Ein Leben für die deutsche Sprache

Für seine zahlreichen Übertragungen deutschsprachiger Lyrik ins Arabische erhält der libanesische Lyriker, Philosoph und Übersetzer Fuad Rifka die Goethe-Medaille, dem offiziellen Orden der Bundesrepublik Deutschland. Ein Interview von Rainer Traube

By Rainer Traube

​Fuad Rifka, Übersetzer, Dichter, Schriftsteller und Philosoph. Sie sind einer der wichtigsten Kulturvermittler zwischen Deutschland und der arabischen Welt, und jetzt auch Träger der Goethe-Medaille. Was bedeutet das für Sie heute im Alter von achtzig Jahren?

Fuad Rifka: Goethe ist mir ein Rätsel. Warum? Dass man ein Philosoph wird, das ist kein Problem. Dass man ein Dichter wird, das kann ich verstehen, dass man aber – auch noch – Jurist ist, das kann ich ebenfalls verstehen, und ebenso, dass man als Wissenschaftler wirkt. Alles das kann ich gut nachvollziehen. Aber, dass einer alle diese unterschiedlichen Formen der Existenz in sich vereint, und bei ihm sich diese Formen der Existenz zuhause fühlen, das ist für mich erstaunlich. Anders gesagt; für mich ist Goethe eine kosmische Figur – genau wie das Umfassende, genau wie das Umgreifende.

Goethe ist mir nahe, überall. Aber, er ist am schwierigsten zu fassen. Und, da das so ist, betrachte ich mich als sehr glücklich, dass ich seine Medaille erhalte. Das ist wirklich wie ein himmlisches Geschenk, ein heiliger Segen. Diese Medaille hat mein Leben irgendwie gerettet. Es ist die Krönung meines Lebens auf dieser Erde.

Das ist ein großes Wort und auch ein großer Dank zurück an Goethe von Ihnen. Sie haben da wirklich Pionierarbeit geleistet mit der Übersetzung deutscher Lyrik ins Arabische. Aber viele Experten sagen, man kann das nicht, die Sprachen sind zu verschieden, das Deutsche hat eine andere Logik als das Arabische. Also, eigentlich müssten Sie ja arbeitslos sein, wenn das so wäre? ​​

Fuad Rifka: Das ist genau, was ich erlebt habe. Wenn man den Mond nicht erreichen kann, ist es auch schön, den Mond auch von ferne zu sehen. Wenn man die Sterne nicht erreichen kann, ist es auch schön, die Sterne von weitem zu erblicken. Auch wenn die Übersetzung der Dichtung nicht perfekt sein kann, dann ist es doch schön, eine Ahnung davon zu bekommen und zu behalten, das ist besser als nichts. Die Frage ist, was ist besser für die Menschheit, für den Brückenschlag zwischen den Kulturen? Eine Übersetzung zu machen, die nicht exakt genau ist, oder überhaupt keine Übersetzung? Ich habe die erstere Möglichkeit gewählt.

Das heißt, man kann nicht wirklich übersetzen – Wort für Wort – man kann es interpretieren, freier formulieren?

Fuad Rifka: Jede Übersetzung ist eine Interpretation. Es gibt da gewisse Schwierigkeiten. Zum Beispiel sollte der Übersetzer von Dichtung selbst ein Dichter sein. Eine andere Frage ist, wie weit der Übersetzer in der Sprache des Textes zuhause ist. Es gibt eine sehr, sehr ernsthafte Schwierigkeit, nämlich, das Gedicht richtig verstehen zu können. Ich habe mehrfach einige Dichter angerufen, und Sie gefragt: Herr Soundso, was meinen Sie mit diesem Vers? Er erwiderte: "Herr Rifka, bitte, Sie müssen das entscheiden, was ich gemeint habe, das kann ich nicht mehr sagen, das Erlebnis ist schon vorbei. Ich kann dieses Erlebnis nie wieder gewinnen, Sie müssen das selbst entscheiden." Das heißt: Die Übersetzung ist die Interpretation einer Interpretation und damit sogar zwei Schritte weit weg vom Ursprung. Und das ist auch ein Problem, das müssen wir eingestehen. Aber was kann man machen? Sollen wir sagen, wir machen keine Übersetzungen mehr? Oder müssen wir weiter Übersetzungen machen und eine Brücke zwischen den Kulturen schlagen.

Fuad Rifka; Foto: Verlag Hans Schiler
"Jede Kultur hat ihre eigene Identität. Aber das soll nicht bedeuten, dass keine Kommunikation zwischen den einzelnen existiert", sagt Fuad Rifka.

​​ Sie sagen Brücke zwischen den Kulturen, Sie haben sich immer als Libanese, als Araber immer in die deutsche Kultur hineinversetzt und hineingefühlt. Jetzt, mit achtzig, wo schlägt Ihr Herz, in der deutschen Kultur oder in der arabischen Kultur? Sind Sie gespalten – oder sind Sie, wie Sie es mal gesagt haben, in der deutschen Kultur mehr zuhause als in der arabischen? Wo stehen Sie?

Fuad Rifka: Jede Kultur hat ihre eigene Identität. Aber das soll nicht bedeuten, dass keine Kommunikation zwischen den einzelnen existiert. Eine ausgezeichnete Brücke wäre das Gedicht. Eine Dichtung, die überhaupt keinen praktischen Zweck hat. Die Brücke, die dauerhaft zwischen den Kulturen bleibt, diese Brücke wird durch das Denken und durch das Dichten etabliert. Ich habe mein ganzes Leben der deutschen Literatur gewidmet. Und, ich bin wirklich sehr froh, dass ich die deutsche Sprache gelernt habe und damit direkt auf dem Boden der deutschen Kultur gelernt habe. Und das ist ein Glück, vielleicht viel mehr als ich verdiene.

Jetzt hat Ihr Laudator, Stefan Weidner, ein bekannter Übersetzer auch und Schriftsteller, einmal über Sie gesagt: Ihr Glaube an das Wort macht Sie zu einem originär arabischen Dichter. Ist das noch so? Glauben Sie ungebrochen an das Wort an die Kraft der Sprache?

Fuad Rifka: Das stimmt. In dem Sinne, dass wir in unserer Dichtung die Sprache sehr hoch schätzen. Wir verlassen uns sehr auf das, was man Rhetorik nennt. Die Sprache eines Gedichtes spielt eine große Rolle. Welche Worte, welche Ausdrücke der Dichter gebraucht, das ist sehr wichtig. So bleibt die Sprache bei uns ein Zentrum, besonders in der Welt der Dichtung.

Interview: Rainer Traube

© Qantara.de 2010

Fuad Rifka wurde 1930 in Syrien geboren, wuchs im Libanon auf, studierte in Beirut und wurde Mitbegründer der literarischen Avantgarde-Zeitschrift SHI'R. Er promovierte in Tübingen über die Ästhetik bei Heidegger und lehrt seit 1966 Philosophie an der Lebanese American University Beirut. Er übersetzt Hölderlin, Rilke, Trakl, Novalis und Goethe. Für seine Vermittlertätigkeit erhielt er im Herbst 2001 den Friedrich-Gundolf-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Ein Jahr später wurde er zum Mitglied der Akademie gewählt.

Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de