Muslimische Führung in Jerusalem ruft zu Rückkehr auf Tempelberg auf

Seit zwei Wochen hat sich die Krise um den Tempelberg in Jerusalem immer dramatischer zugespitzt. Befürchtet wurde eine neue Explosion der Gewalt, sogar ein neuer Palästinenseraufstand. Jetzt lenken beide Seiten ein - aber noch ist die Gefahr nicht gebannt. Von Sara Lemel und Maher Abukhater

Nach blutigen Unruhen und Angst vor einer neuen Explosion der Gewalt zeichnet sich in der Tempelberg-Krise in Jerusalem eine Beruhigung ab. Die muslimische Führung in Jerusalem verkündete am Donnerstag, der Status quo an der heiligen Stätte sei wiederhergestellt. Gläubige könnten wieder in der Al-Aksa-Moschee beten. Zuvor hatte Israel auch die letzten Kontrollvorrichtungen am Tempelberg (Al-Haram al-Scharif/Das edle Heiligtum) entfernt, der Juden wie Muslimen heilig ist.

«Alle Kontrollmaßnahmen an den Zugängen sind entfernt worden, was ein Sieg für unser Volk ist», sagte Abdul Athim Salhab, Vorsitzender des islamischen Rats, vor Journalisten in Jerusalem. Alle Metallbarrieren, Kameras und Metallträger seien abgebaut worden, hieß es in der Mitteilung. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas begrüßte die Entwicklung. Es war zunächst unklar, ob er eine Wiederaufnahme der vor einer Woche abgebrochenen Beziehungen mit Israel anordnen wird.

Israel hatte nach einem tödlichen Anschlag arabischer Attentäter auf Polizisten am 14. Juli stärkere Kontrollen von muslimischen Gläubigen mit Metalldetektoren angeordnet. Die Palästinenser protestierten dagegen, weil sie dies als Versuch Israels werteten, mehr Einfluss auf den Tempelberg zu erlangen.

Es bestand die Sorge vor einer weiteren gefährlichen Eskalation der Gewalt nach den Freitagsgebeten. Abbas' Fatah-Organisation und die im Gazastreifen herrschende radikalislamische Hamas hatten für Freitag zu einem neuen «Tag des Zorns» aufgerufen. Nach der Aufforderung der Wakf-Behörde zum Massengebet wird weiterhin damit gerechnet, dass Zehntausende zum Tempelberg kommen. Dabei werden neue Konfrontationen befürchtet. Israels Polizei ist weiter in erhöhter Alarmbereitschaft.

Israel ließ die Metalldetektoren am Dienstag wieder abbauen, nachdem bei Unruhen vier Palästinenser getötet und mehrere Hundert verletzt worden waren. Ein Palästinenser tötete am Freitagabend in einer israelischen Siedlung drei Mitglieder einer Familie.

Am Mittwochabend hatten nach Medienberichten rund 30.000 Muslime an Gebeten außerhalb des Tempelbergs teilgenommen. Seit Einrichtung der Kontrollmaßnahmen hatten Palästinenser die heilige Stätte boykottiert und stattdessen als Protest in der nahen Umgebung auf der Straße gebetet. Die Palästinenser lehnen für den Tempelberg jegliche Änderung des Status quo ab. Sie beharren auf freiem Zugang zu ihren Gebetsstätten dort ohne zusätzliche Kontrollen und Überwachung.

UN-Generalsekretär António Guterres drängte die politischen und religiösen Machthaber in einer in New York verbreiteten Mitteilung, provokative Handlungen und Rhetorik zu unterlassen.  Die Bundesregierung begrüßte am Donnerstag Kontakte zwischen Israel und Jordanien, die zur Entspannung der Lage am Tempelberg geführt hätten.

«Wir rufen alle betroffenen Parteien auf, sich weiterhin für eine tragfähige Lösung einzusetzen, die - unter Wahrung des Status Quo - den Sicherheitsbedürfnissen aller Seiten und der Bedeutung der heiligen Stätten Rechnung trägt», sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. «Alle Appelle oder Äußerungen, die dazu beitragen, die Situation weiter anzuheizen, wären vor diesem Hintergrund unverantwortlich.»

Netanjahu geriet durch das Nachgeben in der Krise intern stark unter Druck. Rechte Regierungsmitglieder in Israel warfen ihm vor, er habe vor den Palästinensern kapituliert. «Die Entscheidung, die Metalldetektoren angesichts von Drohungen mit Gewalt wieder abzubauen, war ein Fehler», sagte Erziehungsminister Naftali Bennett (Siedlerpartei) dem Armeesender am Donnerstag. «Israel ist schwächer aus dieser Krise hervorgegangen.»

Sogar Oren Chasan, Mitglied der Regierungspartei Likud und eigentlich Netanjahu-Getreuer, schrieb bei Twitter in Anspielung auf Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu: «Es gibt Leute, die dem Regierungschef die Zigarren und den rosa Champagner verzeihen werden. Aber die Kapitulation und den künftigen Schaden an Israels Sicherheit in der Tempelberg-Affäre, unsere Demütigung und die arabische Schadenfreude - nicht.» (dpa)