Britischer Autor Tariq Ali: Heiligsprechung von Mutter Teresa «lächerlich»

Mutter Teresa war eine «Verbündete des Status Quo»: Das sagte der Autor Tariq Ali schon vor mehr als 20 Jahren und kritisierte ihre Kampagne gegen Verhütung und Abtreibung in Indien. Ihre Heiligsprechung am 4. September findet er lachhaft. Von Bill Smith

Der britisch-pakistanische Autor und Filmemacher Tariq Ali (72) findet die bevorstehende Heiligsprechung von Mutter Teresa am 4. September «lächerlich». «Die meisten Heiligsprechungen sind lächerlich, aber diese hier ist auch dumm», sagt Ali in einem Email-Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Dieser Papst (Franziskus), der normalerweise sehr intelligent ist, muss die wahren Taten dieser albanischen Schwester kennen», sagt der Autor und verweist auf den Film «Hell's Angel» («Höllenengel») über Mutter Teresa, den er 1994 mit seinem 2001 verstorbenen Kollegen Christopher Hitchens drehte.

In der umstrittenen Dokumentation prangern die beiden mangelhafte medizinische und soziale Betreuung in Mutter Teresas Heimen für Arme und Sterbende in der indischen Stadt Kolkata (früher: Kalkutta) an, wo die viel gepriesene Wohltäterin einen «Todes- und Leidenskult» geschaffen habe. «Ich hoffe zumindest, dass der Papst sich «Hell's Angel» ansieht, wenn auch nur heimlich auf YouTube. Das könnte ihm die Augen öffnen», meint Ali.

Der britische Sender BBC hatte erstmals 1969 über das Wirken Mutter Teresas in Kolkata berichtet. Seitdem habe die «profane Verquickung von kitschigem Medienrummel und mittelalterlichem Aberglauben eine Ikone geschaffen ..., die bisher nur wenige infrage zu stellen gewagt haben», meinte der überzeugte Atheist Hitchens in der Dokumentation. Ali und Hitchens kritisierten, Mutter Teresa habe es versäumt, sich mit den Problemen der Armut auseinanderzusetzen.

Auch sei sie Konflikten mit Politikern aus dem Weg gegangen, die ihre Arbeit feierten, aber andernorts in militärische Konflikte verwickelt waren, oder deren Verbündete in Entwicklungsländern Gräueltaten verübt hätten. Als «Wanderbotschafterin eines zutiefst politischen Papsttums» habe Mutter Teresa gar den damaligen haitianischen Diktator Jean-Claude Duvalier als «Mann des Volkes» gepriesen. «Der Teresienkult ist inzwischen zu einem multinationalen Missionsbetrieb geworden, der jährlich zweistellige Millionenbeträge umsetzt», sagten die Filmemacher.

Die geplante Heiligsprechung der albanisch-indischen Friedensnobelpreisträgerin gilt nach Angaben von Radio Vatikan als die wichtigste des Jahres. Die 1997 im Alter von 87 Jahren gestorbene Nonne war 2003 von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen worden. Es handelte sich um eine der schnellsten Seligsprechungen der Neuzeit.

Selige und Heilige werden in der katholischen Kirche als Vorbilder christlichen Lebens verehrt. Im Dezember hatte Papst Franziskus einer Empfehlung der zuständigen Kongregation im Vatikan zur Heiligsprechung zugestimmt. Damit schrieb er ihr das dafür nötige zweite Wunder zu. Es soll sich dabei um die unerklärliche Heilung eines schwer kranken Mannes gehandelt haben.

Mutter Teresa hatte 1950 in Kolkata ihren Orden «Missionarinnen der Nächstenliebe» gegründet, weil die Armut sie dort so sehr erschüttert hatte. Die Nonne kümmerte sich um Obdachlose, Hungernde, Ausgestoßene und Todkranke und wurde deshalb auch «Engel der Armen» genannt. Auch heute noch sei Mutter Teresa für den Vatikan «eine Macht des Guten», sagt Ali.

Für westliche Medien und Politiker sei sie zu einer Ikone der Barmherzigkeit in einer schlechten Welt geworden. «Das ist der Wohlfühlfaktor. Es passieren eine Menge furchtbarer Sachen in der Welt. Hier ist etwas, auf das wir uns alle einigen können», sagt er.

Seit den 1960er Jahren gilt Ali als Kommentator der internationalen Linken. Er lebt in London, wo er die Zeitschrift «New Left Review» herausgibt. Zudem schreibt er Sachbücher wie «Das Obama-Syndrom» (2012) und historische Romane über den Islam. Zuletzt erschien auf deutsch «Die Nacht des Goldenen Schmetterlings» (2011). Zu den Aussagen seiner «Hell's Angel»-Dokumentation stehe er noch heute, sagt Ali. «Ja. Es gibt nichts, was ich oder Christopher Hitchens ändern würden, wenn er noch am Leben wäre. Das kann ich mit guter Gewissheit sagen.» Allerdings gibt er zu bedenken: «Ich bezweifle sehr, dass der Film, den wir damals gemacht haben, heute noch einmal in Auftrag gegeben oder gezeigt würde.» (dpa)