Hoders virtueller Freiheitskampf

Im Iran existieren derzeit über 100.000 Weblogs, die als Sprachrohr einer politisch entmündigten Bevölkerung fungieren. Einer ihrer Pioniere ist Hossein Derakhshan ("Hoder"). Golrokh Esmaili stellt den prominenten Blogger vor.

Im Iran existieren derzeit über 100.000 Weblogs, die als Sprachrohr einer politisch entmündigten Bevölkerung fungieren. Einer ihrer Pioniere ist Hossein Derakhshan, kurz: "Hoder", der mit seinem Webauftritt eine kleine Medienrevolution im Iran auslöste, wie Golrokh Esmaili berichtet.

Hossein Derakhshan, Foto: &copy hoder.com/weblog
Keine Angst vor Irans Tugendwächtern - Hossein Derakhshan ("Hoder") nutzt jede Möglichkeit, um in seinem Weblog die ausländische Öffentlichkeit auf die Probleme im Iran aufmerksam zu machen.

​​Irgendwo an der Grenze zwischen Kanada und den USA steht Hossein Derakhshan und beobachtet nervös den amerikanischen Grenzbeamten. Dieser ist gerade dabei, seinen Namen zu "googeln". Was nur eine Stichprobe sein sollte, wird zum Volltreffer. Mehr als 200.000 Einträge findet die Suchmaschine.

Denn der 1970 in Teheran geborene Derakhshan - besser bekannt unter dem Pseudonym "Hoder" – ist keineswegs mehr unbekannt, sondern wird heute von vielen für eine "kleine Medienrevolution" verantwortlich gemacht.

Bevor Derakshan oder "Hoder" (dessen Pseudonym sich aus den Anfangsbuchstaben seines Namens HOssein und DERakhschan zusammensetzt) zum Studieren nach Kanada ging, war er in Teheran als Journalist tätig und schrieb eine Internetkolumne für eine Zeitung, die wie viele andere inzwischen verboten wurde.

Weblogs als Brücken zum Ausland

Die Ereignisse des 11.September 2001 führten dazu, dass er erste Erfahrungen mit Weblogs sammelte. Denn mithilfe dieser online-Tagebücher hält er sich über die aktuellen Ereignisse auf dem Laufenden und informiert andere über seine Erfahrungen und politischen Ansichten.

Derakhshan eröffnete sein Weblog erstmals im Juni 2002 unter dem Namen "Editor: Myself". Darin sinniert er nicht nur über politische Themen, sondern auch über Literatur, Musik, Sport und das gesellschaftliche Leben im Iran.

Anfangs schrieb er nur in seiner Muttersprache Persisch (Farsi), später dann auch auf Englisch – vor allem deshalb, um eine Brücke zum Ausland zu schlagen. Die Bedeutung und Wirkung von Web-Tagebüchern, war ihm dabei von Anfang an bewusst.

Und er war sich auch im Klaren darüber, dass wenn sich die Weblogs im Internet eines Tages durchsetzen würden, sie unweigerlich Wellen schlagen, die sich von niemandem mehr aufhalten ließen. Das seine Hoffungen sich aber auf diese Art und Weise erfüllen, hat er sich anfangs nicht träumen lassen.

Auf Wunsch eines Lesers verfasste er 2002 eine Anleitung, mit der jeder sein eigenes Blog gründen kann: Den Download unter dem Titel "Wie schreibe ich einen Blog" stellte Derakhshan auf seiner Seite zur Verfügung, woraufhin die Zahl iranischer Weblogs im Internet rapide zunahm.

Im Visier der Mullahs

Heute gibt es 100.000 dieser elektronischen Tagebücher, die auf Persisch geführt werden. Sie alle nutzen das neue Medium um sich in einem Land, in dem es keine Meinungsfreiheit gibt, Gehör zu verschaffen. Die Regierung sah sich schließlich zum Handeln gezwungen: 2004 wird der erste Weblogger aufgrund seiner online-Aktivitäten verhaftet.

Hoder hat keine Angst vor der iranischen Regierung. Im Gegenteil. Er nutzt jede Möglichkeit, um die ausländische Öffentlichkeit auf die Probleme seines Landes aufmerksam zu machen. Seit einiger Zeit nimmt er unermüdlich an Veranstaltungen, Tagungen und Kongressen in aller Welt teil. Als Redner erzählt er von Zensur und Repression in seinem Land.

Im Juni 2005 reist er sogar zu den Parlamentswahlen nach Teheran, um von dort aus zu berichten. Gleichzeitig organisiert er, dass auch andere iranische Blogger täglich aktuell über den Wahlverlauf berichten.

Um im Wahlmonat weniger Schwierigkeiten mit den Behörden zu bekommen, hat er bereits im April verkündet, dass er sich in Teheran befindet – mit dem Ziel, seine eigene Glaubwürdigkeit bei den Mullahs in Frage zu stellen, für den Fall, dass er beobachtet wird.

Sein Aufenthalt in Teheran verlief letztlich ohne Zwischenfälle. Allerdings verweigerte man ihm am Ende die Ausreise. Am Flughafen hielten ihn Beamte fest. Sie konfrontierten ihn mit seinem Weblog in gedruckter Ausführung.

Obwohl Derakhshan wohl die Folgen seines Handelns nicht bewusst war, hatte er dennoch keine Angst. Denn er wusste nur zu gut, dass die Regierung eine Woche vor den Wahlen die Öffentlichkeit nicht unnötig mit Inhaftierungen und Verhören von Iranern verärgern würde.

Dennoch durfte Derakhshan erst nach sieben Tagen und zahlreichen Entschuldigen - die er unter anderem in seinem Weblog schreiben musste - schließlich ausreisen.

Im Gegensatz zu Derakhshan, der die Reformer im Iran unterstützt, stehen seine Eltern eher hinter den Konservativen. Doch auch wenn sie manchmal Angst um ihn haben, verteidigen und unterstützen sie ihn. Sie sind sogar ein wenig stolz auf ihren Sohn. Und sein Vater besucht inzwischen sogar einen Computerkurs.

Internetdissident zwischen den Welten

Heute will Hossein Derakhshan in New York leben. Dort kennt er einige Leute die ihn bei seiner Arbeit unterstützen würden. New York ist für ihn der Dreh- und Angelpunkt, an dem sich alles im Zeitalter der neuen Medien trifft und treffen wird.

Ein Appartement hat er dort auch schon gefunden und bereits bezogen. Jedoch hinderte ihn ein folgenschwerer Satz in seinem Weblog an der Einreise in die Vereinigten Staaten: "I am based in New York" – "Ich lebe in New York". Da Derakhshan, der mittlerweile Kanadier ist, keine offizielle Einreisegenehmigung für die USA vorweisen kann, darf er nicht verlauten, dass er in New York ansässig ist.

Jetzt lässt er sich seine Möbel wieder zurückschicken, wohin weiß er noch nicht genau. Vorerst ist ihm für die nächsten sechs Monate die Einreise in die Vereinigten Staaten verboten.

Hossein Derakhshan fühlt sich daher nicht nur heimatlos, sondern auch seiner Illusionen beraubt – auch was seine Freiheitsvorstellungen von Amerika angeht. Aber Derakhshan wäre nicht er selbst, wenn er resignieren würde.

Er überlegt sich, die sechs Monate sinnvoll zu nutzen und nach Europa zu gehen. Vielleicht kehrt er aber auch nach Kanada zurück. Fest steht für ihn nur eines: Er kann und will sich von überall aus für sein Ziel einsetzen, zu schreiben für ein freies Iran.

Golrokh Esmaili

© Qantara.de 2006

Qantara.de

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Hossein Derakhshan's Webseite (engl.)