Theater ohne Parolen und Propaganda

Faruq Muhammad, irakischer Schriftsteller und Dramatiker, wird im Nachkriegsirak ein Stück von Brecht inszenieren. Mit ihm sprach Youssef Hijazi in Mühlheim an der Ruhr über das irakische Theater vor und nach dem Krieg.

Der irakische Schriftsteller und Dramaturg Faruq Muhammad war zusammen mit acht Kollegen Gast des Goethe-Instituts und des Theaters an der Ruhr. Youssef Hijazi sprach mit ihm über die Theaterlandschaft im Irak vor und nach dem Krieg.

Herr Mohammad, um neue Perspektiven für das irakische Theater zu entwickeln, trafen sich neun irakische Theaterleute in Mülheim an der Ruhr. Können Sie uns etwas über die Ergebnisse Ihres Treffens erzählen?

Faruq Mohammad: Die Ergebnisse sind weniger wichtig. Wesentlich war der Austausch zwischen den irakischen Regisseuren, Dramaturgen und Schauspielern aus dem In- und Ausland. Die Eindrücke, die wir aus Bagdad mitbrachten, spielten in der Begegnung eine wichtige Rolle, da wir die letzten Kriegsmonate am eigenen Leib miterlebt hatten. Wir haben Kollegen und Kolleginnen kennen gelernt.

Weiterhin erscheint mir wichtig, dass die Menschen in Deutschland uns gehört haben. Wir haben Fragen beantwortet, die von den Medien während der letzten Monate nur unzureichend übermittelt wurden.

Warum treffen Sie sich gerade in Deutschland?

Mohammad: Wir wurden im Rahmen des Projekts „Seidenstraße“ vom Theater an der Ruhr eingeladen. Das Projekt wurde von Roberto Ciulli 1997 ins Leben gerufen, mit dem Ziel, europäische und asiatische Theaterleute zusammenzubringen. Wir nahmen diese Einladung gerne wahr, zumal wir zur Zeit des Saddam-Regimes keine Möglichkeit hatten, an Festspielen teilzunehmen. So etwas war nur Regimetreuen möglich.

Die hier versammelten Theaterleute sind alle in fortgeschrittenem Alter. Warum waren die Jüngeren nicht vertreten?

Mohammad: Die Gastgeber waren an den Pionieren des irakischen Theaters interessiert. Natürlich haben wir eine neue Generation, doch die meisten von ihnen haben nicht einmal einen Reisepass. Die Jüngeren waren zur Zeit Saddam Husseins sehr unter Beobachtung. Doch das Theater an der Ruhr konnte im letzten Jahr ein jüngeres Ensemble einladen.

Wurde auf dem Treffen eine mögliche Zusammenarbeit mit deutschen Theaterhäusern anvisiert?

Mohammad: Es wurden keine festen Vereinbarungen getroffen, aber wir hoffen, dass es klappen wird. Auch will das Auswärtige Amt das Goethe-Institut in Bagdad wieder eröffnen. Wenn dies gelingt, werden wir die Zusammenarbeit über das Institut auch praktisch umsetzen können.

Sie wollen Bertolt Brecht und Heiner Müller inszenieren. Wollen Sie sich vom deutschen Kulturerbe inspirieren lassen?

Mohammad: Im seriösen irakischen Theater wurden immer schon internationale Dramatiker wie z. B. Shakespeare, Ibsen, Tennessee Williams inszeniert. Auch das deutsche Theater war schon immer im Irak präsent. In den Sechzigern führten wir Inszenierungen von Heiner Müller und Brecht auf. Ich selbst habe das Stück „Der gute Mensch von Sezuan“ für den irakischen Kontext neu bearbeitet. Der Regisseur Awni Karumi führte es 1985 mit großem Erfolg in Bagdad auf.

Wurden solche Stücke auch während der Baath-Ära aufgeführt?

Mohammad: Ja, es gab Aufführungen, allerdings ohne große Unterstützung. Manchmal war es sogar einfacher, wenn das Stück nicht von einem irakischen Dramatiker war, dann wurde es von dem Regime nicht so stark unter die Lupe genommen. Wir haben daher gerne internationale Stücke zur Aufführung gebracht. Sie wurden nicht als unmittelbare Kritik am Regime und der Situation im Irak aufgefasst.

Wurde dies ausgenutzt, um regimekritischen Positionen Gehör zu verschaffen?

Mohammad: Ja, die irakischen Künstler sind in der Regel politisch engagiert und machten dem Regime keine Zugeständnisse. Es gab auch regimetreue Künstler, doch sie verschwanden genauso schnell auch wieder. Nur wer seine Authentizität bewahrte, überlebte im Land oder wählte das Exil, um sich selbst und seine Ideale zu bewahren.

Was werden die Themen des irakischen Theaters in der nahen Zukunft sein?

Mohammad: Das ist noch ungewiss. Die Lage muss sich faktisch stabilisieren. Bisher vermissen wir Sicherheit und Stabilität, Freiheit und Bewegungsmöglichkeiten. Wenn das Leben wieder seinen geregelten Gang geht, wird daraus das neue Theater entstehen, ohne Parolen und Propaganda. Bisher war das Theater propagandistisch geprägt und heischte nach Ruhm für das Regime.

Die Libanesen wollten nach dem Ende des Bürgerkrieges nicht mehr daran erinnert werden, auch nicht im Theater…

Mohammad: Es gibt große Ereignisse, die durch ihre Dokumentation einen größeren Effekt erreichen als eine Theaterinszenierung. Wenn man an die Zerstörung durch Krieg erinnern möchte, reicht die Berichterstattung. Das Theater aber muss den Menschen berühren - ein humanistisches Menschenbild vermitteln, Fragen der Gerechtigkeit behandeln. Wenn eine Inszenierung den Menschen unabhängig von seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit wahrnimmt – den Menschen in seinem umfassenden Schmerz darstellt, wird der Zuschauer überall in der Welt die Menschlichkeit dieser Arbeit spüren, und es wird zu einer Annäherung zwischen ihm und dem Stück kommen. Das ist die Aufgabe des Theaters und der menschlichen Kreativität.

Interview Youssef Hijazi

Aus dem Arabischen von Simone Britz und Youssef Hijazi

© Qantara.de 2003

Faruq Mohammad ist Schriftsteller und Dramatiker, Absolvent der Fakultät für arabische Literatur an der Universität Bagdad, Chefdramaturg beim irakischen Fernsehen und mehrfacher Preisträger im In- und Ausland.

Theater an der Ruhr