Sprechen mit einer Stimme?

In Deutschland gibt es verschiedene islamische Verbände. Sieben von ihnen haben kürzlich die Gründung eines gemeinsamen Dachverbandes beschlossen. Doch nicht alle Islam-Vereinigungen machen bei dem Zusammenschluss mit. Von Filiz Kükrekol

In Deutschland gibt es über fünf islamische Dachverbände und zahlreiche Unterorganisationen. Sieben solcher Vereinigungen haben kürzlich die Gründung eines gemeinsamen Groß-Verbandes beschlossen. Doch nicht alle Islam-Vereinigungen machen bei dem Zusammenschluss mit. Ein Bericht von Filiz Kükrekol

Wer darf islamischen Religionsunterricht erteilen? Der Bundesregierung fehlt bisher ein Ansprechpartner, der alle Muslime vertritt. Foto: dpa
Wer darf islamischen Religionsunterricht erteilen? Der Bundesregierung fehlt bisher ein Ansprechpartner, der alle Muslime vertritt

​​Zahlreiche Organisationen sind auf den Vorschlag des Islamrates eingegangen und möchten einen gemeinsamen Dachverband gründen. Neben dem Islamrat mit dabei werden sein der Zentralrat der Muslime, der Verband der Islamischen Kulturzentren, die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen, die Schura Hamburg und Niedersachsen sowie die Islamische Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg.

Sie alle möchten laut eigener Darstellung erreichen, dass die deutsche Bundesregierung demnächst einen einheitlichen Ansprechpartner für muslimische Belange vorfindet. Dieser soll ihre religiösen Interessen in Politik und Gesellschaft vertreten.

Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrates und einer der Mitinitiatoren, ist überzeugt, dass das Konzept von der Mehrheit der Muslime akzeptiert wird:

"Unser Ausgangspunkt ist, dass wir eine religiöse Gemeinde bilden", so Kizilkaya. "Darüber hinaus verfolgen wir keine anderen Ziele. Und weil unser Fundament auf dem Koran, der Sunna (etwa: Sammlung der Taten und Aussprüche Mohammeds - Red.) und dem deutschen Grundgesetz basiert, sind wir bereit, mit jedem zusammenzuarbeiten, der diese Werte mit uns teilt. Wir haben keine Zweifel daran, dass eine große Mehrheit dies akzeptieren wird."

Frage der Legitimität

Fakt ist allerdings: Nur ein Viertel aller in Deutschland lebenden Muslime ist überhaupt in einer der zahlreichen islamischen Vereinigungen und Verbände organisiert. Dies stellt die Legitimität des neuen Zusammenschlusses in Frage, zumal mit der dem türkischen Staat nahe stehenden Vereinigung DITIB ("Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion") die wohl wichtigste Groß-Organisation von Muslimen in Deutschland nicht mit von der Partie ist.

Für die Bundesregierung ist all dies ein Problem. Denn sie hätte gerne einen zuverlässigen Ansprechpartner mit größtmöglicher Legitimität - vor allem bei Entscheidungen über strittige Themen wie dem islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen. Dessen ist sich auch Ali Kizilkaya bewusst:

"In Sachen Religionsunterricht möchte die deutsche Regierung von uns einen einzigen Ansprechpartner. Wenn wir Muslime bei unseren Anliegen aber geteilter Meinung sind, haben wir Schwierigkeiten, unsere Interessen durchzusetzen. Ich meine allerdings, es gibt überhaupt keinen Grund, hier unterschiedlicher Meinung zu sein."

Von den Muslimen wird eine Struktur gefordert, die es ursprünglich im islamischen Kontext gar nicht gibt: die Bildung von Vereinen oder Vereinigungen, die die Belange einer muslimischen Minderheit gegenüber Staat und Gesellschaft vertritt. Der Islam kennt keine Mitgliedschaft in dem Sinne, wie es etwa in Deutschland die Mitgliedschaft in den christlichen Kirchen gibt.

Zudem sind zwei Drittel der über 3 Millionen Muslime in Deutschland türkischstämmig. Ein Großteil von ihnen ist geprägt von einem Islam, wie er in der Türkei vom Ministerium für Religionsangelegenheiten vertreten wird. DITIB gilt als verlängerter Arm dieses Ministeriums in Deutschland.

DITIB nicht beteiligt

Und DITIB beansprucht mehr oder minder deutlich einen Alleinvertretungsanspruch für die türkischstämmigen Muslime und beteiligt sich deshalb nicht an dem neuen Zusammenschluss.

"Ein Zusammenschluss, bei dem DITIB nicht dabei ist, wird nie Chancen auf Erfolg haben", betont Bekir Alboga, der Dialogbeauftragte von DITIB in Deutschland.

"DITIB ist für die in Deutschland lebenden Muslime der legalste religiöse Repräsentant. In der Türkei gibt es nur ein Amt für religiöse Angelegenheiten, und alle Imame werden vom Vorstand dieses einen Amtes ernannt. Religion wird in der Türkei nur von diesem Amt repräsentiert. Und deshalb vertritt DITIB auch in Deutschland diese Position, ist dann eben auch hier dieser Repräsentant - und so will sich DITIB auch verstanden wissen."

Vom Verfassungsschutz beobachtet

Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb DITIB und die anderen Groß-Vereinigungen nicht zusammenfinden. Der Islamrat, Mitinitiator des neuen Zusammenschlusses, steht auch "Milli Görüs" sehr nahe. Und diese türkische Organisation wird bereits seit Jahren von den deutschen Verfassungsschutz-Behörden beobachtet.

Ähnliches gilt für die 'Islamische Gemeinschaft in Deutschland'. Sie arbeitet zwar nicht unmittelbar im neuen Dachverband mit, hat jedoch einen starken Einfluss beim Zentralrat der Muslime - so Herbert Müller, Islamismus-Experte beim Verfassungsschutzamt von Baden-Württemberg.

"Ich glaube, dass die Verantwortlichen bei dem neuen Zusammenschluss durchaus die Problematik sehen, sich eventuell mit den falschen Leuten an einen Tisch zu setzten", meint Müller.

"Diverse Äußerungen aus dem muslimischen Spektrum hinsichtlich eines Alleinvertretungsanspruches von DITIB lassen zudem erkennen, dass da offensichtlich auch andere interne Probleme zu bewältigen sind. Offensichtlich ist hier Streit vorprogrammiert."

Ein schwieriges Unterfangen

Alleinvertretungsanspruch? Das ist natürlich eine delikate
Angelegenheit, gibt auch Bekir Alboga von DITIB zu: "Wir wissen, dass das Thema der Alleinvertretung aller in Deutschland lebenden Muslime eine äußerst sensible Angelegenheit ist. Doch weil es eben die Muslime direkt betrifft und weil es eine der wichtigsten Entscheidungen ist mit Hinblick auf die Zukunft der Muslime in Deutschland, könnte eine derart hastig zustande gekommene Vereinigung doch nur instabil sein!" Mit anderen Worten: DITIB wird da auch langfristig nicht mitmachen wollen.

In einem Jahr möchte der neue Dachverband erste Ergebnisse seiner Zusammenarbeit veröffentlichen. Das dürfte schwierig werden.

Nicht nur, weil nur ein Bruchteil der in Deutschland lebenden Muslime sich dort vertreten sieht. Sondern auch, weil der Islam in Deutschland ein Spiegelbild fast der gesamten islamischen Welt ist, einschließlich der verschiedenen, teils widerstreitenden oder miteinander konkurrierenden Richtungen in der Türkei. Es dürfte auf absehbare Zeit schwer bleiben, alle Muslime in ein Boot zu bringen.

Filiz Kükrekol

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005