Unqualifizierte Immigranten unerwünscht

Auch wenn die europäischen Staaten die Migrationspolitik bisher als eigenen Souveränitätsbereich betrachten und deswegen nur zögerlich miteinander kooperierten, zeichnen sich nun gemeinsame Linien ab. Von Bernhard Schmid

Auch wenn die europäischen Nationalstaaten die Migrationspolitik bisher als eigenen Souveränitätsbereich betrachten und deswegen anfänglich nur zögerlich miteinander kooperierten, zeichnen sich doch gemeinsame Linien ab. Bernhard Schmid berichtet.

Nicht alle Zuwanderer sind unerwünscht. Vor allem jene mit "hohem Potenzial" gelte es sogar regelrecht anzuziehen. So etwa sieht es der Entwurf des französischen Innenministers Nicolas Sarkozy für ein neues – und an vielen Stellen drastisch verschärftes – Ausländergesetz vor, das in wenigen Wochen in der französischen Nationalversammlung debattiert wird.

Da ist die Rede von denen, die "besonders geeignet sind, auf bedeutende und dauerhafte Weise zur Entwicklung der französischen Ökonomie, zur Ausstrahlung Frankreichs in der Welt" beizutragen. In den Worten Sarkozys: "Wir wollen keine erlittene Einwanderung mehr, sondern eine ausgewählte Einwanderung […]."

Ihnen zuliebe soll sogar eine neue Kategorie von Aufenthaltstiteln geschaffen werden: eine Aufenthaltserlaubnis "für Kompetenzen und Talente".

Noch vor wenigen Jahren, als es um die Einschränkung des durch die nationalen Verfassungen garantierten Asylrechts etwa in Deutschland (Mai 1993) und Frankreich (August 1993) ging, warnte die offizielle Politik in Europa noch vor einem so genannten brain drain, also dem "Abzug der Gehirne".

Ökonomisch schwächere Länder in der so genannten Dritten Welt sollten, so hieß es, davor bewahrt werden, ihre zahlenmäßig begrenzten Bildungseliten durch Abwanderung an die reicheren Staaten zu verlieren. Verwehre man ihren Bürgern an den Grenzen der Industrieländer die Einreise oder jedenfalls die Niederlassung, so erfolge dies auch im Interesse ihrer Herkunftsländer.

Gezielte An- und Abwerbung von Eliten

Heute ist davon keine Rede mehr. Nunmehr organisiert man nichts anderes als die gezielte An- bzw. Abwerbung von Eliten. Die übrigen Zuwanderer, die auf dem Arbeitsmarkt "überflüssig" erscheinen, möchte man hingegen lieber fernhalten.

Die Abwehr der Einwanderung ist längst zum verabsolutierten Ziel, ja zur fixen Vorstellung der offiziellen europäischen Politik gegenüber vielen Entwicklungsländern geworden. Besonders im Mittelmeerraum nutzen die führenden EU-Staaten die bilateralen oder multilateralen Beziehungen, um dieses Programmziel vorrangig zu verfolgen und auch ihre Verhandlungspartner darauf zu verpflichten.

Im Umgang mit den afrikanischen Staaten etwa soll es darum gehen, unkontrollierte Migration schon in weit vorgelagerten Räumen einzudämmen, sei es durch wirtschaftliche Programme in den besonders "auswanderungsgefährdeten" Zonen oder aber – und dies steht derzeit im Vordergrund – durch rein polizeilich-militärische Maßnahmen.

Anlässlich eines europäisch-afrikanischen Ministertreffens im Dezember 2005 in Bamako, der Hauptstadt des westafrikanischen Staates Mali, wurde dieser Themenkomplex behandelt. Eine Folgekonferenz soll sich gar ausschließlich mit Themen der Migrationspolitik befassen.

"Obsession" der Abwehr

In Bamako fand Ende Januar 2006 auch der afrikanische Teil des Weltsozialforums statt. Dieses internationale Treffen von Aktivisten "für eine andere Welt" wurde an drei Schauplätzen angesetzt – in Caracas und Bamako; Ende März folgt noch Karachi; damit wird es nunmehr auf drei Kontinente aufgesplittet.

Auch in Bamako war die Migrationspolitik der reichen Industrieländer und vor allem der EU ein herausragendes Thema. Nur dieses Mal hatten die Kritiker das Wort, so zum Tagesordnungspunkt "Kriminalisierung von Migration". Lucile Damas von Attac Marokko etwa ging scharf mit der europäischen Politik ins Gericht, die sich ihrer Meinung nach durch Heuchelei und Doppelbödigkeit auszeichne.

Einerseits schließe man dort, wo es um die Aufhebung von Schutzbarrieren für die Ökonomien des Südens und die Durchsetzung von Freihandelsinteressen der stärkeren Nationalökonomien gehe, Abkommen ab, in deren Rhetorik viel von Zusammenarbeit zu gegenseitigem Nutzen die Rede sei. Dabei werde oft der Eindruck erweckt, dass die Verträge allein den Interessen der Länder des Südens und ihrer "Entwicklung" dienten.

Andererseits aber löse sich diese Rhetorik sofort in Luft auf, wenn es um den "Schutz" Europas vor unerwünschter Zuwanderung gehe. Stattdessen zeige sich dann eine regelrechte "Obsession" der Abwehr. Staaten wie Marokko, Tunesien, Libyen und Ägypten ließen sich vor den Karren der EU spannen, im Interesse einer weit vor die EU-Grenzen verlagerten Politik der Abwehr und Selektion von Migranten.

Endstation Libyen

Stichwort Libyen: In diesem nordafrikanischen Land unterhält Italien bereits seit zwei Jahre Auffanglager für Einwanderer und Flüchtlinge, deren Weiterreise in Richtung Europa nicht erwünscht ist. Außerdem sollen im Jahr 2004 und in den ersten Wochen von 2005 über 40.000 Migranten aus Italien auf dem Luftweg nach Libyen abgeschoben worden sein.

Vor allem die italienische und die deutsche Politik pocht in den letzten beiden Jahren auf den Vorschlag, die EU solle derartige "Auffanglager" für Flüchtlinge und Einwanderungswillige auf der Südseite des Mittelmeers einrichten. Italien lieferte seiner ehemaligen Kolonie Libyen bereits Radargeräte, Helikopter, Boote und Jeeps zur Grenzüberwachung – für den Einsatz am Mittelmeer und in der Sahara.

Buttigliones Freudscher Fauxpas

Deutschlands ehemaliger Innenminister Otto Schily blies in seinen letzten Amtsjahren auf europäischer Ebene weitgehend in dasselbe Horn wie sein italienischer Amtskollege Giuseppe Pisanu. Und der damals von der italienischen Regierung designierte Kandidat für das Amt des Justizkommissars in der Europäischen Kommission, Rocco Buttiglione, leistete sich bei seiner Anhörung vor dem Europaparlament in Straßburg Anfang Oktober 2004 einen außerordentlichen Fauxpas: Er sprach von "Konzentrationslagern" in Nordafrika, wo er doch eigentlich der Errichtung von "Auffanglagern" für unerwünschte Migranten das Wort reden wollte.

Dagegen opponierten auf EU-Ebene zunächst Frankreich und Spanien, da beide Staaten es für effektiver halten, die Migrationswilligen gar nicht erst aus ihren Herkunftsländern heraus und so nahe an die südliche Außengrenze der Union kommen zu lassen.

So sprachen sich auf der Tagung der EU-Innenminister in Florenz im Oktober 2004 die Regierungsvertreter aus Madrid und Paris gegen das in erster Linie von ihren deutschen, italienischen und britischen Kollegen verfochtene Programm der Errichtung von Auffanglagern in Nordafrika aus.

Die französisch-spanische Position hingegen bringt die Ursachen für Migration und Flucht zur Sprache und weist auf die Notwendigkeit der "Bekämpfung von Fluchtgründen" hin, will man die Migration nach Europa nachhaltig eindämmen.

Beide Positionen sind primär dadurch motiviert, dass möglichst viele Unerwünschte vom EU-Territorium ferngehalten werden sollen. Inzwischen hat sich die deutsch-italienische Position aber weitgehend durchgesetzt, und die Europäische Union finanziert bereits Pilotprojekte für Auffanglager in noch weiter entfernten Ländern wie Tansania – vier Millionen Euro sind dafür bewilligt – oder auch Pakistan. Dasselbe Bild zeichnet sich an den Ostgrenzen der EU ab. Moldawien und Weißrussland seien hierfür nur als Beispiele genannt.

Bernhard Schmid

© Qantara.de 2006

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