Palästina und der Nationalsozialismus

In seiner Studie über die Beziehung Palästinas zum Nationalsozialismus macht der Historiker René Wildangel deutlich, dass es keine ungebrochene Zustimmung der Palästinenser für den Nationalsozialismus gab. Von Götz Nordbruch

​​Die "Enzyklopädie des Holocaust" gilt als eines der führenden Nachschlagewerke über die Judenvernichtung im nationalsozialistischen Deutschland.

In ihr findet sich auch ein ausführlicher Eintrag über den palästinensischen Mufti Haj Amin al-Husayni. In seiner Länge überschreitet dieser Eintrag sogar jenen, der sich mit der Person Adolf Hitlers beschäftigt.

Die jüngst veröffentlichte Studie des Historikers René Wildangel liest sich als Einspruch gegen eine Geschichtsschreibung, die in dieser Gewichtung der Einträge zum Ausdruck kommt.

In seiner über 400 Seiten langen Arbeit bietet Wildangel nicht nur neue Perspektiven auf zeitgenössische palästinensische Wahrnehmungen des Nationalsozialismus. Interessant ist vor allem auch seine Kritik an der bisherigen Forschung über die Haltung der palästinensischen Öffentlichkeit gegenüber dem Nationalsozialismus.

In der umfangreichen Einordnung seiner Studie in die bestehende Forschung geht Wildangel wiederholt auf eine bisher viel gelobte Publikation ein, die im vergangenen Jahr von Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers veröffentlicht wurde.

Kritik an bisheriger Forschung

In ihrem Band "Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina", das als "erste Gesamtdarstellung" der arabisch-nationalsozialistischen Beziehungen präsentiert wird, kommen die Autoren zu dem Schluss, allein die deutsche Niederlage in Nordafrika habe ein "deutsch-arabische(s) Massenverbrechen" an den Juden verhindert.

Schließlich, so die These von Mallmann und Cüppers, habe die arabische Bevölkerung in Palästina, aber auch in den anderen arabischen Ländern, bereit gestanden, um nach einem deutschen Vormarsch nach Ägypten mit der Vernichtung der Juden zu beginnen.

Wildangel macht keinen Hehl daraus, was er von dieser These hält: Die Vernichtungspolitik gegenüber den Juden war zuallererst ein deutsches Verbrechen, und – wie Wildangel hinzufügt – niemand käme ernsthaft auf die Idee, angesichts der Kollaboration der französischen Behörden von einem "deutsch-französischen Massenverbrechen" an den Juden zu sprechen.

Dass es Kollaborationen und ideologische Annäherungen auch in Palästina gab – mit Amin al-Husayni als prominentem Beispiel –, daran lässt auch Wildangel keinen Zweifel. Seine Auswertung von Archivbeständen in Deutschland, Großbritannien und Israel sowie vor allem auch von zeitgenössischen palästinensischen Quellen macht aber deutlich, dass von einer ungebrochenen Zustimmung der palästinensischen Öffentlichkeit für den Nationalsozialismus nicht die Rede sein kann.

So stießen Husaynis ideologische und politische Kontakte auch in der palästinensischen Bevölkerung vielfach auf ausdrücklichen Widerspruch. Diese Debatten schlugen sich auch in der Berichterstattung der arabischen Zeitungen nieder, in denen oft sowohl zustimmende als auch ablehnende Kommentare zum Nationalsozialismus Platz fanden.

Abgrenzung vom Nationalsozialismus

Trotz der Veröffentlichung von Berichten über die vermeintlichen Leistungen Hitlers ergriff beispielsweise die prominente Zeitung "Filastin" ausdrücklich Partei für eine demokratische Gesellschaftsform.

Faszination für die nationale Euphorie in Deutschland und die massenmobilisierende Wirkung der Person Hitlers schloss eine grundlegende Kritik der ideologischen Überzeugungen des Nationalsozialismus nicht aus. Selbst radikale arabische Nationalisten grenzten sich danach in ideologischer Hinsicht ab von nationalsozialistischen Überzeugungen:

"Sie machten sich Antisemitismus bzw. Rassismus zwar z.T. zu Eigen, mit dem eliminatorischen Charakter des NS-Regimes hatten sie aber nichts gemein."

Auch für die Kriegsjahre kommt Wildangel zu Ergebnissen, die sich in wesentlichen Punkten von gängigen Annahmen unterscheiden, die in der Forschung vertreten werden. Anders als in Teilen der ägyptischen Öffentlichkeit stieß beispielsweise der deutsche Vormarsch in Nordafrika in Palästina nicht auf begeisterte Reaktionen.

"Der Mythos vom 'Wüstenfuchs Rommel'", der oft als Symbol für arabische Sympathien für den Nationalsozialismus herhalten müsse, "da Araber in Ägypten und anderen arabischen Ländern sich für den deutschen General und den Krieg gegen die Kolonialmacht Großbritannien begeisterten, fand dabei in den arabischen Zeitungen (Palästinas) nicht statt".

Einschätzungen wie diese, die das Bild von einer pro-deutschen Euphorie in Palästina korrigieren, finden sich mehrfach in Wildangels Studie. Als Beitrag zur fortwährenden Kontroverse über die ideologischen und politischen Bezüge der damaligen arabischen Bewegungen zum Nationalsozialismus kommt der Band daher gerade recht.

Es wäre zu wünschen, dass Wildangels Arbeit eine ähnliche Aufmerksamkeit zu Teil wird, wie sie Mallmann und Cüppers mit ihren Thesen erfahren haben.

Götz Nordbruch

© Qantara.de 2007

René Wildangel: Zwischen Achse und Mandatsmacht. Palästina und der Nationalsozialismus. Klaus Schwarz Verlag, Berlin 2007), 444 Seiten

Qantara.de

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