Brüchige Einheit

Im Südjemen mehren sich die Forderungen nach einer Abspaltung vom übermächtigen Norden. Die Regierung in Sanaa reagiert mit Härte und versucht, die Unruhen mit Gewalt in den Griff zu bekommen. Einzelheiten von Klaus Heymach

Die Altstadt von Sanaa; Foto: AP
Mit mehr Souveränität für die Provinzen und einer Direktwahl der Gouverneure versucht die Regierung in der Hauptstadt Sanaa, den Protesten Sprengkraft zu nehmen. Doch in den Augen vieler Beobachter kommen diese vorsichtigen Reformen zu spät.

​​Für die jemenitischen Staatsmedien sind diese Bilder tabu: Demonstranten auf den Straßen von Aden, Sprechchöre gegen die Regierung in Sanaa. Doch im Internet kann sie jeder sehen und hören: Südjemeniten, die gegen die Zentralmacht protestierten, mehr Eigenständigkeit fordern, bis hin zur Abspaltung vom Norden.

Obwohl die Soldaten scharf schießen, gewinnen die Proteste weiter an Zulauf. Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" appelliert nun an die Regierung, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten. In einem 73 Seiten umfassenden Bericht werden willkürliche Verhaftungen, Verletzungen der Pressefreiheit und tödliche Schüsse auf unbewaffnete Demonstranten dokumentiert.

Genau wie Deutschland begeht der Jemen 2010 den 20. Jahrestag seiner Vereinigung. Doch im einst sozialistischen Südjemen ist kaum jemandem zum Feiern zumute: Seit Jahren regen sich dort Proteste von Einheitsverlierern und enttäuschten Sozialisten.

Viele fühlen sich wirtschaftlich benachteiligt und politisch gegängelt. Die Kluft zwischen den konservativ-islamisch geprägten Stämmen im Norden und den zunächst von den Briten, dann von den Sozialisten regierten Bewohnern des Südens ist groß. Bereits 1994 erklärten die Sozialisten die Abspaltung, vier Jahre nach der Einheit – Auftakt für einen Bürgerkrieg, in dem sich der Norden endgültig durchsetzte.

Schwindender Einfluss der Sozialisten

Die sozialistische Partei hat ihre Macht seitdem eingebüßt. Auf die Proteste im Süden habe seine Partei kaum Einfluss, sagt Fraktionschef Aiderus an-Nagib: "Wir Sozialisten haben diese Proteste nicht ausgelöst und wir können sie auch nicht stoppen."

Pressekonferenz von Human Rights Watch in Jemen; Foto: DW
Menschenrechtsaktivisten schlagen Alarm: "Human Rights Watch"</wbr> veröffentlichte im Dezember 2009 einen 73 Seiten langen Bericht zur Situation der Menschenrechte im Jemen. Darin werden willkürliche Verhaftungen und tödliche Schüsse auf unbewaffnete Demonstranten dokumentiert.

​​Das könne nur die Regierung, sagt Nagib. Sie müsse gegen jene vorgehen, die sich nach dem Bürgerkrieg Land und Immobilien von ehemaligen Bewohnern des Südens unter den Nagel gerissen hätten. "Und sie muss die mehr als 200.000 Beamten und Soldaten entschädigen, die seitdem nicht mehr zur Arbeit gehen dürfen. Sonst fassen die Menschen kein Vertrauen mehr in diese Regierung."

Präsident Ali Abdullah Saleh, der seit drei Jahrzehnten in Sanaa regiert, hat diese Forderungen lange ignoriert. Mit Geld und Ämtern gelang es ihm, Scheichs und Stammesführer einzubinden und das Land zusammenzuhalten.

Doch das wird schwieriger, seit es nichts mehr zu verteilen gibt. Der Jemen ist das mit Abstand ärmste Land auf der Arabischen Halbinsel, die letzten Ölvorräte liegen ausgerechnet in den südlichen Provinzen. Das hohe Bevölkerungswachstum frisst jedes Wirtschaftswachstum wieder auf. Und selbst die Vorräte an Grundwasser werden bedrohlich knapp.

Unterstützung aus Deutschland

Jemens Außenminister Abu Bakr al-Qirbi warb vergangenen Monat in Berlin um Unterstützung. Für seine Regierung ist Deutschland eines der wichtigsten Geberländer. Die Hilfe komme auch dem Süden zugute, versichert al-Qirbi.

"Die Regierung hat in den 20 Jahren seit der Vereinigung pro Kopf drei Mal so viel für den Süden ausgegeben wie für den Norden", betont al-Qirbi. "Die Behauptung der Separatisten, der Süden werde vernachlässigt, ist daher weder gerechtfertigt noch wahr."

Mit mehr Souveränität für die Provinzen und einer Direktwahl der Gouverneure versucht Sanaa, den Protesten Sprengkraft zu nehmen. Doch in den Augen vieler Beobachter kommen diese vorsichtigen Reformen zu spät. Die Proteste hätten bereits eine Eigendynamik entwickelt, sagt der Politikberater Abdulghani al-Iryani.

Jetzt müsse die internationale Gemeinschaft helfen, das fehlende Vertrauen zwischen Nord und Süd wieder herzustellen. "Wenn wir das nicht schaffen, droht der Staatszerfall", warnt Iryani. "Wir können die Einheit nicht einfach rückgängig machen. Die Alternative zu Reformen und nationaler Versöhnung sind Chaos und Bürgerkrieg."

Auswirkungen auf die Region

Karte des Jemen mit den Nachbarländern Saudi Arabien Oman Somalia und dem Golf von Aden; Foto: DW
Droht der Staatszerfall im Jemen? Sowohl im Süden des Landes, als auch im Norden halten die gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung in Sanaa an.

​​Das sei gefährlich für die ganze Region, sagt Iryani. "Die Jemeniten könnten die Grenzen zum Oman, zu Saudi-Arabien und zu den Emiraten zu Hunderttausenden stürmen, wenn sie hungrig sind. Niemand kann sie stoppen." Zumal die Regierung nicht nur mit den Separatisten im Süden kämpft.

Auch ganz im Norden schwelt an der Grenze zu Saudi-Arabien seit fünf Jahren ein Bürgerkrieg mit schiitischen Rebellen. Und auch die Islamisten aus dem Umfeld von Al-Qaida halten die Sicherheitskräfte in Atem.

Dennoch übt sich Jemens Außenminister in Zuversicht: Kriege und Krisen seien für sein Land nichts Neues, sagt al-Qirbi und verweist auf die schweren innenpolitischen Konflikte der vergangenen Jahrzehnte.

Chaos und Zerfall seien dem Jemen bereits nach der Revolution von 1962 vorausgesagt worden, während der kriegerischen Auseinandersetzungen der beiden Landesteile und im Bürgerkrieg von 1994. "Jemen hat all dies überlebt, und ich glaube, wir werden auch die Schwierigkeiten überstehen, in denen wir jetzt stecken", sagt al-Qirbi.

Niemand werde zulassen, dass die Einheit des Landes aufgegeben werde. "Und außerdem sind wir überzeugt, dass die Welt verstanden hat, dass ein vereinter, stabiler und sicherer Jemen von größter Bedeutung ist – nicht nur für die Region, sondern für den Frieden in der ganzen Welt."

Klaus Heymach

© Deutsche Welle 2009

Qantara.de

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