"Ein dauerhafter Friede ist nicht in Sicht"

Pakistans Regierung hat einen Friedensvertrag mit den radikalen Islamisten ausgehandelt, in dem die Anwendung der Scharia für die Swat-Region erlaubt wird. Dies widerspricht nicht unbedingt der Verfassung, meint der pakistanische Jurist Masood im Qantara-Interview.

Pakistans Regierung hat einen Friedensvertrag mit den radikalen Islamisten ausgehandelt, in dem eine Anwendung des Scharia-Rechts für die nördliche Swat-Region erlaubt wird. Diese Entscheidung widerspricht nicht unbedingt der Verfassung, meint der pakistanische Jurist Zubair Masood im Qantara-Interview.

​​ Wie beurteilen Sie, vor dem Hintergrund der großen Verluste auf Seiten der Regierung und der islamistischen Rebellen, das jetzige Friedensabkommen für die Swat-Region?

Zubair Masood: Die Menschen im Swat-Tal haben es jedenfalls begrüßt. Das taten sie nicht, weil es sich um ein wirklich gutes Abkommen handelt, sondern in der Hoffnung, dass es Frieden und Ruhe bringt. Vorangegangen waren Bombardierungen, das Abbrennen von Mädchenschulen sowie viele Tote als Folge von Selbstmordattentaten. Für die Menschen außerhalb der Swat-Region mag es so aussehen, als handle es sich um einen Sieg der Taliban, doch für die Einwohner trägt das Abkommen die Hoffnung in sich, dass endlich wieder Normalität im Tal Einzug hält.

Wird der Friede Ihrer Meinung nach anhalten?

Masood: Ein dauerhafter Friede für Swat ist nur eine ferne Möglichkeit, da er nicht isoliert betrachtet werden kann. Fazlullah, der Führer der militanten "Tehreek-e-Taliban" (TeT), und Sufi Mohammad, der Führer der "Tanzeem Nifaz Shariate-Muhammadi" (TNSM) und Schwiegervater Fazlullahs, können keine freien Entscheidungen treffen, da sie von anderen Taliban und arabischen Kräften in den Stammesgebieten abhängen. Die TNSM nahm sozusagen die Rolle eines Friedensvermittlers zwischen der Regierung und der TeT ein. Die Taliban werden einen dauerhaften Frieden im Swat-Tal nicht akzeptieren, da dies nicht in ihrem Interesse ist.

Karte des Swat-Tals; Foto: Wikipedia
Das Swat Tal liegt nördlich von Peschawar, in Pakistans unruhiger Nord-West Grenzprovinz

​​ Meiner Ansicht nach vermochte weder das alte Rechtssystem, den Menschen im Swat-Tal effektiv zu ihrem Recht zu verhelfen, noch wird es die neue, so genannte "Nizam-e-Adl"-Verordnung tun, die die Durchsetzung der Scharia als Basis des Rechtssystems für die Swat-Region und die angrenzenden Gebiete festschreibt. Deshalb werden die Taliban das Versagen des neuen Rechtssystems als Vorwand nutzen, um wieder zur Gewalt zurückzukehren.

Wer profitiert am meisten von diesem Abkommen und warum?

Masood: Wir müssen uns daran erinnern, dass es weder die Provinzregierung noch die Bundesregierung ist, die Entscheidungen trifft, die im Zusammenhang mit dem „War on Terror“ stehen, sondern das Militär. Ich denke, dass das militärische Establishment zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen will.

Zum einen erlaubt das Abkommen der pakistanischen Armee, ihr Gesicht zu wahren, denn sie hat weder die Absicht, noch verfügt sie über die Möglichkeiten, gegen die Taliban zu kämpfen. Und zum anderen verfolgt das militärische Establishment noch immer die Politik der "strategischen Tiefe" in Afghanistan und versucht, Indien mit militärischen Nadelstichen zu schwächen.

Ist denn der Strafvollzug gemäß Scharia - insbesondere in der Swat-Region - ein neues Phänomen in Pakistan?

Das Malam Jabba Ski Ressort
Das "Malam Jabba Ski Ressort" im Swat-Tal - die Region wird auch "Die Schweiz Pakistans" genannt

​​ Masood: Die Scharia ist für die Menschen dort kein wirklich neues Phänomen. Bevor die Swat-Region gegen Ende der 1960er Jahre zu Pakistan fiel, kannten die Menschen dort nur zwei Arten, um ihre Streitigkeiten zu lösen: entweder nach der "riwaj" (Tradition) oder gemäß der Scharia. Die meisten bevorzugten die "riwaj", da diese eine schnelle Klärung des Rechtsstreites versprach.

Nachdem die Swat-Region an Pakistan gefallen war, wurden die regulären Gesetze und das Gerichtswesen Pakistans auf Swat ausgedehnt. Doch ging hierbei das Element der „schnellen Justiz“ verloren. Die Menschen konnten sich mit dem neuen Recht nicht wirklich anfreunden.

1994 gründete Maulana Sufi Mohammad eine Bewegung mit dem Namen "Tehrik-e-Nifaz-e-Shariat-e-Mohammadi" (TNSM), die den Strafvollzug nach Scharia-Recht forderte. Daraus wurde bald ein bewaffneter Kampf gegen die Regierung. Unter Benazir Bhutto musste eine neue Verordnung erlassen werden, in der man den Forderungen Sufi Mohammads entgegenkam.

Die Nomenklatura des Distrikt-Richters wurde durch den "gazi" ersetzt, der von einem "alim" (Religionswissenschaftler) unterstützt wurde, um der Interpretation der Scharia Rechnung zu tragen. 1999 trat eine neue Verordnung in Kraft, durch die die Religionswissenschaftler aus dem System entfernt wurden. Doch trotz aller Lippenbekenntnisse zur Scharia wurde das Grundanliegen der Menschen in Swat – eine schnellere, effektivere Rechtssprechung – nicht berücksichtigt.

Die jetzige Scharia-Verordnung von 2009 soll eine Verbesserung gegenüber den vorherigen Regelungen bringen. Das neue Element darin ist, dass den Gerichten eine zeitliche Obergrenze auferlegt wird, bis zu der ein Urteil ergangen sein muss: vier Monate für Strafverfahren und fünf Monate für Zivilklagen. Außerdem wurde das „Schariat-Appellationsgericht“ gebildet, das über Rechtbehelfe in erster Instanz bereits ergangener Urteile entscheiden soll. Die Entscheidungen dieser Kammer sollen endgültig sein und auch durch das Oberste Gericht Pakistans nicht mehr angefochten werden können.

Und wie beurteilen Sie als Anwalt die Vereinbarkeit der sogenannten "Nizam-e-Adl"-Verordnung mit der pakistanischen Verfassung?

Masood: Nun, die pakistanische Verfassung ist inzwischen selbst nicht mehr als ein Konglomerat von Widersprüchen, als Folge der vielen Manipulationen durch die jeweils amtierenden Generäle im Laufe der pakistanischen Geschichte. Es kann nicht mehr als zusammenhängendes und konsequentes Dokument angesehen werden.

Mit dem Prozess der "Islamisierung" unter dem General Zia-ul-Haq (1977-1988), das heißt, nach der Einführung eines parallelen islamischen Rechtssystems und dem "Islamic Ideology Council", ist die aktuelle Fassung der pakistanischen Verfassung nicht als säkular zu bezeichnen. So kann ich auch keine Unvereinbarkeit von "Nizam-e-Adl" mit der Verfassung erkennen – es sei denn indem es die Rechtssprechung des Obersten Gerichts zugunsten der "Shariat-Appellationskammer" außer Kraft setzt.

Die große Frage ist nur: Was ist die Scharia? Wer entscheidet darüber? Dies wird aus der jetzigen Verordnung nicht klar. Letztlich wird es wohl der Lauf von Maulana Fazlullahs Gewehr sein, der darüber entscheidet, welche Scharia gemeint ist.

Welche Folgen wird dieses Abkommen für die Situation der Menschenrechte in Swat und anderen Regionen haben?

Masood: Derzeit geht es in erster Linie um das Recht of Leben und Freiheit, weshalb alle anderen fundamentalen Rechte, also soziale, politische und ökonomische, nachgestellt werden. Doch ist es klar, dass die Taliban-Auffassung der Scharia die grundlegenden Rechte der Frauen, Mädchen, Minderheiten und von Menschen mit abweichender Meinung eklatant verletzt.

Zudem sendet das Abkommen ein gefährliches Signal an andere Gruppen aus. In letzter Zeit hörte ich weitere Forderungen nach Einführung des Scharia-Rechts in verschiedenen Regionen, darunter auch Peschawar.

Die Regierung Obama ist dabei, eine neue Strategie für Afghanistan und Pakistan auszuarbeiten. Wie sollte eine solche Strategie Ihrer Meinung nach aussehen?

Masood: Es ist sehr ermutigend, dass die neue Regierung in Washington sich über die Ereignisse in der Swat-Region sorgt. Zuvor lenkte sie ihren Blick einzig auf die FATA (Federally Administered Tribal Areas, Stammesgebiete unter Bundesverwaltung; Anmerkung der Redaktion). Die neue Regierung muss erkennen, dass die Probleme von Swat, den FATA und Afghanistan die gleichen sind. Da sie untrennbar miteinander verwoben sind, muss für die Lösung der Probleme ein ganzheitlicher Ansatz gefunden werden.

So wäre es beispielsweise sinnvoll, den Akteur Indien mit in die Verantwortung zu nehmen. Wenn der Einfluss der Taliban nicht rechtzeitig eingedämmt wird, wird es schlimme Folgen für die "North-West Frontier Province", Pakistan, aber auch die Welt insgesamt haben.

Interview: Nusrat Sheikh

© Qantara.de 2009

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Qantara.de

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