Integration ist keine Einbahnstraße

Die Studie "Ungenutzte Potenziale" des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung sorgt in letzter Zeit mitunter für Unmut. Die Soziologin und Migrationsexpertin Soraya Moket kritisiert insbesondere die Annahme von einer "Homogenität der Ethnien".

Die Studie "Ungenutzte Potenziale" des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung sorgt in letzter Zeit mitunter für Unmut. In ihrem Kommentar kritisiert die Soziologin und Migrationsexpertin Soraya Moket insbesondere die Annahme von einer "Homogenität der Ethnien".

Soraya Moket; Foto: DW
Soraya Moket: "Weil Zuwanderer unterschiedliche Hintergründe haben, sollten differenzierte Programme aufgelegt werden, die die jeweiligen Bedürfnisse berücksichtigen."

​​ Die Ergebnisse dieser Studie waren zu erwarten. Denn zum ersten Mal - und nach mehr als 50 Jahren Migrationsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland - wurde durch das Institut für Bevölkerung und Entwicklung ein Index zur Messung von Integration entwickelt (der so genannte "IMI"), welcher den Integrationserfolg der acht zahlenmäßig bedeutendsten Herkunftsgruppen untersucht.

Erstmals wurde auch das eigene Geburtsland wie auch das der Eltern als Unterscheidungsmerkmal registriert. So war es möglich, nicht nur zwischen Ausländern und Deutschen zu unterscheiden, sondern auch die bereits Eingebürgerten zu erfassen.

Diese neue Datenerfassung ist ein weiterer Schritt der Bundesregierung im Rahmen ihrer Integrationspolitik. Denn nach vielen Diskussionen hatte man in Deutschland zum ersten Mal ein Einwanderungsgesetz verabschiedet, das im Jahr 2005 in Kraft getreten ist, sowie ein Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ins Leben gerufen, das sich um Integrationsfragen kümmert und nicht um ein Rückkehrprogramm der so genannten "Gastarbeiter".

Keine Alternative zur Integration

Schließlich ist Integration ein Prozess, der von beiden Seiten – von der Aufnahmegesellschaft und den Eingewanderten – vollzogen werden soll und muss. Denn Integration ist Zeichen der gegenseitigen Akzeptanz und des kulturellen Austauschs. Sie äußert die Willkommensbereitschaft einer Gruppe oder Gesellschaft.

Türkische Immigranten vor deutscher Ausländerbehörde in Hamburg; Foto: dpa
"Das Gefühl des Willkommenseins wurde den so genannten Gastarbeitern nie wirklich entgegengebracht" - türkische Immigranten vor deutscher Ausländerbehörde

​​Dieses Gefühl des Willkommenseins wurde den so genannten Gastarbeitern nicht entgegengebracht. Wobei hier zweierlei Aspekte eine Rolle spielten: zum einen hat man sie als Gast bezeichnet, der sich gar nicht integrieren sollte, und andererseits hatten die Migranten, die in den 50er Jahren durch die Gastarbeiter-Abkommen nach Deutschland kamen, auch nicht die Absicht, zu bleiben. Die Migrationgeschichte der BRD bis 2005 zeigt diese Politik ganz deutlich.

Index zur Messung der Integration

Dennoch leben in Deutschland zurzeit rund 15 Millionen Zugewanderte bzw. deren hier geborene Nachkommen. Fast 20 Prozent der Bürger/innen in Deutschland sind Migranten bzw. weisen über ihre Familie einen Migrationhintergrund auf.

Doch woher kommen diese Zugewanderten? Welchen Status und Hintergrund hatten sie, als sie nach Deutschland kamen, wie finden sich die unterschiedlichen Herkunftsgruppen in Deutschland zurecht und welches Bundesland bzw. welche Stadt integriert besonders erfolgreich? Diese Fragen versuchte die Studie "Ungenutzte Potenziale" des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung zu beantworten.

Mit Hilfe von 20 Indikatoren, die ihrer Meinung nach mit ökonomischem Erfolg und sozialem Aufstieg gleichzusetzen sind, haben die Mitarbeiter/innen des Instituts daher einen "Index zur Messung von Integration" erarbeitet.

Falsche Indikatoren – falsche Schlussfolgerungen

Doch wie Migranten diesen ökonomischen Erfolg und sozialen Aufstieg schaffen können, hängt stark vom regionalen Angebot in verschiedensten Bereichen ab: von der Bildung bis zu den Arbeitsplätzen. Denn laut dieser Studie verläuft die Integration regional gesehen und generell dort besser, wo der Arbeitsmarkt möglichst viele Personen absorbieren kann.

Umgekehrt stößt sie auf Probleme, wo infolge eines Strukturwandels Arbeitsplätze in

Kinder-Demonstration gegen Visumspflicht in Hamburg; Foto: dpa
Mit Plakaten ("Schnuller Visum? Nein, Danke") demonstrierten bereits 1997 türkische Kinder vor ihrer Schule in Hamburg gegen die Einführung einer Aufenthaltserlaubnis und Visumpflicht für Jugendliche ausländischer Eltern.

​​der Industrie und im Bergbau abgebaut worden sind. Auf die Bundesländer bezogen weisen daher Hessen und Hamburg relativ gute Integrationswerte auf, besonders schlechte erreicht dagegen das Saarland.

Somit können wir festhalten, dass nicht die Migranten, die den ökonomischen Erfolg nicht wollen und sich somit nicht integrieren möchten, das Problem sind, sondern die tatsächlichen Schwierigkeiten sind die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Regionen, in denen sie leben.

Integrationsgrad der Migrationen nach Ethnien

Dass Aussiedler/innen in dieser Studie deutlich besser abschneiden als Türk/innen, die als ungelernte angeworbene "Gastarbeiter" nach Deutschland kamen, ist dabei keine Überraschung. Denn Aussiedler/innen, von denen viele erst nach dem Mauerfall in die Bundesrepublik kamen, haben meist eine gute Schulausbildung und häufig auch einen Hochschulabschluss.

Zudem gelten Aussiedler/innen per se als Deutsche – und sie bekommen auch umgehend den deutschen Pass, erfahren also ein Willkommens- und Zugehörigkeitsgefühl. Darüber hinaus gibt es für diese Bevölkerungsgruppe bereits seit den 90er Jahren gezielte Integrationsprojekte.

Noch besser integriert als die Aussiedler/innen sind laut Studie die Einwanderer/innen aus EU-Staaten, allerdings ohne die Anwerbeländer Griechenland, Spanien, Italien und Portugal. Diese Gruppe gilt als "europaweite Wanderungselite", die ohne Schwierigkeiten Beschäftigung findet und im Durchschnitt sogar besser ausgebildet ist als die einheimische Bevölkerung.

Ausgrenzung trotz Integrationswillen

Menschen aus afrikanischen Ländern oder dem Nahen Osten hätten dagegen trotz ihres akademischen Hintergrunds den ökonomischen Erfolg und sozialen Aufstieg nicht erreichen können und seien somit nicht gut integriert, so die Studie.

Diesen Status haben sie aber ihrer Migrationgeschichte zu verdanken. Ein hoher Anteil aus dieser Migrantengruppe kam nämlich als Asylbewerber/innen nach Deutschland. Daher haben sie Schwierigkeiten, eine angemessene Beschäftigung zu finden, zum einen, weil man ihre Abschlüsse nicht anerkennt, aber auch, weil ihnen keine Möglichkeiten zur Nachqualifizierung angeboten werden. Des Weiteren ist ihr ausländischer Pass ein Hindernis bei der Suche nach Jobs, die ihrer Befähigung entsprechen.

Bildung als Schlüssel für die Integration

Wir haben es hierbei mit Menschen mit ganz unterschiedlichen Bildungshintergründen zu tun. Die Intensität bzw. der Erfolg der Integration ist somit maßgeblich vom Bildungshintergrund der Migranten abhängig, aber auch von der Region, in der sie in der BRD leben, und die Region, aus der sie stammen, also der Urbanisierungsgrad. Anders, als so oft angekommen, spielt die ethnische Zugehörigkeit dabei – wie bereits die Sinus Studie von 2007 gezeigt hatte – keine Rolle.

Die Tatsache aber, dass ein Teil der Migrantenkinder den Aufstieg nicht geschafft hat, hängt

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​​also auch von unserem Bildungssystem ab. Denn Bildung ist in der BRD eine Frage des Einkommens und der sozialen Herkunft. Das belegen viele Studien. Mit diesem Problem haben auch Kinder deutscher Arbeiternehmer/innen mit geringerem Einkommen zu kämpfen.

Zwischen Billdungsstand der Schüler/innen und der sozialen Herkunft der Eltern bestehen nachweislich klare Zusammenhänge: allein mit "Können" oder "Wollen", also ohne gezielte Förderung seitens der Eltern oder Pädagogen, wird ein(e) Schüler/in heute voraussichtlich nicht viel erreichen.

Reform des Bildungswesens

Wir müssen mit diesen Daten sehr differenziert umgehen. Die Studie tendiert zur Vermischung der herkunfts- und schichtspezifischen Merkmale und geht von der Homogenität der Ethnien aus. Für eine gelungene Integration der Migranten und um einen Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen, müssen wir unser Bildungssystem reformieren. Außerdem muss die Mehrheitsgesellschaft offener auf die Migranten zugehen, um deren Potenziale für die Gesellschaft besser zu nutzen.

Integration ist keine Einbahnstraße. Und weil Zuwanderer/innen unterschiedliche Hintergründe haben, sollten differenzierte Programme aufgelegt werden, die die jeweiligen Bedürfnisse berücksichtigen.

Soraya Moket

© Qantara.de 2009

Dr. Soraya Moket ist promovierte Soziologin marokkanischer Herkunft. Sie lebt seit 15 Jahren in Deutschland. Ihr Buch "Politische Partizipation marokkanischer Frauen am Demokratisierungsprozess Marokkos" erschien 2007 im Iko-Verlag.

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