Urteil im NSU-Prozess - lebenslange Haftstrafe für Beate Zschäpe

Also doch: Das Münchner Oberlandesgericht verurteilt Beate Zschäpe als Mittäterin an allen Verbrechen des NSU. Die Plädoyers der Verteidiger und die Appelle der Hauptangeklagten beeindruckten die Richter nicht. Doch die juristische Aufarbeitung ist damit nicht zu Ende. Von Christoph Trost und Christoph Lemmer

Beate Zschäpe zeigt keine erkennbare Reaktion. Schwarz gekleidet, aber mit einem rot-weißen Schal, lauscht sie den Worten des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl. Höchste Spannung herrscht am Mittwoch im proppenvollen Gerichtssaal 101, als Götzl das Urteil im NSU-Prozess verkündet. Zschäpe hat den Kopf der Richterbank zugewandt, als der Richter sofort zur Sache kommt: Sie ist schuldig des zehnfachen Mordes und weiterer Verbrechen und Straftaten – und wird deshalb zu lebenslanger Haft verurteilt.

Das Münchner Oberlandesgericht verurteilt Beate Zschäpe also tatsächlich als Mittäterin an den Morden und Anschlägen des «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU): als Mörderin, als Attentäterin, als Bombenlegerin - auch wenn es bis heute keinen Beweis gibt, dass sie an einem der vielen Tatorte war. Doch das Gericht folgt nach mehr als fünf Jahren Prozessdauer, nach mehr als 430 Verhandlungstagen, nach Hunderten Zeugen und dem Bewerten und Wägen unzähliger Indizien ganz offensichtlich der Argumentation der Bundesanwaltschaft: dass Zschäpe «alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mitgesteuert und mit bewirkt» habe.

Auf die Maximalanklage der Bundesanwaltschaft folgt damit nahezu die Maximalverurteilung: Das Gericht stellt auch die besondere Schwere der Schuld fest, verzichtet lediglich auf die Anordnung von anschließender Sicherungsverwahrung. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht - der Bundesgerichtshof in Karlsruhe wird es auf Antrag der Verteidigung überprüfen müssen.

So leicht, wie der allgemeine Erwartungsdruck das vermuten ließ, war es für das Gericht nicht. Natürlich lag von Beginn an die Annahme nahe, dass Zschäpe alles gewusst haben müsse: bei einem befreundeten Trio, das gemeinsam in den Untergrund ging, gemeinsam in Wohnungen lebte, gemeinsam Urlaube an der Ostsee machte. Doch aus einer naheliegenden Annahme musste das Gericht in den vergangenen Jahren Gewissheit machen, Zweifeln nachgehen, diese ausräumen.

Deshalb hat dieser Prozess ja so lange gedauert: weil das Gericht, einem Mosaik gleich, ein großes Bild zusammensetzen musste. Und am Ende die Frage stellen musste: Reicht das, was Zschäpe in all den Jahren getan hat, zur Begründung einer Mittäterschaft aus? Kann sie deshalb als Mörderin bestraft werden, als hätte sie selbst den Abzug jener Waffe gedrückt, mit der ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt jahrelang mordend durch die Republik zogen?

Das Gericht hat diese Frage mit einem Ja beantwortet. In Summe reicht dem Senat also all das, was die Anklage zusammengetragen hat: etwa dass Zschäpe für die Tarnung im Untergrund gesorgt habe, das Geld verwaltet, die rechtsextremistische Gesinnung ihrer beiden Freunde geteilt, nach dem Tod der beiden das Bekennervideo verschickt habe - dass sie unterm Strich gleichberechtigtes Mitglied des Trios gewesen sei.

In der Urteilsbegründung sagt Götzl, die drei seien übereingekommen, als zusammengeschlossener Verband Menschen aus antisemitischen oder anderen Gründen zu töten. Er spricht von einer «gemeinsam vereinbarten Gesamtkonzeption» und ideologisch motivierten Zielen, an denen alle drei gleich großes Interesse gehabt hätten. Die Taten seien nur unter der Mitwirkung Zschäpes durchführbar gewesen.

Zschäpes Aufgabe sei es gewesen, für eine harmlose Legende nach außen zu sorgen, um die Entdeckung zu erschweren. «Sie unterwarf sich willentlich dieser gemeinsam gewollten Gesamtkonzeption», sagt Götzl.

Die Richter machen mit ihrem Urteil klar: Sie glauben Zschäpe nicht. Die 43-Jährige hatte zuletzt noch ans Gericht appelliert, sie wolle nicht für etwas bestraft werden, was sie weder gewollt noch getan habe. In ihren schriftlichen Einlassungen hatte sie erklärt, sie habe von den Morden und Anschlägen immer erst im Nachhinein erfahren, sie habe sich von den beiden Freunden nicht lösen können, sei abhängig gewesen, geschlagen worden. Zschäpes Verteidiger hatten argumentiert, ihre Mandantin sei keine Mörderin, keine Attentäterin. Doch beim OLG-Senat sind sie damit in keiner Weise durchgedrungen.

Für viele Angehörige der Opfer, die an diesem Tag ein letztes Mal in den quasi fensterlosen Saal 101 im Strafjustizzentrum in München gekommen sind, dürfte das harte Urteil gegen Zschäpe eine gewisse Genugtuung bedeuten. Sie hofften auf eine hohe Strafe, hatten einige von ihnen zuvor gesagt. Andere beklagen, unabhängig vom Urteil, dass ihre Fragen in dem Mammutprozess nicht beantwortet worden seien.

Beispielsweise die, warum gerade ihr Angehöriger sterben musste. Wie es aussieht, werden viele solcher Fragen unbeantwortet bleiben. Es bleibt auch die Frage nach dem teils eklatanten Behördenversagen. Die seelischen Verwundungen und der Schmerz bei den Angehörigen der vielen Opfer bleiben sowieso.

Nicht einmal der juristische Schlussstrich ist endgültig: Schon kurz nach dem Urteilsspruch, bevor die Urteilsbegründung überhaupt zu Ende ist, kündigt Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer an, Revision einzulegen. Damit ist der Bundesgerichtshof am Zug - genau der Senat, der in der Vergangenheit hohe Hürden für Verurteilungen wegen Mittäterschaft aufgestellt hatte. Bis die Richter in Karlsruhe entscheiden, wird es noch lange dauern - allein bis zur Vorlage der schriftlichen Urteilsbegründung könnten viele Monate vergehen. (dpa)