Wo sich der Islam mit alten Ritualen mischt

Auf Grund ihrer exponierten Lage waren Inseln stets den verschiedensten Einflüssen ausgesetzt. So ist es nur allzu verständlich, dass auch die 17.000 Inseln Indonesiens mit unterschiedlichen Religionen in Kontakt kamen. Ein Bericht von Christina Schott.

Hindu-Tempel auf Bali; Foto: Melinda Klayman
In Indonesien haben sich verschiedene religiöse Traditionen vermischt: hinduistische, buddhistische, animistische und islamische

​​Jedes Jahr zum ersten Suro, dem javanischen Neujahrstag, steigt der Sultan von Yogyakarta, gefolgt von einer feierlichen Prozession, auf den Merapi. An der Caldera des aktivsten Vulkans der Welt, der sich nördlich der zentraljavanischen Sultansstadt erhebt, bitten die Pilger die Kräfte der Natur, sie vor jeglichem Unglück zu verschonen.

Die mitgebrachten Gaben, bunte Reiskegel, Blumen und Früchte, ­opfern sie im rauchenden Krater. Das Ritual setzt sich später am schwarzen Sandstrand von Parangtritis fort. Diesmal wird der Meeresgöttin in der wilden Brandung geopfert.

Tatsächlich fällt der erste Suro immer auf den ersten Muharram, den islamischen Neujahrstag. Nicht nur zufällig: Die meisten Teilnehmer dieser hindu-buddhistisch-animistischen Zeremonie sind - ­wie der Sultan - gläubige Muslime. Indonesien hat die größte muslimische Bevölkerung der Welt.

Rund 90 Prozent der 240 Millionen Einwohner bekennen sich zum Islam. Viele indonesische Muslime praktizieren jedoch bis heute einen eher synkretistischen Glauben, der kulturelle und andere religiöse Traditionen Indonesiens miteinschließt und daher von muslimischen Puristen oft kritisiert wird.

Die Verschmelzung der Religionen

Merapi-Ausbruch; Foto: AP
Wer von Urgewalten wie Vulkanausbrüchen bedroht wird, sucht nach Mitteln, die Natur zu besänftigen

​​Der Islam kam mit arabischen und indischen Händlern auf das riesige Archipel aus 17.000 Inseln. Die Ureinwohner waren animistische Gemeinschaften mit Toten- und Geisterkulten. Bis heute leben zum Beispiel in West-Papua oder auf den Mentawai-Inseln animistische Völker.

Seit dem fünften Jahrhundert verbreiteten sich Hinduismus und Buddhismus, doch vermischten sich beide Religionen von Anfang an miteinander sowie mit alten Traditionen.

Das erste Königreich, das den Islam annahm, war Perlak ­ die heutige Krisenprovinz Aceh, auch "Terasse Mekkas" genannt. Erst im 15. und 16. Jahrhundert erreichte der Islam auch die anderen Inseln, war aber zunächst eine Religion der Eliten.

Zwar musste das Volk die Religion des Herrschers übernehmen, blieb jedoch einer Mischung aus alten Religionen und lokalen Traditionen verbunden. Besonders auf dem Land ist dieser synkretistische Glaube bis heute zu finden.

Die zwei Gesichter des Islam

Gebet für die Toten der Anschläge von Bali; Foto: AP
In Indonesien finden sich verschiedene Ausformungen des Islam. Es gibt jedoch viele Verfechter eines reinen Islam

​​Auf der dicht bevölkerten Hauptinsel Java lassen sich die Muslime in zwei Hauptgruppen einteilen: die puristischen, arabisch orientierten Santri sowie die Anhänger des Kejawen, einer Mischung aus animistischen, hindu-buddhistischen, islamischen und lokalen Traditionen. Natürlich gibt es auch in anderen Landesteilen Synkretismus: Die Muslime in Kalimantan etwa pflegen immer noch zahlreiche animistische Bräuche.

"Synkretismus wird oft negativ verstanden. Dabei verbindet er einfach eine ältere mit einer neueren Kultur oder Religion. Das ist doch sehr menschlich", bemerkt Professor Machasin, Leiter des Graduiertenkollegs am Staatlichen Institut für Islamwissenschaften (IAIN) in Yogyakarta.

"Meiner Meinung nach gibt es keinen reinen Islam. Wer den Koran liest, wird in seiner Interpretation immer von seiner Herkunft und Kultur beeinflusst. Ich wurde als Javaner geboren ­ das heißt, dass mich Hinduismus, Buddhismus und andere Traditionen beeinflusst haben, obwohl ich als Santri erzogen wurde. Ich sehe Synkretismus positiv, solange wir rational damit umgehen."

Muslimische Organisationen

Machasin ist eine führende Persönlichkeit der Nahdlatul Ulama (NU), mit 40 Millionen Mitgliedern die größte muslimische Organisation der Welt. Bei ihrer Gründung 1926 sollte sie den Islam gegen den wachsenden Nationalismus und Kommunismus im Land verteidigen. Doch sie diente auch als Gegenpol zur reformistischen Muhammadiyah, der zweitgrößten muslimischen Massenorganisation Indonesiens, gegründet 1912.

Bis heute sind beide Organisationen wichtige und einflussreiche politische Kräfte in Indonesien. Während die Muhammadiyah-Mitglieder vorwiegend aus der städtischen Mittelklasse stammen, gehören die Anhänger der NU in der Regel der Landbevölkerung an.

Gerade dort findet man noch viele Formen von synkretistischem Glauben, vom Animismus bis zur Schwarzen Magie. Daher ist es nicht überraschend, dass die NU für einen Islam steht, der eine Vermischung mit älteren Traditionen toleriert, während die Muhammadiyah einen reinen Islam propagiert.

Synkretismus als historischer Prozess

In ihren Anfängen war auch die Muhammadiyah synkretistischen Elementen gegenüber aufgeschlossener. Erst in den 90er Jahren wurde sie zu der Hardliner-Organisation, als die sie heute oft gesehen wird. "Doch wir werden wieder toleranter", versichert Professor Abdul Munir Mulkam, Vize-Sekretär der Muhammadiyah-Zentrale in Yogyakarta. "Ich verstehe Synkretismus als einen historischen Prozess. Wir können unsere Überlieferungen nicht einfach vergessen."

Kalimantan; Foto: Rüdiger Siebert
Das Leben mit dem Wasser als wichtigstem Element führt zum Erhalt animistischer Kulte

​​Als Dozent am IAIN Yogyakarta sowie an der Muhammadiyah-Universität in Surakarta glaubt Abdul an Bildung: "Die Bildung hat sich verbessert und somit auch das Verständnis für natürliche oder soziale Phänomene. Früher haben die Leute Naturereignisse immer in magischen Zusammenhängen gesehen. Obwohl sie noch bestimmte Rituale praktizieren, haben sie heute eine realistischere Auffassung davon."

Die Religionen der Herrscher

So nimmt der Sultan von Yogyakarta weiterhin an Zeremonien wie dem Neujahrs-Ritual teil, obwohl die Herrscherfamilie seit Jahrhunderten einen reinen Islam propagiert.

Viel stärker noch stehen die Sultane der Nachbarstadt Surakarta für den Synkretismus auf Java: "Mein Herr ist weder Muslim, noch Christ, weder Buddhist, noch Hindu. Er respektiert alle seine Untertanen mit ihren unterschiedlichen Traditionen gleichermaßen. Daher ist er Kejawen", erzählt stolz ein Führer im Sultanspalast Mangkunegara in Surakarta.

Christina Schott

© Qantara.de 2005

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