Theologe Khorchide: Wir haben innerislamischen Gesprächsbedarf

Intensive Sicherheitskontrollen am Eingang zu Münsters Rathausfestsaal. Geduldig stellen sich viele am Montagabend an, um zwei prominente Muslime in einer Diskussion über das brisante Thema "Ist der Islam noch zu retten?" zu erleben: den Religionspädagogen Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für islamische Theologie (ZIT) an der Universität Münster, und den Politikwissenschaftler und Islamkritiker Hamed Abdel-Samad. Beide haben eine "Streitschrift in 95 Thesen" verfasst, die demnächst als Buch erscheint. Über die Grundthesen wollen sie an diesem Abend diskutieren. Das Interesse ist groß; 200 Münsteraner müssen abgewiesen werden.

Abdel-Samad, bei jedem Schritt von Sicherheitsleuten begleitet, wirkt anfangs nervös, ja gehetzt. Khorchide macht zunächst klar, warum ihm so viel an ihrem Buch liegt: Abdel-Samad erreiche mit seinen islamkritischen Büchern viele Menschen, aber eine wirkliche Auseinandersetzung mit ihm finde nicht statt. "Ich sehe die Notwendigkeit einer Islam-Kritik und möchte darüber einen sachlichen Diskurs führen", erläutert der Theologe.

Abdel-Samad versichert, er schätze Khorchide wegen seiner profunden Kenntnisse, schaltet aber sofort auf Attacke um: "Dein Islam-Bild ist sympathisch, aber nicht authentisch." Den Koran lese Khorchide durch die Augen eines christlichen Theologen; der "liebe Gott", den er dort finden wolle, sei eine Projektion. Und: "Du hast kein fertiges Konzept für eine Reformation des Islam vorgelegt, denn der Islam ist als System nicht reformierbar", ereifert sich Abdel-Samad.

Khorchide bleibt gelassen und kontert: Es gebe nicht "den" Islam, sondern nur verschiedene Auslegungen. Abdel-Samads Islam-Bild sei statisch und ähnele dem der Fundamentalisten. Khorchide macht sich für einen dynamischen Islam stark, der den Koran-Text neu zum Sprechen bringe. "Ich gebe zu: Wir haben innerislamischen Gesprächsbedarf, vor allem im Hinblick auf die Gewalt", so der Theologe. Eine Herausforderung sei auch die Frage, ob der Islam mit dem Leben in einer pluralen Gesellschaft wie in Deutschland kompatibel sei und was es mit seinem Exklusivitäts-Anspruch auf sich habe.

Im Folgenden entwickelt sich eine kontroverse Diskussion über die Auslegung des Korans. Khorchide, von Abdel-Samad zu einer klaren Antwort herausgefordert, räumt ein, dass der Koran "nicht das direkte Wort Gottes" enthalte, sondern "Gotteswort in Menschenwort" darstelle und von vielen Rechtsschulen unterschiedlich interpretiert worden sei.

Abdel-Samad dagegen sieht viele Stellen im Koran, in denen Gott die Sünder und auch die "Ungläubigen", darunter Juden und Christen, beschimpfe und bedrohe. "Wir müssen unsere Lösungen von heute finden und brauchen eine Emanzipation von der Macht des Textes, eine Entmystifizierung", fordert Abdel-Samad erregt. "Unser Ziel heißt: Weg von diesem eifersüchtigen Gott, der die Menschen drakonisch bestraft." Khorchide hält dagegen: Der Koran verdamme Juden und Christen nicht pauschal.

Bei aller Gegensätzlichkeit hat die Diskussion aber auch heitere Seiten, etwa als Khorchide auf Abdel-Samads Frage, wie der Koran denn geoffenbart worden sei, trocken antwortet: "Ich war nicht dabei." Am Schluss schlagen dann die Wellen der Erregung richtig hoch, als ein Frager aus dem Publikum Abdel-Samad vorwirft, seine scharfe Islam-Kritik solle nur die Verkaufszahlen seiner Bücher steigern. Der Publizist kontert empört: "Wir haben ein Weltproblem, das mit dem Islam verbunden ist und nicht mit einer anderen Religion. Ich äußere mich zu ihm, weil er so explosiv ist und ich ihn am besten kenne."

Für eine Reform oder gar Reformation des Islam aber werde sich nie eine Person oder Institution finden, meint der Wissenschaftler. "Was wollen wir reformieren? Die Einstellung zum Terrorismus, das Demokratieverständnis oder das Bild der Frau im Islam?", fragt Abdel-Samad. "Wer sollte das aufnehmen oder umsetzen?" Der Islam sei immer immun gegen Reformen gewesen, so sein Fazit. "Wo sind die Verbündeten von Mouhanad Khorchide unter den Muslimen in Deutschland?" (KNA)