"Ventil für unterdrückte Intoleranz"

In der öffentlichen Debatte um die Integration der Muslime dominiert eine pauschale Ablehnung des Islam. Umgekehrt verteidigen viele Muslime reflexartig ihre Religion. Die beiden Bücher "Islamfeindlichkeit" und "Islamverherrlichung" von Thorsten Gerald Schneiders behandeln die unterschiedlichen Facetten dieser Phänomene. Nimet Seker hat mit dem Politologen gesprochen.

Thorsten Gerald Schneiders; Foto: privat
"Die 2000 Jahre alte Geschichte des Antisemitismus in Europa mit ihren schrecklichen Auswüchsen ist in keiner Weise mit der aktuellen Islamfeindlichkeit gleichzusetzen", sagt Schneiders.

​​ Sie haben in dem Buch "Islamfeindlichkeit" Analysen und Essays zu unterschiedlichen Ausprägungen von Islamfeindlichkeit zusammengestellt. Welche Ausprägungen sind aktuell zu beobachten?

Thorsten Gerald Schneiders: Am deutlichsten wird die Islamfeindlichkeit beim Blick in die Medien, speziell im Internet, zum Beispiel in Weblogs. Aber auch auf den Websites von Zeitungen oder Radiosendern stößt man bei den Leser-Kommentaren häufig auf erschreckende Aussagen. Wie repräsentativ das ist bzw. wie aussagekräftig das an sich ist, ist eine andere Frage, denn die Islamhasser-Szene im Internet ist im Grunde sehr gut vernetzt. Das heißt, es ist oft ein und derselbe Kreis, der da agitiert.

An welchem Punkt verschwimmen die Grenzen der Islamkritik?

Schneiders: Man muss im Einzelfall sehen, wo es sich um legitime Kritik handelt. Es geht ja nicht darum, Kritik zu untergraben oder zu verbieten, sondern auf eine vernünftige Art und Weise Kritik zu üben. Im Zweifelsfall muss man genau hinsehen. Vereinfacht kann man sagen: Dort, wo der Boden der Sachlichkeit verlassen wird und Leute ein bestimmtes Eigeninteresse aus dieser Kritik ziehen; wo es nicht darum geht, Kritik zu üben, um das gesellschaftliche Zusammenleben zu verbessern, sondern wo es darum geht, persönliche Ansichten zu propagieren, und man dafür das Instrument der Islamkritik missbraucht.

Bei manchen stellt sich die Frage, ob hinter ihrer "Islamkritik" nicht bloß eine Aufarbeitung von persönlichen Problemen steckt, wenn sie zum Beispiel negative Erfahrungen in einem muslimischen Umfeld gemacht haben. In vielen Fällen werden jedenfalls rein persönliche Erlebnisse als repräsentativ für alle Muslime dargestellt.

​​ Viele Umfragen der letzten Jahre zeigen, dass Muslime in Deutschland und Europa immer weniger willkommen sind. Islamfeindlichkeit und Islamophobie sind also keine Randphänomene mehr, sondern scheinen in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Schneiders: In diesen Online-Foren handelt es sich nicht nur um rechtsradikale Randgruppen, da gibt es tatsächlich Leute aus der Mitte der Gesellschaft. Leute, die eine aktive Rolle in der Politik oder Wissenschaft spielen.

Ganz viele Phänomene, die wir hier in der öffentlichen Debatte mit dem Islam verbinden, könnte man eins zu eins auf andere Kulturkreise übertragen, nur keiner redet darüber. Sobald aber etwas mit dem Islam zu tun hat, ist ein öffentliches Interesse da. Verschiedenste Gruppen fühlen sich berufen, Stellung zu beziehen. Von daher findet man Formen der Islamfeindlichkeit im politischen Spektrum von ganz rechts bis ganz links. Ein weiterer Aspekt ist sicherlich der, dass muslimische Eiferer mit ihren Handlungen und Äußerungen die Stichworte liefern, aber das ist ein anderes Thema.

Die öffentliche Debatte ist in der Regel von Extremen dominiert. Entweder kommen die Fundamentalisten zum Zuge oder man hört die radikalen Islamkritiker, die polemisieren und Stimmung gegen Muslime machen. Leute, die sich bislang hinter Ausländerfeindlichkeit und Rassismus verstecken mussten, finden jetzt in der so genannten Islamkritik eine Art Ventil für ihre bislang unterdrückte Intoleranz. Unter dem Deckmantel der Islamkritik können sie ihre Ansichten wieder äußern.

In den Medien wird man – bildlich gesprochen – ja quasi angeschrien, endlich Islamkritik zu üben. Es wird der deutschen Bevölkerung vorgehalten, dass sie aufgrund historischer Erfahrungen einen pathologisch freundlichen Umgang mit Minderheiten pflege. Und das trägt dazu bei, dass verkappte Rassisten meinen, dass sie endlich wieder etwas sagen können, ohne den Makel des Rassismus aufgedrückt zu bekommen.

Der Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz hat des Öfteren darauf hingewiesen, dass es Parallelen zwischen dem Antisemitismus und der Islamfeindlichkeit gebe. Dafür wurde er heftig kritisiert. Wo liegen die Probleme in diesem Vergleich?

Schneiders: Erst einmal im Ausgangspunkt. Grundsätzlich verstehe ich Herrn Benz und verteidige auch seine Haltung. Wenn man sich mit dem schlimmsten Phänomen der Menschenfeindlichkeit in der Geschichte befasst, muss ich auch daraus Lehren ziehen und sehen, wo es heute vergleichbare Muster gibt, um sich frühzeitig damit beschäftigen zu können.

​​ Die 2000 Jahre alte Geschichte des Antisemitismus in Europa mit ihren schrecklichen Auswüchsen ist aber in keiner Weise mit der aktuellen Islamfeindlichkeit gleichzusetzen. Die historischen und theologischen Grundlagen sind ganz andere. Wenn man die heutige Islamfeindlichkeit mit dem Antisemitismus insofern vergleicht, als dass es demnächst eine Art Holocaust geben könnte, der sich gegen Muslime richtet – dann ist das natürlich völlig übertrieben und absurd.

Vielen prominenten Islamkritikern wie Necla Kelek wird ein pauschaler Rassismus vorgeworfen. Von den Islamkritikern heißt es dann, dass der Rassismus-Vorwurf ein Totschlag-Argument sei und jede Kritik am "Islam" im Keim ersticke.

Schneiders: Die Suche nach Totschlag-Argumenten zeigt, dass es in diesen Debatten nicht darum geht, eine Lösung zu finden, sondern schlicht und ergreifend darum, sich gegenseitig polemische Argumente an den Kopf zu werfen, ohne nach einer Lösung zu suchen. Das ist eine gefährliche Entwicklung.

Wenn man einen so genannten Islamkritiker und einen Fundamentalisten zusammensetzt, zitieren beide wahllos aus dem Koran, reißen Verse aus dem Kontext und schleudern sie sich entgegen. Der eine zitiert dann die Verse, wo es ums Töten geht, der andere zitiert die Verse, wo es heißt, es gibt keinen Zwang in der Religion – aber das ist kein lösungsorientierter Ansatz, hier geht es nur um Stimmungsmache. Was ist denn die Konsequenz aus dieser "Islamkritik"? Was ist die Konsequenz aus einer Aussage wie: "Der Islam ist das Problem", wenn ich Ralph Giordano zitieren darf?

Ralph Giordano; Foto: dpa
"Der Islam ist das Problem", sagt der Islamkritiker Ralph Giordano. Die Bücher von Schneiders wollen mehr Sachlichkeit in die Diskussion bringen.

​​Die Frage ist, warum geben er und viele andere keine Antwort darauf? Soll man den Islam verbieten? Geert Wilders in den Niederlanden will das: Er sagt, man muss den Koran auf den Index setzen. Wie kann man dergleichen Forderungen mit dem pluralistischen Geist des Grundgesetzes, das solche Leute ja krampfhaft zitieren, zusammenbringen? Von daher muss ich dafür werben und appellieren, dass man da mehr Sachlichkeit in die Diskussion hinein bringt.

Sie haben einen weiteren Band mit dem Titel "Islamverherrlichung. Wenn die Kritik zum Tabu wird" vorbereitet: Worum geht es darin?

Schneiders: Es geht zum einen darum zu zeigen, wie vernünftige Islamkritik aussehen kann. Es geht darum, die Grundlagen des Glaubens kritisch zu hinterfragen, aber nicht mit dem Ziel, sie abzuschaffen oder zu überwinden, sondern zu einem Denkprozess anzuregen und Impulse zu liefern. Ob man zum Beispiel bestimmte Interpretationen in der modernen Welt noch aufrecht erhalten kann. Zudem geht es um gesellschaftliche Missstände unter Muslimen in Deutschland – auch da verallgemeinern wir in diesem Buch nicht; wir sprechen bei Muslimen nicht von einer einheitlichen Masse – und die damit verbundene Hoffnung, dass sich das verändert.

Beispielsweise wenn wir uns den Bildungsstand vieler Muslime anschauen, finden wir viele Schüler auf Hauptschulen und Erwachsene mit schlechter Bildung, was nichts mit ihrem Glauben zu tun hat. Vielmehr handelt es sich häufig um Nachfahren von Einwanderern, die aus relativ einfachen Verhältnissen in dieses Land gekommen sind, von daher gibt es unbestrittenermaßen einige Defizite. Der Appell geht da beispielsweise an die Islam-Verbände, die dieses Problem noch besser erkennen müssen. Da muss etwas geschehen.

Interview: Nimet Seker

© Qantara.de

Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de

Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.): Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen, VS Verlag 2009.

Thorsten Gerald Schneiders (Hg.): Islamverherrlichung. Wenn die Kritik zum Tabu wird, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2010.

Qantara.de

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