Militärische Ehren für Erdogan - Merkel kritisiert Menschenrechtslage

Der Besuch des türkischen Präsidenten in Deutschland ist heftig umstritten. Bundespräsident Steinmeier empfängt ihn mit militärischen Ehren. Ernste Mienen zeugen von den vielen Problemen zwischen beiden Staaten.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist zum offiziellen Auftakt seines politisch umstrittenen Besuchs in Deutschland mit militärischen Ehren begrüßt worden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfing Erdogan in Berlin vor dem Schloss Bellevue, wo Erdogan sich in das Gästebuch eintrug, bevor es ein erstes Gespräch gab. Danach stand ein Mittagessen Erdogans mit Kanzlerin Angela Merkel auf dem Programm.

Die Mienen der Politiker waren betont ernst. In Berlin sind mehrere Demonstrationen angekündigt, die sich vor allem gegen die Inhaftierung von Journalisten und Regimegegnern in der Türkei wenden. Merkel kündigte an, mit Erdogan auch Kritisches zu besprechen. «Die Lage der Menschenrechte ist nicht so, wie ich mir das vorstelle», sagte sie am Donnerstagabend bei einer Veranstaltung der «Augsburger Allgemeinen». Jedoch müsse allen klar sein, dass die Türkei da kein Einzelfall sei. Deutsche Finanzhilfen für das wirtschaftlich angeschlagene Land schloss Merkel aus. Es müssten «kluge Verbindungen» gefunden werden, damit die Türkei stabil bleibe, sagte sie. Dabei denke sie an wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Bundesaußenminister Heiko Maas forderte die Türkei auf, mit Fortschritten bei Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit zur Normalisierung der Beziehungen beizutragen. «Wenn man in der Türkei eine europäische Perspektive haben will, dann muss man sich auch mit Fragen der Rechtsstaatlichkeit, der Pressefreiheit und der Meinungsfreiheit auseinandersetzen», sagte Maas am Rande der UN-Generalversammlung in New York.

Maas sagte voraus, dass der Normalisierungsprozess mit der Türkei noch einige Zeit in Anspruch nehmen werde. «Es gibt viele Fragen, die wir zu besprechen haben, auch die Konsularfälle, die noch nicht gelöst sind», sagte Maas. Gemeint sind die fünf aus politischen Gründen in der Türkei inhaftierten Deutschen. Die Bundesregierung dringt auf ihre Freilassung. Maas betonte aber, er sei schon froh darüber, dass jetzt mit der Türkei und nicht mehr übereinander geredet werde.

Das Verhältnis zwischen beiden Ländern war nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei vor zwei Jahren an einen Tiefpunkt gekommen - unter anderem wegen der Verhaftung deutscher Staatsbürger. Seit Anfang des Jahres gibt es eine schrittweise Entspannung.

Steinmeier hatte überzogene Erwartungen an den Besuch gedämpft und gesagt, die Staatsvisite sei kein Ausdruck von Normalisierung der Beziehungen, könne aber ein Anfang sein. FDP-Chef Christian Lindner warnte davor, in den Gesprächen mit Erdogan europäische Werte zugunsten wirtschaftlicher Interessen zurückzustellen. «Im Zweifel sind Werte und Völkerrecht wichtiger als Profite von Unternehmen», sagte Lindner in der ZDF-Sendung «Maybrit Illner».

Dagegen forderte der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid - entgegen der Position von EU und Bundesregierung - eine Ausweitung der EU-Zollunion mit der Türkei. «Ich bin dafür, die Gespräche für eine erweiterte Zollunion zu beginnen», sagte der Bundestagsabgeordnete den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft.

Erdogan will seinen Besuch auch nutzen, um die Geschäftsbeziehungen zur deutschen Wirtschaft auszubauen. Dazu soll in Kürze in Hamburg ein Büro der Behörde für Investitionsförderung («Invest in Turkey») eröffnet werden, wie deren Deutschland-Repräsentant Rainer Ptok der «Welt» sagte. Auch ein Büro in Berlin sei geplant. Die Behörde sei direkt dem Präsidenten unterstellt und solle Investoren bei der Ansiedlung unterstützen und Kapital in die Türkei holen.

Vor dem Besuch Erdogans soll Bundeskanzlerin Merkel einem türkischen Medienbericht zufolge eine «Terrorliste» mit 69 Namen übergeben worden sein. Aufgelistet seien Menschen, die in der Türkei wegen Terrorvorwurfs gesucht werden und in Deutschland Zuflucht gefunden haben wie der Journalist Can Dündar, berichtete die regierungsnahe Zeitung «Yeni Akit». Die Türkei fordere «dringend» die Auslieferung der Gesuchten. Die Liste enthalte auch genaue Adressdaten der Beschuldigten und Fotos, die sie beim Betreten und Verlassen ihrer Häuser zeigten. Von deutscher Seite gab es zunächst keine Bestätigung. (dpa)