Vom Geheimnis zur Offenbarung

Seit 1994 findet das Festival Musiques Sacrées du Monde in Fèz statt: seit diesem Jahr erklingen hier nicht mehr nur islamische, jüdische und christliche Lieder, sondern auch buddhistische, hinduistische und animistische. Detlef Langer war vor Ort.

Festivalgäste und Festivalplakat in Fez; Foto: Detlef Langer
Das Festival der "Musiques Sacrées du Monde in Fèz" findet bereits zum 16. Mal statt. Diesjähriges Thema: "Die Reise als Initiation. Vom Geheimnis zur Offenbarung".

​​ Sie klingen lange nach, auch in der Erinnerung: die dumpfen Königs-Trommeln aus Burundi, die spitzen Vokalakrobatik des tunesischen Musikers Dhafer Youssef oder die beschwörenden Gottes-Anrufe sich rhythmisch wiegender Sufi-Bruderschaften. Zum 16. Mal fand nun das Festival der Musiques Sacrées du Monde in Fèz statt, eine Woche lang bis zum 12. Juni 2010. In den Palästen, den Gärten und auf den Plätzen der alten marokkanischen Königstadt.

Als nach dem ersten Golfkrieg die politischen Spannungen zwischen dem Westen und der islamischen Welt zunahmen, sorgte sich der muslimische Intellektuelle Faouzi Skali um den Dialog und initiierte als Antwort dieses Festival mit religiöser und spiritueller Musik aus aller Welt:

"Ich wollte einen Raum schaffen, wo sich Menschen treffen und die Schönheit jeder Religion und Kultur entdecken können. Es gibt eine Fülle an spirituellen Traditionen, die wir kennen und bewahren sollten. Wir und auch die nächste Generation brauchen sie, sonst werden wir eine Welt ohne Seele haben."

Geist von Weltoffenheit

Festivalgründer Skali sieht die sufischen Traditionen des Islam in Marokko als das Herz dieser musikalischen Begegnung in Fèz. Aber auch jenen Geist von Weltoffenheit, der die Geschichte dieser Stadt prägte und der in dieser zeitgenössischen Veranstaltungsreihe weiterwirkt.

Faouzi Skali; Foto: Ibn Arabi Society
Festivalgründer Faouzi Skali wollte "einen Raum schaffen, wo sich Menschen treffen und die Schönheit jeder Religion und Kultur entdecken können."

​​ Fèz war im Mittelalter Wohn- und Wirkungsstätte für geistige Weltgrößen wie den Aristoteles-Kommentator Ibn Ruschd, bekannt als Averroes, den jüdischen Philosophen Maimonides, den Mystiker Ibn Arabi oder den Kartographen Al Idrissi. In Fèz diktierte Ibn Battuta auf Wunsch des marokkanischen Sultans dem Dichter Ibn Juzayy die großartigen Erinnerungen seiner Weltreise ("Rihla").

Und so passte auch der leitende Gedanke der diesjährigen Meetings wie selbstverständlich in die Atmosphäre dieser Stadt. Das Thema: "Die Reise als Initiation. Vom Geheimnis zur Offenbarung". Den Veranstaltern ging es also um die spirituelle Dimension des Reisens, der Offenheit gegenüber anderen Ländern, Sitten und religiösen Weltbildern: Zum ersten Mal wurde neben der geistlichen Musik der drei monotheistischen Religionen auch Musik des Buddhismus, Hinduismus und Animismus in Fès aufgeführt.

Korsische und persische Traditionen

An den Nachmittagen trafen sich unter den flimmernden Blättern der mächtigen Eiche im Garten des Batha-Museums die Musikanten, und es wurde immer dann besonders eindrücklich, wenn unterschiedliche musikalische Traditionen zusammentrafen. Etwa bei dem gemeinsamen Auftritt des Constantinople Ensemble mit dem Barbara Furtuna Chor. Im Constantinople Ensemble pflegen die Brüder Kiya und Ziya Tabassian mit Zitar und Tombak persische Musiktraditionen. Barbara Furtuna dagegen ist ein Männerquartett, das mit polyphonem korsischen Gesang begeistert und geistliche Musik mit Volksliedhaftem mischt.

Gäste im Garten des Batha-Museums mit Musikanten; Foto: www.fesfestival.com/2010
Über Musik wurde auf dem Festival auch geredet. Für die Festivalgäste eine lohnende und gelungene Abwechslung.

​​ An anderen Tagen hörte das Festivalpublikum den poetischen, ekstatischen Gesang der bengalischen Bauls aus Nordindien, jüdische Lautenmusik aus Bagdad oder die animistisch-rituelle Trommelkunst "Gwoka" aus dem karibischen Guadeloupe in inspirierender Kombination mit den amerikanischen Jazzern David Murray und Archie Shepp. Für eine Woche war der Innenhof dieses ehemaligen Wesirspalastes weit und offen für die Welt da draußen.

Multikulti für die Oberen Zehntausend

Einen weiteren Festivalort hatte man vor dem Bab Al Makina eingerichtet, einem Tor zum königlichen Palast. Während des Festivals wohnten hier die Frau von Mohamed VI., die aus Fèz stammt, und dessen Schwester. Offensichtlich der Grund, alle Abendveranstaltungen an diesem Ort mit einem großen Aufgebot an Polizei und muskulösen Kartenkontrolleuren abzuschotten. Dabei reichte eigentlich der hohe Eintrittspreis, etwa 30 Euro für ein Konzert, schon, um alles "in bester Gesellschaft" genießen zu können – zusammen mit den eingeflogenen Kulturtouristen aus Europa.

Wenn der leichte Abendwind über die Zinnen der Palastmauern strich und auf der Bühne vor dem großen Portal das königliche Ballet aus Kambodscha mit graziösen Bewegungen die mythischen Apsaras beschwor. Oder der Katalane Jordi Savall mit jüdischer, arabischer und christlicher Musik das multikulturelle Erbe Jerusalem pries.

Tunesischer Musikers Dhafer Youssef; Foto: Detlef Langer
Neben Musikern wie Dhafer Youssef traten im Rahmen des "Festivals in the City" auch bekannte marokkanische Musiker wie Abdelaziz Statti auf, die bis zu 40.000 Zuhörer begeisterten.

​​ Für das "einfache Volk" hatten die Festivalplaner nun schon zum neunten Mal ein Festival in the City organisiert, kostenlos und auf offenen Plätzen. Im modernen Teil der Stadt, am Platz Ait Skato, aber auch nahe der Altstadt vor dem bekannten Bab Boujiloud. Einige wenige Höhepunkte aus dem offiziellen Programm wurden auch hier präsentiert, etwa die bereits erwähnten Trommler aus Burundi, aber die Musikauswahl ist hier populärer und moderner. Sie schließt auch marokkanischen Hip-Hop und marokkanische Popstars wie Abdelaziz Statti ein, der allein bei seinem Auftritt 40 000 Fans anlockte.

"Diese Auftritte", so sagt Zineb Mrabet, verantwortlich für das Festival in the City, "sollen eine Brücke zur Bevölkerung der Stadt schlagen, für die Leute sein, die nicht zur Bab Makina gehen können."

Ekstatische Rhythmen und Gesänge

Mehr mit dem ursprünglichen Konzept eines Raumes für spirituelle Musik haben dagegen die ebenfalls kostenlosen "Sufi-Nächte" im Garten des Altstadt-Palastes Dar Tazi zu tun. Hier traten allabendlich nach den Großveranstaltungen marokkanische Sufi-Bruder- und auch -Schwesterschaften auf und vereinigten sich in ekstatischen Rhythmen und Gesängen mit dem mehrheitlich marokkanischen Publikum.

Die Begeisterung demonstrierte unmittelbar, wie groß doch der geistig-spirituelle Einfluss dieser islamischen Bruderschaften auch im zeitgenössischen Marokko ist. Sie werden auch Tarika genannt: Leute, die gemeinsam auf demselben Weg zu Gott reisen.

Gäste im Garten des Batha-Museums mit Musikanten; Foto: www.fesfestival.com/2010
Im schönsten Ambiente lauschen die Gäste den Klängen der Musik. Der Garten des Batha-Museums dient als eindrucksvolle Kulisse für die Darbietungen der Künstler.

​​ Was vom Initiator Fauozi Skali als Herz des Festivals gedacht war, ist jedoch mit dieser Positionierung am Rande eher zu einer Nische im Rahmen eines mehr und mehr kulturtouristischen Musik-Events geworden. Und so nimmt es auch nicht wunder, dass Skali ab 2007 ein weiteres, ein neues Festival der Sufi-Kultur in Fèz anstieß, das sich allein mit der internationalen Sufi-Kultur befasst. In diesem Jahr bereits zum vierten Mal. Ebenfalls im Museum Batha, und dies Wochen vorher, vom 17. bis 24. April.

Spirituelle Musikkultur und Europa

Für den europäischen Musikliebhaber mag dieser Sufi-Weg zur spirituellen Erfahrung mithilfe ekstatischer Musik und Tanz vor allem exotisch wirken, für manchen christlichen Kirchgänger auch fremd. Aber auch das Christentum kennt Pfingstgemeinden, kennt ebenso Gospelgesänge. Und es sollte uns auch nachdenklich machen, wenn Musikwissenschaftler darauf hinweisen, dass Europa ebenfalls eine Zeit "sufistisch" geprägter Musik- und Sangeskultur hatte, bis sie von der römisch-katholischen Kirchenhierarchie unterdrückt wurde: die Kultur der Troubadoure und ihr Minnesang.

Vielleicht ist es ja gerade diese Wahrnehmung eines eigenen kulturellen Verlustes, die das Sufitum für uns, den europäischen Kulturtouristen, so anziehend macht.

Daneben entwickelte dieses Festival noch eine andere Art Anziehungskraft, die sich in der Nacht der Medina entfaltete, als die Festivalbesucher zu einer "Reise" in die nächtlichen Straßen der Altstadt von Fèz eingeladen wurden, um in diversen versteckt liegenden Häusern orientalische Klänge zu hören. Waren diese engen Gassen am Tage prall mit Menschen, die sich manchmal rempelten, laut von den Geschäften, so waren sie jetzt voller Schatten und Geheimnisse, mit flüsternden Bewohnern, und Polizisten unter Straßenlaternen, die den Weg wiesen. Es war unheimlich. Unheimlich schön.

Die Organisatoren in Fès haben es geschafft, Marokko ein Kulturereignis zu schenken, das kulturmusikalische Brücken schlägt und auf hohem Niveau die Vielfalt und Gemeinsamkeiten geistlicher Musiktraditionen zelebriert.

Detlef Langer

© Qantara.de 2010

Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de

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