"Eine Ehre für alle Verteidiger der Menschenrechte"

Der Menschenrechtspreis der Stadt Weimar wurde in diesem Jahr an den Palästinenser Issam Younis verliehen. Younis setze sich für den Schutz und die Achtung der Menschenrechte ohne Ansehen der Person und ohne Parteinahme ein, so die Begründung. Sagi Rotvogel sprach mit Issam Younis

Bild Issam Younis; Foto: menschenrechtspreis.de
Issam Younis ist der diesjährige Menschenrechtspreisträger der Stadt Weimar. Er fordert von Europa mehr Engagement für den Friedensprozess im Nahen Osten.

​​ Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen, dass die Stadt Weimar Ihnen den Menschenrechtspreis verleiht, und was bedeutet er für Sie?

Issam Younis: Dass die Preiskommission der Stadt Weimar mich ausgewählt hat, gibt mir ohne Zweifel ein gutes Gefühl. Die Auszeichnung ist von großer Bedeutung. Sie ehrt alle, die sich für Menschenrechte einsetzen – nicht nur eine Person. Sie beinhaltet auch die wichtige Botschaft, dass die Unterstützer von Menschenrechten in den palästinensischen Gebieten nicht alleine sind und dass es Menschen gibt, die ihre Sorgen trotz der komplizierten Lage teilen.

Ist es etwas Besonderes, dass die Auszeichnung aus Deutschland kommt?

Younis: Mit Sicherheit, denn Deutschland war bisher eher zurückhaltend im Nahen Osten, insbesondere in den palästinensischen Gebieten. Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass der Preis von der Stadt Weimar verliehen wird, die lange Zeit Symbol für den Niedergang der Demokratie und der Gerechtigkeit war.

Wie würden Sie die gegenwärtige humanitäre Situation in Gaza beschreiben?

Younis: Sie ist in jeder Hinsicht katastrophal. Wir sprechen hier von einer Blockade, wie es sie seit 1967 nicht gab und die sich auf alle Lebensbereiche der Bewohner auswirkt. Die Menschen können sich nicht frei bewegen, und Güter werden nicht hineingelassen. Es gibt keinen Nachschub mehr, weder bei der Elektrizität noch beim Trinkwasser. Auch das Abwassersystem ist stark gefährdet und stellt damit wiederum eine Gefahr für das Meerwasser und den Gazastreifen insgesamt dar.

Ein Palästinenser sitzt in seinem Laden bei Stromausfall mit einer Laterne; Foto: AP
Stromausfälle sind keine Seltenheit im Gaza-Streifen. Ein Großteil der Menschen ist abhängig von humanitärer Hilfe.

​​Eineinhalb Millionen Menschen einer Extremblockade zu unterwerfen, stellt eine Kollektivstrafe dar. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat sich wegen der katastrophalen Auswirkungen für palästinensische Zivilisten für eine Aufhebung der Blockade eingesetzt. 80 Prozent der Familien in Gaza sind direkt abhängig von humanitärer Hilfe, die nicht mehr ankommt. Wenn dies so bleibt, wird es zum Schlimmsten kommen.

Welche Schwierigkeiten müssen Sie bei der Beobachtung der Menschenrechtssituation im Gazastreifen bewältigen?

Younis: Wir arbeiten in einem komplizierten Umfeld. Normalerweise beschäftigen sich Menschenrechtsorganisationen mit der Missachtung der Rechte von Staatsbürgern durch ihre Regierung. In unserem Fall gibt es aber in erster Linie eine Besatzung, die die Hauptverantwortung für die Menschenrechtssituation trägt, und zusätzlich zwei palästinensische Regierungen, eine in Gaza und eine in Ramallah, die beide Mitverantwortung an der Menschenrechtssituation tragen. Insofern ist die Lage im Gazastreifen einmalig und hat besondere Implikationen für die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen, ihre Rolle und ihre Arbeitsfähigkeit.

Eine weitere große Herausforderung ist der Umfang der Menschenrechtsverletzungen. Wir müssen immer sehr schnell und kontinuierlich in einer sich rasch verändernden Umgebung agieren. Zudem ist diese Umgebung hinsichtlich der aktuellen politischen Komplikationen voller Gefahren.

Welche Chancen hat der Friedensprozess angesichts der komplizierten politischen Lage sowohl bei Palästinensern als auch bei Israelis?

Younis: Ich denke, solange der Friedensprozess nicht auf dem Völkerrecht, auf Menschenrechten, Gerechtigkeit und der Beendigung der Besatzung basiert, wird ihm kein Erfolg beschieden sein. Wir haben immer davor gewarnt, dass der Friedensprozess zum Scheitern verurteilt sein wird, wenn er darauf nicht aufbaut. Heute sehen wir überall Gewalt und keine Sicherheit.

Der Friedensprozess müsste breiter angelegt sein und müsste auf einer historischen Aussöhnung zwischen Palästinensern und Israelis beruhen. Dazu müsste das palästinensische Volk seine Rechte erlangen – und beide Völker in sicheren und anerkannten Grenzen leben.

Wie sehen Sie die Zukunft Europas im Nahen Osten auch im Hinblick auf die Präsidentschaft Obamas?

Younis: Die Rolle Europas müsste neu überdacht werden. Europa hat eine wichtige Rolle beim Friedensprozess gespielt, hat sich aber ein wenig mit der Rolle des Geldgebers begnügt, ohne politischen Druck vor allem auf Israel auszuüben.

Die EU müsste eine echte Initiative ergreifen und die Finanzierung an politische Maßnahmen knüpfen. Niemand kann behaupten, er wüsste nicht, was in den besetzten palästinensischen Gebieten passiert. Europa müsste sich mit einer effektiveren und engagierteren Rolle im Nahen Osten rehabilitieren, die den Konflikt beendet und eine historische Aussöhnung beider Völker ermöglicht.

Interview: Sagi Rotvogel

© Deutsche Welle 2008

Aus dem Arabischen von Günther Orth

Issam Younis arbeitete von 1995 bis 2000 als Koordinator für das Palestinian Center for Human Rights (Palästinensisches Menschenrechtszentrum). Er ist Mitbegründer und Direktor der Menschenrechtsorganisation Al Mezan. Issam Younis ist seit der Gründung im Jahr 1999 Direktor und die treibende Kraft der Organisation. Al Mezan dokumentiert Menschenrechtsverletzungen aller Konfliktparteien und bietet den Opfern Hilfe und Unterstützung.

Der Menschenrechtspreis der Stadt Weimar wurde auf Vorschlag des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung Günter Nooke am 10. Dezember 2008, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, an Issam Younis verliehen.

Qantara.de

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WWW
Menschenrechtsorganisation Al Mezan (in Englisch)

Menschenrechtspreis der Stadt Weimar