Merkels Flüchtlingspolitik und die Lage in Algerien

Für Merkels Flüchtlingspolitik sollte es eine wichtige Reise sein. Mit Algerien wollte sie eine engere Kooperation besiegeln. Dann kam eine Absage. Gelten soll aber: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Von Simon Kremer und Sascha Meyer.

Die offiziellen Besuchsprogramme sind gedruckt. Am Regierungsterminal in Berlin-Tegel treffen erste Mitreisende ein. Doch dann startet Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montagnachmittag überraschend doch nicht in einem Luftwaffen-Airbus nach Algerien. Kurzfristig ist von dort die Bitte gekommen, den Besuch auf einen späteren Termin zu verschieben. Der Grund: Der 79-jährige Präsident Abdelaziz Bouteflika, über dessen Gesundheitszustand ohnehin seit längerem gerätselt wird, ist an einer akuten Bronchitis erkrankt. Merkel dürfte daran gelegen sein, die Visite nachzuholen. Denn Berlin setzt auf Algerien als wichtigen Stabilitätsanker in Nordafrika.

Vor einigen Monaten hatte der seit 1999 amtierende Bouteflika noch einen seiner rar gewordenen öffentlichen Auftritte. Im Rollstuhl sitzend und gezeichnet von mehreren Schlaganfällen in den vergangenen Jahren, eröffnete er mit zitternder Hand und der Hilfe eines Begleiters die neue Oper in der Hauptstadt Algier. Schon länger tritt Bouteflika kaum noch in Erscheinung. Viele Algerier munkeln, er könne womöglich die Kontrolle verloren haben. Trotzdem thront der Präsident offiziell über allem: Weil die Angst vor Veränderung, Instabilität und Terror zu groß ist - auch über Algerien hinaus.

In seiner Mitteilung betont das Präsidentenamt, es handele sich um eine «vorübergehende» Unpässlichkeit. Der Staatschef halte sich «in seiner Residenz in Algier» auf, also nicht etwa im Krankenhaus. Das Treffen mit Merkel war für diesen Dienstag zum Abschluss ihres zweitägigen Programms geplant, das noch mehrere andere Termine vorgesehen hatte - von einem Gespräch mit Ministerpräsident Abdelmalek Sellal über eine deutsch-algerische Wirtschaftskonferenz bis zu einem Treffen mit gesellschaftlichen Organisationen. Hätte die Reise der Kanzlerin also vielleicht trotzdem stattfinden können? Das wäre wohl unvorstellbar gewesen, hätte es doch als ein Zeichen gedeutet werden können, der amtierende Staatschef spiele schon gar keine Rolle mehr. Beide Seiten verständigten sich denn auch auf algerischen Wunsch zügig darauf, den Besuch zu verschieben.

Wann Merkel die Reise nachholt, lässt sich natürlich nicht so schnell klären. Stärker in den Blick nehmen will die Kanzlerin Algerien und andere nordafrikanische Staaten aber auf jeden Fall. Denn von dort führt die inzwischen wichtigste Flüchtlingsroute über das Mittelmeer nach Europa. Da ist es schwierig, dass der eigentliche Schlüsselstaat in Nordafrika - das im Chaos versunkene Libyen - bis auf weiteres als Partner ausfällt. Von dort wagen aber die allermeisten Migranten die oft lebensgefährliche Fahrt in Booten nach Italien. Stattdessen rücken vor allem libysche Nachbarländer ins Visier. Im Herbst besuchte Merkel Mali und Niger, die zentralen Transitländer für Flüchtlinge aus südlicheren Krisenregionen wie Südsudan, Kongo oder Somalia, wo es Millionen Vertriebene sind. Und als wichtigen Akteur sieht Berlin eben auch Algerien, das ebenfalls an Libyen grenzt.

Dabei geht es nicht zuerst um Flüchtlinge aus dem Land selbst, aus dem weniger als ein Prozent der Überfahrten nach Italien starten. In Deutschland registrierten die Behörden im vergangenen Jahr bis November gerade einmal 3400 Asylanträge von Algeriern, 2900 davon wurden abgelehnt. In die Heimat zurückgebracht wurden 140 Algerier. Merkel wirbt daher seit längerem dafür, das Land plus Tunesien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten im deutschen Asylrecht einzustufen, um Abschiebungen zu beschleunigen.

Generell schweben Merkel nach dem Vorbild des EU-Pakts mit der Türkei Migrationsabkommen mit nordafrikanischen Ländern vor. Dabei soll es um mehr gehen als reine Fluchtverhinderung, etwa mit Unterstützung für Ausbildung, Sicherheit und Investitionen. Zu Forderungen aus der deutschen Politik, in Nordafrika Auffanglager für aufgegriffene Migranten zu schaffen, verhielt sich Merkel zuletzt eher reserviert.

Die südlichen Küsten des Mittelmeers will die Kanzlerin unabhängig von der Absage aus Algier auf der Agenda behalten. Im Frühjahr plant sie eine Reise nach Tunesien, wie Merkel schon ankündigte. Und im Juni ist Afrika Thema einer Konferenz, zu der sie als Präsidentin der großen Industrie- und Schwellenländer (G20) einladen will. (dpa)