Kulturkampf zwischen Orient und Okzident

Die Türkei und Russland verbünden sich gegen die Europäische Union, türkische Einheiten erobern Berlin und die Zentrale der EU wird nach Istanbul verlegt – dieses Szenario entwirft Burak Turna in seinem Thriller "Der dritte Weltkrieg". Von Joseph Croitoru

Die Türkei und Russland verbünden sich gegen die Europäische Union, türkische Einheiten erobern Berlin und die Zentrale der EU wird von Brüssel nach Istanbul verlegt – dieses Szenario entwirft der türkische Jungautor Burak Turna in seinem Thriller "Der dritte Weltkrieg". Joseph Croitoru stellt den erfolgreichen Roman vor.

Burak Turna; Foto: www.burakturna.com
Die Europäer werden die Türkei niemals als gleichberechtigten Partner akzeptieren, glaubt Burak Turna

​​Die Lage in Frankreich im letzten Herbst ähnelte auf erschreckende Weise einer Zukunftsphantasie für Europa, die seit einiger Zeit in der Türkei und in der arabischen Welt auf große Resonanz stößt. Entworfen hat sie der junge türkische Bestsellerautor Burak Turna in seinem jüngsten Buch, das vor wenigen Monaten in der Türkei erschienen und dort sofort zum Verkaufserfolg geworden ist.

Der Zukunftsthriller mit dem apokalyptisch klingenden Titel "Der dritte Weltkrieg" spielt im Europa des Jahres 2010. Die multikulturellen Gesellschaften des Westens brechen zusammen, die europäischen Demokratien kapitulieren eine nach der anderen vor den Faschisten, die in Deutschland und Frankreich an die Macht gelangt sind.

Organisierte Banden terrorisieren mit staatlicher Rückendeckung die europäischen Muslime, es herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Dann folgt die endgültige Ablehnung eines EU-Beitritts der Türkei, die aufgrund ihres islamischen Charakters als Bedrohung für das christlich-rassistische Europa empfunden wird.

Russen und Türken gegen die EU

Der weitere Verlauf des Romans mag gleichermaßen unglaublich wie empörend erscheinen, in der Türkei indes haben bereits über hunderttausend Leser Turnas politischen Thriller gekauft und verschlungen.

Die Türkei, so der Fortgang der Geschichte, ist am Ende des ersten Jahrzehnts des einundzwanzigsten Jahrhunderts um ihre Landsleute in Europa so besorgt, dass sie sich mit Russland verbündet; der große Bär ist nicht nur über die Expansionsbestrebungen der EU-Faschisten, sondern auch über die ständigen Übergriffe auf Russischstämmige in den baltischen Republiken zutiefst beunruhigt.

Russen und Türken beschließen, die Europäische Union zu zerschlagen. Um den Erfolg der Militäroperation plausibel erscheinen zu lassen, verwickelt der Verfasser die Amerikaner gleichzeitig in einen Krieg mit dem erstarkenden China.

Am Ende des türkisch-russischen Angriffs erobern türkische Einheiten Berlin, gemeinsam mit den Russen wird schließlich die Europäische Union mit ihrer Zentrale in Brüssel zerschlagen.

Kampf der Kulturen

Die Dialoge von Turnas Kriegshelden lassen nichts Gutes ahnen. So geht aus dem Gespräch zwischen einem türkischen und einem russischen Offizier hervor, dass das Hauptgewicht eines künftigen europäischen Staatenbundes weit in den Osten des Kontinents verschoben werden soll, mit Istanbul als Brüssel-Ersatz.

Der türkische Offizier stellt indes mit Genugtuung fest: Der Westen werde zusehen müssen, wie sich allen Widerständen zum Trotz die christlich-orthodoxe und die islamische Welt gegen ihn verbünden.

​​Turnas Zukunftsvision mag wie eine skurrile Version vom "Zusammenprall der Kulturen" erscheinen, wie ihn der amerikanische Politologe Samuel Huntington prophezeit hat. Hat dieser den knapp dreißigjährigen Autor Turna gar inspiriert?

Turna zeigt in seinen öffentlichen Stellungnahmen zu dem Thriller vom dritten Weltkrieg nur wenig Bereitschaft, sich von dem schockierenden Inhalt zu distanzieren: Er habe die Geschichte gründlich genug studiert, um schließen zu können, dass die Europäer die Türkei niemals als gleichberechtigten Partner akzeptieren würden.

Die Angst der Türken vor der EU

Europa, das von einer langen Tradition des Nationalismus und Rassismus geprägt sei, werde dann aber die Konsequenzen tragen müssen - und es werde die Probleme, vor die die muslimische Einwanderung die Staatengemeinschaft stelle, am Ende nicht bewältigen können.

Die absehbare Verweigerung der Aufnahme der Türkei in die Europäische Union werde eine Destabilisierung zur Folge haben und unausweichlich in einen Kulturkampf zwischen Orient und Okzident münden.

Der bedeutende Erfolg des Thrillers bei der türkischen Leserschaft mag sich daraus erklären, dass Turna einen empfindlichen Nerv getroffen hat: die Angst der Türken vor einer alles regulierenden Europäischen Union, mit der er geschickt zu jonglieren versteht. Die türkischen EU-Gegner fühlen sich in ihrem Nationalstolz verletzt und sehen den Beitritt geradezu als Verrat an den nationalen Traditionen.

Der Autor weiß diese Emotionen zu schüren und greift dabei auf ein Rezept zurück, das sich schon bei seinem vorigen, mit einem Koautor geschriebenen Buch mit dem ebenfalls kriegerischen Titel "Metallsturm" bewährt hat.

"Amerikas nächster Krieg"

In diesem Kriegsthriller, im Dezember 2004 in der Türkei auf den Markt gekommen und in Rekordzeit zum Bestseller avanciert, kommt es zwischen der Türkei und den Vereinigten Staaten zum Krieg, weil sich die Amerikaner in Sachen Kurdenpolitik in die innerpolitischen Angelegenheiten einmischen und schließlich militärisch intervenieren.

Auf die Bombardierung türkischer Städte folgt irgendwann der vernichtende Gegenschlag, als es einem türkischen Agenten gelingt, in Washington eine Atombombe zu zünden und die amerikanische Hauptstadt in Schutt und Asche zu legen.

Das Buch löste nicht nur in der Türkei Begeisterungsstürme aus. Auch in der arabischen Presse wurde Turnas "Metallsturm" entsprechend gewürdigt - ein Kommentator der irakischen Zeitung "Al-Yaumiya" aus Bagdad sprach in diesem Zusammenhang allen Ernstes sogar von "Amerikas nächstem Krieg".

Beide Bücher Turnas sind mittlerweile auch hierzulande bei wichtigen Internetanbietern erhältlich - bei einem etablierten deutsch-türkischen Online-Büchershop sogar im besonders günstigen Doppelpack.

Joseph Croitoru

© Joseph Croitoru

Qantara.de

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