Wachsende Herausforderungen, begrenzte Handlungsspielräume

Saudi-Arabien hat sich unter König Abdallah in den letzten fünf Jahren von den USA distanziert und eine aktivere Regionalpolitik als in der Vergangenheit betrieben. Doch das Königreich hat den Aufstieg Irans zur führenden Regionalmacht nicht aufhalten können. Von Guido Steinberg

König Abdallah von Saudi-Arabien; Foto: AP
König Abdallah gilt als religiös konservativ und stark pan-arabisch orientiert. In den fünf Jahren seiner Herrschaft ist er diesem Bild nur teilweise gerecht geworden.

​​ Als der saudi-arabische König Abdallah vor nunmehr fünf Jahren den Thron seines verstorbenen Halbbruders Fahd bestieg, herrschte bei vielen Beobachtern der internationalen Politik und anscheinend auch in der US-Regierung noch einige Skepsis vor. Abdallah galt als religiös konservativer und stärker pan-arabisch als pro-amerikanisch orientiert als sein Halbbruder, der während seiner 23-jährigen Regierungszeit immer ein Verfechter einer sehr engen Bindung an die USA gewesen war.

Abdallahs Kritiker befürchteten schon seit den 1990er Jahren, er könne versuchen, das Bündnis mit den USA durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit arabischen Nachbarstaaten wie Ägypten und Syrien zu ersetzen.

In anderen Szenarien wurde häufig die Möglichkeit einer aggressiveren Politik Abdallahs im Zusammenhang mit dem Friedensprozess im Nahen Osten und eine substanzielle Annäherung an den Iran diskutiert. Die Vertreter dieser Thesen erinnerten immer wieder daran, dass Abdallah im August 1990 – als der Irak gerade Kuwait besetzt hatte – der Entscheidung König Fahds heftig widersprochen haben soll, amerikanische Truppen ins Land zu rufen.

Obwohl sich die schlimmsten Befürchtungen der Washingtoner Strategen damals nicht bewahrheiteten, hat sich Saudi-Arabien unter Abdallah von den USA distanziert und eine sehr viel aktivere Regionalpolitik als in der Vergangenheit geführt, was in den USA mehrfach zu Verstimmungen führte.

Ironischerweise scheint diese Entwicklung jedoch weniger auf die Person des Königs und seine außenpolitischen Überzeugungen als vielmehr auf die saudi-arabische Enttäuschung über die amerikanische Politik in der Region und die Überzeugung zurückzugehen, dass Saudi-Arabien ein Vakuum füllen müsse, das der amerikanische Einflussverlust infolge des Debakels im Irak hinterlassen habe. Riad steht dem Aufstieg des Iran zu einer führenden Regionalmacht weitgehend hilflos gegenüber.

Iran auf dem Weg zur Vormacht

Der Thronwechsel im Spätsommer 2005 fand in einer schwierigen Zeit statt. Spätestens seit dem Amtsantritt des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad im Sommer 2005 setzte sich in Riad die Wahrnehmung durch, dass sich die saudi-arabische Regionalpolitik in einer schweren Krise befinde. Die saudi-arabische Führung befürchtete, dass der Iran sich anschickte, auch mit Hilfe seines Atomprogramms eine Vormachtstellung in der Golfregion und auch im Nahen Osten im engeren Sinne zu erlangen.

US-Ex-Präsident George Bush bei König Abdallah von Saudi-Arabein in Riad; Foto: AP
Konfliktpunkt Irakkrieg: Saudi-Arabien hat sich unter König Abdallah von den USA distanziert und sieht sich genötigt das Vakuum zu füllen, das der amerikanische Einflussverlust infolge des Debakels im Irak hinterlassen hat.

​​ Tatsächlich ist Teheran bereits seit Jahrzehnten darum bemüht, als Vormacht in der Golfregion anerkannt zu werden und überall dort möglichst weitgehenden Einfluss zu nehmen, wo arabische Schiiten leben – also in den Golfstaaten, im Irak und im Libanon.

Immer wieder führte dieser Anspruch zum Konflikt mit seinem saudi-arabischen Nachbarn. In Kombination mit dem Atomprogramm – das nach Ansicht der saudi-arabischen Führung vor allem militärischen Zwecken dient – und der aggressiven Rhetorik Ahmadinejads provozierte der regionale Einflussgewinn des Iran die Regierung in Riad geradezu zu einer aktiveren Regionalpolitik.

Rhetorische Distanzierung von den USA

Die saudi-arabische Besorgnis hatte einen zusätzlichen Grund in der Regionalpolitik der USA, von der sich der neue König zumindest rhetorisch mehrfach distanzierte. Grund dafür war der Eindruck, dass die US-Regierung auf den beiden für Saudi-Arabien zentralen außenpolitischen Feldern versagt habe: im israelisch-palästinensischen Konflikt und im Hegemonialkonflikt am Persischen Golf.

Gegenüber Israelis und Palästinensern hätte die Bush-Administration nach Ansicht Abdallahs schon seit ihrem Amtsantritt eine weitaus aktivere Rolle spielen müssen, um die Eskalation der Gewalt nach Ausbruch der zweiten Intifada Ende 2000 zu stoppen. Und durch den Regimewechsel im Irak, so der andere Vorwurf der saudi-arabischen Führung, habe Washington ungewollt die Ambitionen Teherans befördert und zur Destabilisierung der Region beigetragen.

Iranischer Präsident Mahmud Ahmedinejad; Foto: AP
Iran ist als aufstrebende Hegemonialmacht eine ernste Bedrohung für Saudi-Arabien, so die Analyse Guido Steinbergs.

​​ Überhaupt erwies sich der Irak-Krieg als wichtiger Anlass für die aktivere saudi-arabische Politik. Mit größter Sorge beobachtete Riad, wie im Frühjahr 2005 eine schiitisch dominierte und eng mit dem Iran verbundene Koalition die Regierung in Bagdad übernahm.

Dass sich in dem konfessionellen Bürgerkrieg, der anschließend ausbrach, ein Sieg der schiitischen Milizen abzeichnete, verschlimmerte die Situation aus saudi-arabischer Sicht weiter. Nach Auffassung der saudi-arabischen Führung sind arabische Schiiten natürliche Verbündete der schiitischen Iraner. Dass - nach Ansicht Abdallahs – mit den USA der wichtigste Verbündete Saudi-Arabiens den bis dato sunnitisch beherrschten Irak den Iranern übergab, wurde mit Unverständnis registriert und schuf enormen Handlungsdruck.

Schulterschluss mit Gegnern des Iran

Ab 2005 wurde die Eindämmung des iranischen Hegemonialstrebens nicht nur in der Golfregion, sondern auch in den palästinensischen Gebieten, im Libanon und in Syrien zum wichtigsten regionalpolitischen Ziel Saudi-Arabiens, und das Königreich wurde zum wichtigsten Gegenspieler Teherans in der arabischen Welt.

Ismail Haniya und Mahmud Abbas; Foto: AP
Das Mekka-Abkommen und die Versuche Riads, den Ausgleich zwischen den verfeindeten palästinensischen Gruppen Fatah und Hamas zu befördern, sorgten für Konflikte mit Washington, meint Guido Steinberg.

​​ In dieser Auseinandersetzung suchte Saudi-Arabien vor allem den Schulterschluss mit den Gegnern des Iran – wie Ägypten, Jordanien oder den kleinen Golfstaaten – und Akteuren wie der Fatah des palästinensischen Präsidenten Abbas und der libanesischen "Bewegung des 14. März".

Parallel dazu versuchte Saudi-Arabien dem Iran Handlungsmöglichkeiten zu nehmen, indem es innenpolitische Konflikte im Libanon und den palästinensischen Gebieten entschärfte. Die Grenzen einer solchen Politik zeigten sich besonders deutlich am Fall Palästinas, wo Riad im Februar 2007 das so genannte Mekka-Abkommen vermittelte. Die Streitparteien Hamas und Fatah bildeten anschließend eine gemeinsame Regierung der nationalen Einheit.

Das Mekka-Abkommen und die Versuche Riads, den Ausgleich zwischen Fatah und Hamas zu befördern, sorgten jedoch für Konflikte mit Washington. Die US-Regierung teilte zwar die anti-iranischen Motive Saudi-Arabiens. Sie setzte im Gegensatz zu Riad jedoch konsequent auf eine Isolierung der Hamas und untergrub damit die Pläne der saudi-arabischen Führung. Bereits auf dem Gipfel der Arabischen Liga im März 2007 kritisierte Abdallah den amerikanischen Boykott der Palästinenserbehörde.

Wie verstimmt Abdallah war, zeigte sich daran, dass er von der "illegalen Besetzung des Irak" durch die Amerikaner sprach. Die US-Regierung hielt jedoch an ihrer Strategie fest. In den folgenden Monaten musste Riad hilflos mit ansehen, wie die USA die Ergebnisse der saudi-arabischen Vermittlungsbemühungen zunichte machten. Zunächst bestärkte Washington die Fatah darin, der Hamas die Macht zu entreißen. Im Juni 2007 dann ging die Hamas in die Offensive und übernahm gewaltsam die alleinige Kontrolle über den Gazastreifen.

Die Schwäche saudi-arabischer Außenpolitik

Trotz aller saudi-arabischen Aktivitäten seit 2005 hat das Königreich den Aufstieg Irans nicht aufhalten können. Ein Grund war, dass Saudi-Arabien keine geeignete Antwort auf das iranische Atomprogramm fand. Saudi-Arabien will zwar verhindern, dass der Iran Nuklearwaffen entwickelt, steht in dieser Frage jedoch vor einem Dilemma.

Gipfeltreffen des Golf-Kooperationsrats GCC mit König Abdallah und Mahmud Ahmadinejad in Doha; Foto: AP
Saudi-Arabien wurde zum "wichtigsten Gegenspieler Teherans in der arabischen Welt", schreibt Guido Steinberg. Doch der stetige Aufstieg Irans spiegelt auch die Schwäche der saudischen Außenpolitik wider.

​​ Außenminister Saud al-Faisal soll sich im Mai 2006 folgendermaßen gegenüber US-Präsident Bush geäußert haben: "Wir haben zwei Alpträume über unsere Beziehung zum Iran. Der eine ist, dass der Iran eine Atombombe entwickeln wird, und der andere, dass Amerika militärisch vorgehen wird, um den Iran daran zu hindern, eine Atombombe zu bekommen."

Es dürfte schwer zu sagen sein, welches der beiden Szenarien für die saudi-arabische Führung schlimmer ist. Zwar verdichten sich die Hinweise, dass Riad einen Militärschlag gegen die iranischen Atomanlagen vorziehen würde, doch ist sich die saudi-arabische Führung bewusst, dass gerade die Golfstaaten die ersten Opfer iranischer Vergeltungsschläge werden könnten. Hier zeigte die Politik Abdallahs Züge von Hilflosigkeit.

Die Gründe für das Scheitern der saudi-arabischen Regionalpolitik unter Abdallah sind vielfältig. Sie gehen darauf zurück, dass Saudi-Arabien aufgrund seiner militärischen und demographischen Schwäche kein Gegengewicht zum Iran bilden kann. Es hätte starke Verbündete benötigt, doch der alte Konkurrent um die Führungsposition im arabischen Lager, Ägypten, fiel aufgrund seiner inneren Krise als Partner weitgehend aus. Schließlich zeigte sich auch, dass Saudi-Arabien seine regionalpolitischen Interessen nicht gegen den Willen der US-Regierung durchsetzen kann. Dies wurde in der Frage der Regierung der nationalen Einheit für die palästinensischen Gebiete allzu deutlich.

Überalterte Führungselite

Hier kommt auch die Person Abdallahs ins Spiel. Der König ist mittlerweile 87 Jahre alt und die Folgen der Überalterung in der saudi-arabischen Führung zeigen sich seit 2005 doch immer deutlicher. So beschweren sich Amtskollegen aus der Golfregion schon einmal, dass in Riad über Tage hinweg wichtige Politiker nicht zu erreichen seien.

Saudischer Außenminister Saud al-Faisal; Foto: AP
Akutes Altersproblem: König Abdallah ist 87 Jahre alt, seine möglichen Nachfolger sind alle weit über 70.

​​ Wahrscheinlich wird sich daran auch unter einem möglichen Nachfolger nicht viel ändern, da der Kronprinz und Verteidigungsminister Sultan bereits 85 und der nächste in der Thronfolge, Innenminister Naif, 77 Jahre alt sind. Ironischerweise gilt vielen Saudis der Gouverneur von Riad, Salman, mit seinen 74 Jahren als Hoffnungsträger.

Vor dem Hintergrund der Herausforderungen, die ein nuklear bewaffneter Iran in den kommenden Jahren mit sich bringen könnte, ist dies ein problematischer Befund. Saudi-Arabien benötigt möglichst bald eine grundlegende Erneuerung seiner herrschenden Schicht.

Guido Steinberg

© Qantara.de 2010

Guido Steinberg ist promovierter Islamwissenschaftler und Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Bis Oktober 2005 arbeitete Guido Steinberg als Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt. Sein Buch "Im Visier von al-Qaida. Deutschland braucht eine Anti-Terror-Strategie" ist vor kurzem erschienen.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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