Lehren aus dem Irak-Konflikt?

Die neue Afghanistan-Strategie der US-Amerikaner unter Obama zwingt die europäischen Staaten zu Entscheidungen. Wollen sie verstärkt Einfluss nehmen, müssen sie ihre bereits übernommenen Aufgaben weitaus effektiver erfüllen. Von Guido Steinberg

Obama zu Besuch bei Hamid Karsai im Juli 2008; Foto: AP
Bereits vor seiner Wahl zum US-Präsidenten zeigte er ein spürbares Interesse zur Lösung des Konflikts am Hindukusch: Obama zu Besuch bei Hamid Karsai im Juli 2008.

​​ Kurze Zeit nach dem Amtsantritt Barack Obamas als Präsident der USA zeigen sich bereits die ersten Konturen seiner Politik gegenüber dem Irak und Afghanistan.

Das Land am Hindukusch genießt dabei höchste Priorität. Bereits angeordnet ist eine Verstärkung der amerikanischen Truppen in Afghanistan um zunächst 17.000 Mann.

Darüber hinaus hat Obama verdeutlicht, dass er sich nicht auf eine rein militärische Strategie verlassen wird, sondern plant, den Wiederaufbau des Landes zu forcieren. Es spricht einiges dafür, dass das amerikanische Militär und die politische Führung wichtige Elemente der Irak-Strategie der Jahre 2006 bis 2009 auf Afghanistan übertragen werden.

Die schrittweise Beruhigung der Lage im Irak seit 2007 war ein großer Erfolg für die Bush-Administration. Im Laufe der beiden folgenden Jahre gelang es den USA und ihren irakischen Verbündeten, den im Land tobenden Bürgerkrieg zu beenden und die Sicherheitslage zu stabilisieren.

Faktoren für den Rückgang der Gewalt

Zwar ist das Gewaltniveau immer noch hoch, doch die schlimmsten Exzesse gehören der Vergangenheit an. Dieser Erfolg hatte drei Gründe:

Erstens die Erhöhung der amerikanischen Truppenzahlen von knapp 30.000 auf 160.000 und Änderungen in der Militärtaktik, zweitens Verhandlungen mit sunnitischen Aufständischen, um sie zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes zu bewegen, und drittens ein entschlossenes Vorgehen gegen schiitische Milizen, in erster Linie gegen die Mahdi-Armee des populistischen Predigers Muqtada as-Sadr.

Mahdi-Miliz in Sadr City, Bagdad; Foto: AP
Zunehmend in der Defensive: die Mahdi-Miliz des radikalen Schiitenpredigers Muqtada as-Sadr.

​​ Das US-Militär im Irak nutzte die zusätzlichen Truppen, um offensiver gegen die Aufständischen vorzugehen. Abseits seiner großen Basen bildete es kleinere Außenposten, um Präsenz zu zeigen und die Bevölkerung zu schützen. So gelang es, die Aufständischen in die Defensive zu zwingen.

Mindestens ebenso wichtig wie die intensivierte Bekämpfung waren Verhandlungen mit denjenigen sunnitischen Gruppierungen, die primär die amerikanischen Besatzungstruppen bekämpften und keine über den Irak hinausgehenden Ziele verfolgten.

Die US-Truppen profitierten dabei davon, dass sich al-Qaida durch ihre selbst für den Irak beispiellose Brutalität innerhalb der Aufstandsbewegung isoliert hatte. Ehemalige Aufständische bildeten ab Ende 2006 Milizen, die gemeinsam mit den amerikanischen Truppen die Jihadisten von al-Qaida bekämpften.

Noch wichtiger jedoch war die amerikanische Offensive gegen die schiitischen Milizen in Bagdad. Es war insbesondere die Mahdi-Armee, die ab 2005 durch Gewalttaten gegen Sunniten in Bagdad den Bürgerkrieg hatte eskalieren lassen.

Die von Präsident Bush im Januar 2007 verkündete neue Irak-Strategie war vor allem eine Kampfansage an die Sadr-Bewegung. Die Mahdi-Armee entschied sich, einer offenen Konfrontation mit den überlegenen amerikanischen Truppen aus dem Weg zu gehen und stellte Anfang 2009 keine Gefahr für die innere Sicherheit des Landes mehr dar.

Politische Fortschritte im Irak als Mangelware

Trotz aller militärischen Erfolge blieben politische Fortschritte im Irak Mangelware. Heute sind es vor allem Konflikte zwischen dem erstarkten Ministerpräsidenten Maliki und den Kurdenparteien, die auch militärisch eskalieren könnten. Zudem sind die irakische Armee und die Polizei immer noch sehr schwach, während eine Vielzahl von Milizen fortbesteht, deren Zukunft ungewiss ist.

Der Irak wird noch auf Jahre hinaus auf die Präsenz amerikanischer Truppen angewiesen

US-Truppen in Bakuba, Irak; Foto: AP
Trotz beachtlicher militärischer Erfolge wird der Irak wohl noch lange auf die Präsenz amerikanischer Truppen angewiesen sein, meint Steinberg.

​​ sein. Diese Notwendigkeit sieht auch die Obama-Administration, die zwar Ende Februar den Abzug amerikanischer Truppen bis August 2010 ankündigte. Doch auch anschließend sollen zumindest bis Ende 2011 noch bis zu 50000 Soldaten im Zweistromland stationiert bleiben.

Afghanistan hat eine entgegengesetzte Entwicklung genommen. Hier haben die Taliban den Aufstand seit 2005/2006 deutlich verstärkt und setzen die multinationalen Truppen unter großen Druck. Zum einen gingen sie immer häufiger zu komplexeren militärischen Aktionen über, an denen sich größere Formationen beteiligten – ein wichtiges Indiz für ihre neu gewonnene Stärke.

Gleichzeitig übernahmen sie Taktiken der irakischen Aufständischen – wie vor allem das Auslegen von Sprengfallen am Straßenrand und Selbstmordattentate. Der wichtigste Grund für das Erstarken der Taliban war, dass die Bush-Administration wenig Interesse an den Ereignissen in Afghanistan und Pakistan hatte und militärische und geheimdienstliche Ressourcen schon 2002 aus Südasien abzog und im Irak einsetzte.

Politischer Kurswechsel unter Obama

Zwar folgten erste Korrekturen an dieser Politik bereits 2008, doch erst die Obama-Administration definierte vollkommen neue Prioritäten. Möglich gemacht wurde dies allerdings erst durch die Beruhigung der Lage im Irak ab 2007.

Die neue US-Regierung wird nicht versuchen, die Erfolgsstrategie aus dem Irak vollständig auf Afghanistan zu übertragen. Dennoch birgt die Erfahrung im Irak wichtige Lehren für Afghanistan:

Erstens kann eine Erhöhung der Truppenzahl die Grundlage für eine erfolgreiche Aufstandsbekämpfung sein. Im Falle Afghanistans hängt – ebenso wie im Irak 2007 – der Erfolg von einer Änderung der Militärstrategie ab.

Kämpfer der Taliban nahe Kandahar; Foto: AP
In den letzten drei Jahren sind die Taliban wieder erstarkt und haben ihren Aufstand vor allem im Süden und Osten ausgeweitet.

​​ Dabei muss es in erster Linie darum gehen, auch außerhalb der Städte präsent zu sein und die Zivilbevölkerung vor den Aufständischen zu schützen. Die vorgesehene Aufstockung der amerikanischen Truppen ist für eine solche Strategie noch nicht ausreichend.

Zweitens sind Verhandlungen mit dem Gegner sinnvoll. Dabei kann es je nach aktueller Situation darum gehen, die Taliban von einem politischen Arrangement mit der Regierung in Kabul zu überzeugen, oder zumindest Teile der Aufstandsbewegung zur Aufgabe zu überreden.

Dies ist auch im Fall der Taliban sinnvoll. Die Gesamtbewegung besteht aus drei Teilen: den eigentlichen Taliban unter der Führung Mullah Umars, dem sogenannten Haqqani-Netzwerk unter der Führung von Jalaluddin Haqqani und der Islamischen Partei (Hizb-e Islami) von Gulbuddin Hekmatjar. Sowohl die Regierung in Kabul als auch die Amerikaner haben zu verschiedenen Zeiten versucht, Hekmatjar zur Aufgabe des Kampfes zu bewegen.

Gegenwärtig laufen Verhandlungen mit ihm, aber anscheinend auch mit den Taliban Mullah Umars. Darüber hinaus ist es ebenfalls sinnvoll, mit lokalen Stammes- und Milizenführern in Afghanistan selbst Verhandlungen zu führen.

Beteiligung Pakistans

Schon im Irak waren die Amerikaner mit ähnlichen Ansätzen erfolgreich. Neu gewonnene Verbündete müssen allerdings effektiv vor den Taliban geschützt werden, was die fortgesetzte Präsenz von NATO-Truppen vor Ort und damit ihre Aufstockung erforderlich macht.

Der wichtigste Unterschied zwischen dem Irak und Afghanistan ist, dass die Aufständischen den Bürgerkrieg gegen die schiitischen Milizen 2006 verloren gaben. Viele von ihnen schlossen sich nur deshalb den Amerikanern an.

Die Taliban hingegen haben keinen starken innerafghanischen Gegner; die Regierung

Präsident Hamid Karsai; Foto: dpa
In der Vergangenheit hatten die Taliban wiederholt Gesprächsangebote des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai abgelehnt.

​​ des Präsidenten Hamid Karsai überlässt den Kampf den NATO-Truppen.

Zudem verfügen die Taliban über ein perfektes Rückzugsgebiet. Die pakistanische Armee duldet ihre Aktivitäten, weil sie verlorenen Einfluss auf die afghanische Politik zurückgewinnen will. Für eine neue Afghanistan-Strategie bedeutet dies, dass Pakistan eingebunden werden muss.

Der Preis für die pakistanische Kooperation wird sein, dass pro-pakistanische Gruppierungen an der Macht in Afghanistan beteiligt werden. Dies wird nicht zuletzt deshalb problematisch, weil die Regierung Karsai eine solche Vorgehensweise vehement ablehnt.

Die ersten Verlautbarungen und Schritte der Obama-Administration weisen darauf hin, dass sie eine ähnliche Strategie verfolgen wird. Sie wird mehr Truppen nach Afghanistan schicken und sich bemühen, die folgende Verbesserung der Sicherheitslage für einen forcierten Wiederaufbau und eine intensivere Ausbildung von Polizei und Armee zu nutzen.

Gleichzeitig wird sie versuchen, aus einer Position der Stärke Verhandlungen zu führen: Zum einen mit Teilen der Taliban, zum anderen mit Pakistan und weiteren Nachbarstaaten wie Iran, Russland und auch Indien.

Gefahr der Regionalisierung des Konfliktes

Der neu ernannte Sonderbeauftragte für Pakistan und Afghanistan, Richard Holbrooke, hat bereits mehrmals eine solche Regionalisierung des Konfliktes angemahnt. Das in diesem Zusammenhang möglicherweise größte Problem wird allerdings die Regierung Karsai sein. Sie hat sich bisher als unfähig erwiesen, zu einer Lösung von Problemen in Afghanistan beizutragen.

Deutschland und Europa zwingt die neue Afghanistan-Strategie der Amerikaner zu Entscheidungen. Wollen die Europäer Einfluss nehmen, müssen sie die bereits übernommenen Aufgaben weitaus effektiver erfüllen.

Die USA werden bald sehr viel nachdrücklicher als bisher auf eine Aufstockung der europäischen Truppenkontingente drängen. Ende März 2009 will Obama seine neue Afghanistan-Strategie den Verbündeten vorlegen.

Anschließend müssen auch die Europäer entscheiden, inwieweit sie mehr Truppen entsenden wollen. Folgt die US-Regierung den hier skizzierten Grundlinien, sollten die Europäer den amerikanischen Wünschen so weitgehend wie möglich entsprechen.

Guido Steinberg

© Qantara.de 2009

Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und arbeitet seit Herbst 2005 für die "Stiftung Wissenschaft und Politik", wo er sich mit der arabischen Welt und dem islamistischen Terrorismus beschäftigt. Zuvor war er Referent im Bundeskanzleramt.

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