Zankapfel Amona: Israels größte «wilde Siedlung» soll geräumt werden

Der Countdown läuft: Bis zum 25. Dezember soll Israels größte «wilde Siedlung» im Westjordanland geräumt werden. Der Fall Amona könnte zur Zerreißprobe für Israels rechts-religiöse Regierung werden. Von Sara Lemel

Die Wohnmobile auf dem kargen Hügel stehen dicht gedrängt nebeneinander, zum Schutz gegen den starken Wind. Kleine Kinder laufen aus einem der schlichten Caravane auf einen Spielplatz, der im Herzen der «wilden Siedlung» Amona liegt.

Der kleine Ort in der zerklüfteten Landschaft wirkt eher unwirtlich. «Wir sagen immer, dass wir im Winter Steine in die Schuhe unserer Kinder legen müssen, damit sie nicht wegfliegen», sagt Einwohner Eli Greenberg über die Lebensbedingungen in Amona. Er lebt mit acht Kindern im Alter von vier bis 21 Jahren in Israels größtem illegalen Außenposten im Westjordanland.

Amona erscheint wenig einladend - und doch ist es einer der am heftigsten umkämpften Flecken Land in der Region. Bis zum 25. Dezember soll die Siedlung mit mehr als 250 Einwohnern - die meisten davon Kinder - geräumt werden, so hat es Israels Höchstes Gericht angeordnet. Das Land gehöre rechtmäßig palästinensischen Einwohnern aus naheliegenden Ortschaften.

«Unser Land bedeutet uns mehr als ein Sohn», sagt Mariam Hammad, eine von zehn Besitzern. «Es bedeutet uns alles.» Die 82-jährige Palästinenserin erzählt, wie sie als Kind ihrem Vater bei der Ernte geholfen habe. «Wir haben ein Zelt aufgebaut, zum Schutz vor der Sonne. Wir haben Erbsen und Tomaten angepflanzt.» Seit 1998 habe sie ihr Land aber nicht mehr betreten dürfen. Hammad hat sieben Kinder und Dutzende Enkelkinder. Sie wünscht sich, dass ihre Erben das Land in Zukunft wieder beackern können.

Einwohner der naheliegenden Siedlung Ofra hatten Amona 1996 errichtet. «Sie folgten dem Aufruf der israelischen Regierung», betont Avi Roe, Sprecher des regionalen Siedlerrats. Israel unterscheidet zwischen 120 Siedlungen im Westjordanland, die mit Genehmigung der Regierung errichtet wurden, und rund 100 «wilden Siedlungen». Diese gelten zwar als illegal, werden aber weitgehend geduldet. Nach internationalem Recht sind alle Siedlungen illegal.

In Jerusalem, etwa 20 Kilometer südlich von Amona, arbeiten rechtsorientierte Abgeordnete fieberhaft an einem Gesetz, das solche Außenposten im Nachhinein legalisieren soll. Sie hoffen, damit die Zerstörung von Amona noch verhindern zu können. Denn die Einwohner sind auch nicht bereit, zur Entschädigung in eine andere Siedlung zu ziehen.

Der Fall Amona könnte zur Zerreißprobe für Israels rechts-religiöse und siedlerfreundliche Regierung werden. Bei einem ersten Räumungsversuch 2006 hatte es gewaltsame Konfrontationen zwischen tausenden Sicherheitskräften und tausenden Räumungsgegnern gegeben, obwohl damals nur neun Wohneinheiten zerstört wurden. Rund 200 Menschen wurden verletzt.

Doch Amona blieb bestehen und die palästinensischen Grundstückseigentümer baten die israelische Nichtregierungsorganisation Jesch Din um Hilfe. Diese erreichte 2008 beim Höchsten Gericht eine Entscheidung zur Räumung aller Häuser, weil diese auf privatem Land errichtet worden waren. Nach immer neuem Aufschub entschied das Gericht im Dezember 2014, Amona müsse binnen zwei Jahren zerstört werden.

Doch die jüdischen Einwohner Amonas wollen nicht gehen und beharren stattdessen auf ihrem «göttlichen Recht» auf das Land. «Ich habe hier als Kind gespielt», sagt der 42-jährige Nachum Schwarz, der in der naheliegenden Siedlung Ofra aufgewachsen ist. «Wir gehören zu diesem Land und dieses Land gehört uns», sagt der Landwirt, dessen Frau ihr siebtes Kind erwartet.

Schwarz spricht sich für eine Entschädigung der palästinensischen Grundstückseigentümer aus. «Die Zerstörung von Amona wäre eine große Ungerechtigkeit», meint er. Doch auch die Palästinenser beharren auf ihrem Recht auf das Land. «Geld ist für mich nichts, kein Geld kann mein Land aufwiegen», sagt Mariam Hammad entschlossen. «Ich will keine Entschädigung.» (dpa)