Auf der Suche nach einem Strategiewandel

Ist der Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan weiterhin sinnvoll? Das wird zunehmend in Frage gestellt. In Deutschland wird immer deutlicher eine neue Strategie gefordert. Doch wie müsste diese aussehen? Informationen von Andreas Zumach

Ist der Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan weiterhin sinnvoll und notwendig? Das wird zunehmend in Frage gestellt. Der Bundeswehrverband, die meisten in Afghanistan tätigen Hilfsorganisationen sowie Vertreter fast aller Parteien fordern inzwischen eine neue Strategie. Doch wie müsste diese aussehen? Andreas Zumach informiert.

Deutscher ISAF-Soldat in Kabul; Foto: AP
In Deutschland werden die Stimmen für einen Wandel des Afghanistan-Mandates der Bundeswehr immer lauter.

​​Hauptauftrag der Bundeswehr im Rahmen der ISAF im Norden Afghanistans ist die Absicherung und Unterstützung von Wiederaufbaumaßnahmen. Isoliert betrachtet war diese Mission bislang überwiegend erfolgreich und wäre daher auch weiterhin sinnvoll.

Das gilt unbeschadet der berechtigten Kritik verschiedener Hilfsorganisationen am Verhalten einzelner Bundeswehrverbände in der Region sowie daran, dass die vom Verteidigungsministerium so hoch gelobte "zivil-militärische Zusammenarbeit" vor Ort oftmals in sehr problematischer Weise durch die Militärs dominiert wird.

Das Dilemma der Militärs

Doch leider lassen sich Erfolg oder Misserfolg der Bundeswehr-Mission im Rahmen der ISAF im Norden Afghanistans nicht länger isoliert beurteilen.

Es war von Beginn dieser Mission an eine Illusion zu glauben, die afghanische Zivilbevölkerung werde auf Dauer fein säuberlich unterscheiden zwischen solchen ausländischen Soldaten, die lediglich Wiederaufbaumaßnahmen absichern und anderen ausländischen Militärs, die einen "heißen Krieg" führen gegen die Taliban und andere Kräfte.

Bundeswehr-Soldaten patrollieren in der afghanischen Hauptstadt Kabul; Foto: AP
Freund oder Feind? Vielen Afghanen fällt die Unterscheidung zwischen ausländischen Soldaten, die Wiederaufbaumaßnahmen absichern und solchen, die einen heißen Krieg führen, sehr schwer.

​​In den ersten Jahren, als der "heiße Krieg" nur von US-amerikanischen Spezialtruppen sowie zeitweise von etwa 100 deutschen Soldaten des "Kommandos Spezialkräfte" (KSK) aus Calw im Rahmen der "Operation Enduring Freedom" (OEF) geführt wurde, ließ sich diese Illusion noch aufrecht erhalten.

Doch spätestens seit der Schaffung eines gemeinsamen NATO-Oberkommandos über ISAF und OEF im letzten Jahr sowie der Eskalation und räumlichen Ausweitung des Krieges zwischen NATO-Soldaten und den Taliban im Süden und Osten Afghanistans ist dies nicht mehr möglich. Zumal der Krieg der NATO-geführten Truppen gegen die Taliban immer häufiger Opfer unter der Zivilbevölkerung fordert.

Es war daher absehbar, dass Trauer und Verzweiflung über diese zivilen Opfer immer stärker auch zu negativen Gefühlen führen gegenüber solchen ausländischen Soldaten, die bislang noch nicht unmittelbar an der Kriegsführung beteiligt sind.

Vorhersehbare Konfliktpotenziale

Mit der Entscheidung, Tornado-Flugzeuge nach Afghanistan zur aktiven Unterstützung der Kriegsführung im Süden und Osten des Landes zu entsenden, hat die Bundesregierung die Unterscheidung zwischen gewollten und ungewollten ausländischen Soldaten in der Wahrnehmung der afghanischen Bevölkerung zusätzlich erschwert.

Ebenfalls absehbar war, dass die Taliban ihre Anschläge und militärischen Operationen auf den Norden des Landes ausdehnen und auch die dort stationierten Bundeswehr-Soldaten angreifen würden. Der Tod der drei deutschen Soldaten am 19. Mai war daher eine folgerichtige Entwicklung.

Inzwischen haben die Taliban, die den NATO-Truppen in offenen militärischen Gefechten zumeist unterlegen sind, eine "Operation Hinterhalt" angekündigt – mit Selbstmordattentaten und Bombenanschlägen im ganzen Land.

Unter diesen Umständen wird es mit Sicherheit noch weit mehr tote und verletzte deutsche Soldaten geben, und es werden auch die bisherigen Erfolge der deutschen ISAF-Verbände im Norden Afghanistans zunichte gemacht, sollten Bundesregierung und Bundestag – wie bislang noch von der CDU/CSU sowie von der Fraktionsführung der SPD beabsichtigt – die Mandate für die Beteiligung der Bundeswehr an der ISAF und der "Operation Enduring Freedom" in Afghanistan einfach unverändert verlängern.

Wege aus der Krise

Stattdessen sollten Regierung und Parlament das OEF-Mandat ganz aufkündigen, die Tornado-Flugzeuge zurückziehen und die Fortsetzung des ISAF-Mandats für die Bundeswehr davon abhängig machen, dass die verbündeten NATO-Länder ihrerseits die Kriegsführung beenden.

Die Aufkündigung und Veränderung der militärischen Mandate reichen allein allerdings nicht aus für eine neue Strategie, mit der es vielleicht doch noch gelingen kann, die im Herbst 2001 auf dem Bonner Petersberg beschlossene Afghanistan-Mission der internationalen Gemeinschaft zum Erfolg zu führen.

"Das größte Krebsgeschwür in Afghanistan ist der Anbau und Verkauf von Drogen", erklärte auf dem NATO-Gipfel in Riga vom November letzten Jahres der damalige Oberkommandierende der NATO, US-General James Jones. Wenn die Regierungen der NATO-Staaten das Drogenproblem "nicht endlich ernsthaft anpackten", so der Viersternegeneral, werde "die NATO den Krieg in Afghanistan verlieren."

Denn die Taliban und alle anderen Kräfte, die kein Interesse an der Stabilisierung des Landes haben, können sich mit den Milliardeneinnahmen aus dem Drogengeschäft beliebig viele Waffen, Munition, Selbstmordattentäter und Söldner kaufen.

Und von der Zentralregierung Karsai in Kabul kann, solange deren Mitglieder und Beamte ebenfalls zu einem großen Teil durch das Drogengeschäft korrumpiert sind, auch kaum eine stabilisierende Kraft auf das ganze Land ausstrahlen. Doch eben dies wurde vor sechs Jahren auf dem Bonner Petersberg zur zentralen Voraussetzung für die dauerhafte Befriedung Afghanistans erklärt.

Andreas Zumach

© Qantara.de 2007

Andreas Zumach ist UNO-Korrespondent mehrerer deutschsprachiger Tageszeitungen und spezialisiert auf Völkerrecht und Sicherheitspolitik. Zuletzt erschien 2005 sein Buch "Die kommenden Kriege. Ressourcen, Menschenrechte, Machtgewinn – Präventivkrieg als Dauerzustand?"

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