booker Preises in Abu Dhabi; Foto: Buchmesse Frankfurt
Der strahlende Gewinner des diesjährigen "Arab Booker Prize" - Abdo Khal aus Saudi-Arabien (zw.v.l)

​​ Nicht wenige Kritiker sind der Meinung, Ihr Roman sei sehr erfolgreich, weil er skandalös sei…

Abdo Khal: Ich weiß nicht, warum der Roman auf diese Skandal- und Sexualität-Aspekte reduziert wird. In der Tat kann man einen Roman nicht von seinem Handlungsort trennen, insbesondere wenn er zu einem Symbol wird, das die Doppelmoral einer Gesellschaft aufdeckt und für mehr Freiheitsräume plädiert. Meiner Ansicht nach muss jeder Roman das arabische "Tabu-Dreieck" – bestehend aus Religion, Politik und Sexualität – tangieren.

Ihr Roman handelt vom Niedergang eines Stadtteils in Dschidda, von den Verlierern und Ausgegrenzten der Gesellschaft. Was möchten Sie damit genau kritisieren?

Abdo Khal: Die Ausgegrenzten sind für meine Begriffe alle Menschen in einer Gesellschaft, die nicht in der Lage sind, sich Gehör zu verschaffen. Mein Roman "Sie sprüht Funken" ist eine Auseinandersetzung zwischen zwei Welten: die des dekadenten Reichtums und die der bitteren Armut - er beschreibt diese Welten mit all ihren Facetten. Und jeder kann in diesem Roman lesen, was er möchte: Die literarische Schönheit oder die skandalösen Teilaspekte.

Interview: Loay Mudhoon

Übersetzung aus dem Arabischen von Loay Mudhoon

© Qantara.de 2010

Abdo Khal wurde 1962 in Jizan im Südwesten Saudi-Arabiens geboren. Er studierte Politikwissenschaften an der "University of King Abdulaziz" in Dschidda. Seit Beginn der 1980er Jahre arbeitet Khal für verschiedene saudi-arabische Zeitungen. Zurzeit leitet er das Feuilleton der Tageszeitung "Ukaz" und ist Mitherausgeber der Zeitschrift "Ar Rawi".

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