Stillstand zwischen Polizeistaat und Islamisten - Bundeskanzlerin Merkel besucht Algerien in schwierigen Zeiten

Ein schwer kranker und hoch betagter Staatschef steht offiziell an der Spitze Algeriens. Seine Nachfolge ist ungewiss. Das nordafrikanische Land könnte erneut ins Chaos stürzen. Von Mey Dudin

Über den algerischen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika gibt es zwei Erzählweisen. Das offizielle Bild schildert einen aktiven Diplomaten: Im Januar zum Vizepräsidenten der Afrikanischen Union gewählt, Vermittler im Libyen-Konflikt und Partner Europas im Kampf gegen Terror und illegale Migration. Dann gibt es die andere Version, die realistischer sein dürfte. Sie handelt von einem seit Jahren schwer kranken Staatschef, der nur noch an der Macht gehalten wird, weil alles andere zu riskant wäre.

Laut einer Analyse der US-Denkfabrik Washington Institute ist Bouteflika «an den Rollstuhl gefesselt» und «nicht in der Lage, zu sprechen» - ein Satz der auch von algerischen Medien zitiert wurde. Am 2. März wird Bouteflika 80 Jahre alt. 2013 hat er einen Schlaganfall erlitten. In Algerien wird offen darüber spekuliert, dass er wohl nicht mehr lange wird regieren können. Wenn nicht ohnehin schon längst Spitzenbeamte die Regierungsgeschäfte übernommen haben.

Wie Bouteflikas Nachfolge aussehen könnte, ist völlig unklar. Und wegen dieser Ungewissheit wächst im größten Flächenstaat Afrikas mit seinen 39 Millionen Einwohnern die Sorge, dass ein neuer Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Armee beginnen könnte. Wie im «schwarzen Jahrzehnt», als in den 1990er Jahren der Terrorismus zum Alltag wurde und rund 150.000 Menschen getötet wurden. Die Folge wäre ein neuer Exodus von Flüchtlingen nach Europa.

Es ist die Angst vor diesem Szenario, die Algerien relativ stabil hält - und gleichzeitig lähmt. In diesen schwierigen Zeiten wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 20. Februar in dem Land erwartet. Die Flüchtlingskrise und die Terrorbekämpfung dürften ganz oben auf ihrer Agenda stehen.

Algerien ist Transitland und Herkunftsland von Migranten, die nach Europa kamen. Ende 2016 lebten nach Angaben der Bundesregierung mehr als 20.000 Algerier in Deutschland. Darunter waren knapp 1.000, die keinerlei Aufenthaltsrecht oder Duldung hatten.

Auch in den letzten Jahren kam es zu Terroranschlägen und Entführungen in Algerien, vor allem in der Sahara-Region. In der offiziellen Politik des Landes spielen die Islamisten im Moment zwar eine geringe Rolle, doch haben sie auf den Lebensalltag der Menschen starken Einfluss. So sehen sich viele Bürger sowohl vom Polizeistaat als auch von Islamisten bedroht.

Das hat auch der Schriftsteller und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Boualem Sansal, zu spüren. Sein jüngster Roman «2084 - Das Ende der Welt» handelt in Anlehnung an George Orwells «1984» von einem totalitären Regime, das die Menschen mit Hilfe religiöser Prinzipien beherrscht. Wegen seiner Islamkritik sprachen extremistische Prediger Fatwas gegen Sansal aus. Diese islamischen Rechtsgutachten rufen zu seiner Tötung auf.

Sansal muss mit der Bedrohung leben: «Die Realität sieht so aus: Die Islamisten können überall zuschlagen, und der Staat kann dir überall Schaden zufügen», sagt er lakonisch. Die größte Angst habe er dabei vor dem Staat, der ihn mit Überwachung und erfundenen Anklagen schikanieren oder die Ausreise verweigern könne. «Der Staat ist immer der Stärkere.»

Präsident Bouteflika wurde zuletzt 2014 für fünf Jahre wiedergewählt. Einen Nachfolger zu finden, der seine hohe Akzeptanz hat, dürfte schwierig sein. Denn seit seinem Amtsantritt 1999 hat der Präsident das Land nach dem Bürgerkrieg versöhnt.

Wegen seiner Krankheit gehen aber viele Algerier heute davon aus, dass inzwischen längst Said Bouteflika, der jüngere Bruder des Präsidenten, im Palast die Strippen zieht. Und dass hinter den Kulissen das Umfeld Bouteflikas, Armee und Geheimdienst darum ringen, wer künftig das Sagen hat - eine gefährliche Situation. So muss der kranke Staatschef wohl so lange es noch irgendwie geht, zumindest offiziell an der Spitze bleiben.

Auch der Mangel an Perspektiven für junge Algerier birgt Sprengkraft. Das an Erdöl und Gas reiche Land ist von den Rohstoffen so abhängig, dass sinkende Ölpreise schnell eine Wirtschaftskrise auslösen können. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt offiziell 30 Prozent.

Als im Frühjahr 2011 Rufe nach Reformen den «Arabischen Frühling» in einigen islamischen Ländern einläuteten, reagierte der Machtapparat in Algier sofort und kündigte soziale Reformen an: Dazu gehörte ein Wohnungsbauprogramm, welches es jungen Männern ermöglichen sollte, aus dem Elternhaus auszuziehen - ein wichtiger Schritt, um heiraten zu können. In Algerien blieb es denn auch weitgehend ruhig. Gegner eines radikalen Wandels verweisen auf die Gewalt in Libyen und Syrien. (epd)

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