Tariq Ramadan und die Islamisierung Europas

Kaum ein islamischer Intellektueller dominiert derzeit die europäische Diskussion über den Islam wie Tariq Ramadan. Ralph Ghadban, selbst Islamwissenschaftler, hat die Person Tariq Ramadan und dessen Werk untersucht. Jürgen Endres stellt das Ergebnis vor.

Tariq Ramadan; Foto: dpa
Die einen warnen vor dem "Islamisten" Ramadan, die anderen sehen in diesem den "Reformer" und zentralen Ansprechpartner und Wegbereiter für einen euro-islamischen Dialog.

​​Der Enkel Hassan al-Bannas, des Gründervaters der Muslimbruderschaft in Ägypten, ist dabei zugleich gefragter und ungebetener Diskutant wie auch äußerst umstrittener Teil der Diskussion selbst.

Die einen warnen vor dem "Islamisten" Ramadan, die anderen sehen in diesem den "Reformer" und zentralen Ansprechpartner und Wegbereiter für einen euro-islamischen Dialog.

Ramadan beschäftigt die Feuilletons der großen europäischen Zeitungen, in der "Zeit" wird er als "Doppelagent" enttarnt, und auch das Schweizer "Magazin" bemüht sich, den "wichtigsten Schweizer Denker in der Welt" zu positionieren, einzuordnen und in eine passende Schublade zu stecken.

Und über den Mann, der selbst 20 Bücher geschrieben hat, werden mittlerweile auch Bücher geschrieben. Eines der Bücher hat vor kurzem der an der Evangelischen Fachhochschule Berlin lehrende Islamwissenschaftler und Politologe Ralph Ghadban unter dem Titel "Tariq Ramadan und die Islamisierung Europas" vorgelegt.

Für Ghadban ist Tariq Ramadan ein Islamist

Ziel der etwa 170 Seiten umfassenden Studie ist dabei die Analyse der "Grundpositionen" sowie der "Methoden" Tariq Ramadans. Als Basis der Analyse dient dessen umfangreiches Werk, das derzeit etwa 20 Bücher und 700 Artikel umfasst. An seiner Einschätzung bezüglich Ramadans selbst lässt Ghadban dabei keinerlei Zweifel aufkommen:

Für Ghadban ist der Enkel al-Bannas zweifellos ein "Islamist", sein Ziel die Islamisierung Europas und die Errichtung der Herrschaft des Islam. Vor diesem Hintergrund können auch die grundsätzlichen Aussagen der von Ghadban vorgelegten Studie, die sich zumindest über weite Strecken als stichhaltige Demontage der Person Ramadans als liberaler Reformer ausnimmt, kaum verwundern.

Dabei überwiegt die islamwissenschaftliche Perspektive auf das Ramadansche Werk, was leider – dies enttäuscht die durch den Buchtitel geschürten Erwartungen ein wenig – dazu führt, dass der "politische" Ramadan in den Hintergrund gerät und vernachlässigt wird. Dessen ungeachtet gelingt es Ghadban überzeugend, das Denken Ramadans in die Tradition des Denkens der Muslimbrüder zu setzen, indem er dessen Grundpositionen herausarbeitet, historisch kontextualisiert und in die islamische Geistesgeschichte einordnet.

Dazu gehören nach Ghadban u.a. die Klassifizierung des "Westens" etwa als "gottlos" sowie die strikte Ablehnung der freien Anwendung der Vernunft und die Begrenzung des Denkens durch einen vorgegebenen Rahmen, dem Ramadanschen "islamischen Universum von Referenzen".

Traditionalist statt Reformer

Die Theologie, so Ghadban, hat in der geistigen Welt Ramadans keinen Platz, die islamische Philosophie lediglich einen durch Ramadan extrem marginalisierten. Somit – so Ghadban – ist der Ansatz Ramadans vor allem "islamisch-juristisch" und darüber hinaus im Wesentlichen beschränkt auf den "klassischen doktrinären fiqh".

Anstelle einer mit Ramadan oftmals in Verbindung gebrachten "Modernisierung" bleibt nach Ghadban somit lediglich eine "Aktualisierung der ewig gültigen Scharia" durch die Komponente der Anpassung an die jeweiligen kontextuellen Gegebenheiten. Aus dem Reformer wird bei Ghadban folglich ein Traditionalist, dem – folgt man der Argumentation der Studie – die Anerkennung der Menschenrechte ebenso fern liegt wie die Trennung von Staat und Religion.

Demaskiert wird in diesem Kontext auch das Ramadansche Begriffsverständnis der "Integration", dient doch der Euro-Islam Ramadans nach Ghadban nicht der Integration, sondern der Islamisierung.

Dass Ramadan in seinen zahlreichen Publikationen seine spezifisch eigene und oftmals zumindest stark eklektische Geschichtsschreibung betreibt, wird von Ghadban ebenso treffend herausgearbeitet wie dessen verschiedene Formen der Manipulation an der Geistesgeschichte des Islam. Der Geschichtsschreibung Ramadans wird dabei von Ghadban in langen Exkursen so etwas wie der Konsens der westlichen Islamwissenschaft entgegengehalten.

Keine religiöse Autorität

​​Einige Aussagen, so Ghadban, seien schlicht "grob falsch", vieles von dem, was Ramadan schreibt, aus politischen Beweggründen bewusst "doppeldeutig" formuliert. Die "Interkulturalität" Ramadans ermögliche es diesem, den dschihad als Befreiungskampf, das Kopftuch als Ausdruck der Emanzipation der Frau und die Kritik an der Dekadenz des Westens als anti-imperialistisch erscheinen zu lassen.

Bedenkenswert erscheint auch die Einschätzung Ghadbans bezüglich der Rolle Ramadans in der so genannten islamischen Welt. Von dem amerikanischen Time Magazine immerhin unter die einhundert wichtigsten Persönlichkeiten des 21. Jahrhundert gewählt, wird nach Ghadban die Bedeutung des Enkels Hassan al-Bannas deutlich überschätzt.

Zwar sei er wichtige Referenz für die islamische Jugend in Frankreich, er werde aber von den muslimischen Gelehrten nicht als religiöse Autorität wahrgenommen. Da er kein Theologe sei, sei er auch zur Interpretation der Religion nicht qualifiziert und darüber hinaus auch nicht mit dem notwendigen Mandat ausgestattet, für die Muslime in der Welt zu sprechen.

Ausschweifende islamwissenschaftliche Exkurse

Trotz vieler Stärken, gänzlich ohne Mängel ist das von Ralph Ghadban vorgelegte Buch leider nicht. Neben mehr oder minder ärgerlichen Kleinigkeiten, wie etwa diversen Unstimmigkeiten bei der Umschrift von arabischen Namen, trüben insbesondere die ausschweifenden islamwissenschaftlichen Exkurse, etwa zur islamischen Geistesgeschichte oder zur Entwicklung des islamischen Rechts das Lesevergnügen, da diese oftmals die eigentliche Intention des Buches, nämlich die kritische Auseinandersetzung mit dem Werk Ramadans vergessen lassen.

Hier hätte es sich angeboten, den Bezug zum Ramadanschen Werk immer wieder herzustellen und deutlicher herauszuarbeiten.

Kurzum: Wer mehr über Tariq Ramadan und insbesondere über dessen Grundpositionen sowie deren Einordnung in die islamische Geistesgeschichte erfahren möchte, dem sei die Studie als demaskierende Lektüre durchaus angeraten.

Eine jeweils eigene Auseinandersetzung mit der Person Ramadans und dessen umfangreichen Werk kann allerdings auch das von Ghadban vorgelegte Buch nicht ersetzen. Dies gilt insbesondere, da dieser Ramadan von vorne herein und kategorisch als "Islamisten" begreift und liest und somit eine andere – von verschiedenen Autoren durchaus unternommene – Lesart gänzlich ausschließt.

Jürgen Endres

© Qantara.de 2006

Dr. Jürgen Endres ist Islam- und Politikwissenschaftler. Er arbeitet als wissenschaftlicher Referent und freier Journalist.

Ralph Ghadban: Tariq Ramadan und die Islamisierung Europas. Verlag Hans Schiler, 2006. 172 Seiten, ISBN 3-89930-150-1

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Verlag Hans Schiler