"Law and Order"-Politik gegen Missionare

In Algerien versucht die Staatsmacht per Gesetz und Gerichtsverfahren eine arabisch-muslimische "Leitkultur" durchzusetzen. Im Visier hat sie vor allem christliche Konvertiten und protestantisch-evangelikale Sekten. Von Bernard Schmid

Basilika Notre Dame d'Afrique; Foto: picture alliance/ dpa
Anlass für die Zunahme der Spannungen ist eine Bewegung protestantischer Freikirchen, die unter algerischen Muslimen missionieren.

​​Hört man dem amtierenden Religionsminister zu, glaubt man beinahe, die Äußerungen mancher abendländischer "Law and Order"-Politiker zu vernehmen, die sich um die Sicherheit und Stabilität ihres Landes sorgen.

Doch es geht um christliche Minderheiten, denen vorgeworfen wird, den Staat zu untergraben, sich dessen Kontrolle zu entziehen und die Werte sowie Tugenden der Mehrheitsgesellschaft in Frage zu stellen.

Das Ganze spielt sich in Algerien ab, wo die Behörden in den letzten Wochen und Monaten verstärkt gegen "illegale" Aktivitäten christlicher Gemeinden vorgingen. Bis vor kurzem gab es 32 protestantische Kirchen in Algerien, von denen zwölf in jüngster Zeit durch die Behörden geschlossen wurden.

Gebet als Gesetzeswidrigkeit

Auch gegen Personen geht die Staatsmacht vor. So wurde am 20. Mai im westalgerischen Tiaret der Strafprozess gegen die Erzieherin Habiba Kouider eröffnet. Sie war im Jahr 2004 zum Christentum konvertiert und bei einer protestantisch-evangelikalen Sekte aktiv.

Der 37-Jährigen drohen nun drei Jahre Haft – so die Forderung der Staatsanwaltschaft –, weil man bei ihr während einer Busreise ein Dutzend Bibeln und religiöse Handbücher gefunden hatte.

Am 3. Juni wurden in derselben Stadt bereits vier Personen verurteilt. Sie hatten in einem Privathaus ein christliches Gebet organisiert, weshalb ihnen eine "gesetzeswidrige Ausübung eines religiösen Kultus" vorgeworfen wurde. Sie wurden zu zwei bis sechs Monaten Haft auf Bewährung sowie Geldstrafen in Höhe von umgerechnet 1.000 respektive 2.000 Euro verurteilt.

Zwei weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Sie hatten abgestritten, zum christlichen Glauben konvertiert zu sein. Khelloudja Khlafoun, die Anwältin der Verurteilten, hat Berufung gegen das Urteil eingelegt. Sie wirft dem Gericht vor, unter Beweismangel die vier Geständigen verurteilt, aber die beiden leugnenden Angeklagten freigesprochen zu haben.

Am 3. Juli dieses Jahres wiederum verhängte ein Gericht in Tissemsilt, 200 Kilometer südlich der Hauptstadt Algier, eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten Geldbuße sowie eine Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 1.600 Euro gegen zwei algerische Angeklagte. Es handelte sich bei ihnen um evangelikale Christen.

Frucht vor "frenetischem Missionseifer"

In Algerien leben derzeit rund 10.000 protestantische und rund 1.500 katholische Christen, so die offiziellen Zahlen. Die Dunkelziffer dürfte allerdings weit höher liegen. Schätzungen zufolge leben in dem Maghrebstaat heute bis zu 30.000 Christen unterschiedlicher Konfessionen.

Es ist vor allem die Zahl der Protestanten, die zu steigen scheint. Unter anderem ist dies auch die Frucht des "frenetischen Missionseifers" evangelikaler und anderer Protestanten, deren Kirchen und Sekten überwiegend nordamerikanischen Ursprungs sind.

Die Konvertiten sehen ein probates Mittel darin, sich von der arabischsprachigen Mehrheit im Lande abzugrenzen, indem sie eine andere religiöse "Identität" annehmen, um die in konservativen Kreisen gern beschworene arabisch-muslimische "Leitkultur" herauszufordern – um einen deutschen Begriff zu nutzen–, denn in Algerien nennt man das nicht "Leitkultur", sondern "algerische Personalität".

Verführerische Geldmittel

Die katholische wie auch die traditionelle protestantische Kirche des Landes, unterhielten lange ein gutes Verhältnis zu den muslimischen Gemeinden und verzichteten auf jeglichen "Bekehrungseifer".

Doch dieses Verhältnis wird nun durch das Treiben radikaler protestantischer Sekten belastet, die mit ihren Evangelisierungsbestrebungen oft auftreten, wie der Elefant im Porzellanladen. Zunehmend kommen Christen aus Europa und Nordamerika auf Missionsreise nach Algerien.

Sie bedienen sich teils zweifelhafter Methoden und operieren bei Konversionsbemühungen etwa mit dem Versprechen, den Umworbenen Visa zur ersehnten Ausreise in wohlhabende westliche Länder zu beschaffen.

Grundlage für das staatliche Vorgehen gegen christliche Gruppen ist ein Gesetz, das am 28. Februar 2006 verabschiedet wurde. Es bedroht denjenigen, der "einen Muslim dazu auffordert, zwingt oder durch Einsatz verführerischer Mittel dazu veranlasst, eine andere Religion anzunehmen", mit zwei bis fünf Jahren Haft oder einer Geldstrafe in einer Höhe zwischen 5.000 und 10.000 Euro. Der gesetzliche Mindestlohn in Algerien liegt bei umgerechnet gut 100 Euro im Monat.

Aufruf gegen Intoleranz

In der öffentlichen Meinung sind die staatlichen Repressionen umstritten. So wurde am 17. März dieses Jahres von prominenten Intellektuellen in Algier ein "Aufruf gegen Intoleranz" gestartet, in dem sich die Unterzeichner für Glaubens- und Gewissensfreiheit aussprechen.

Ali Dilem; Foto: AP
Der Algerier Ali Dilem wurde 2006 zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er Präsident Bouteflika in einer Karrikatur dargestellt hatte.

​​Zu ihnen zählen solch prominente und populäre Figuren wie der Karikaturist (u.a. bei der französischsprachigen Tageszeitung Liberté) Ali Dilem, der kritische Historiker des algerischen Unabhängigkeitskriegs Mohammed Harbi und der frühere Vorsitzende der algerischen Liga für Menschenrechte, Ali Yahia Abdenour. Der Aufruf hat bereits in der öffentlichen Debatte hohe Wellen geschlagen.

Die Kritiker der Prozesswelle sprechen dem Staat zwar nicht grundsätzlich das Recht ab, religiöse Kultstätten zu kontrollieren – etwa um militanten Islamisten das Wasser abzugraben. Nur möchten sie, dass zwischen der Kontrolle von Gotteshäusern einerseits und einer Reglementierung privater Überzeugungen und der persönlichen Gewissensfreiheit andererseits unterschieden werde.

Das Mitführen von Bibeln oder religiöser Handbücher sowie das Abhalten von Gebeten in Privathäusern, so ihre Auffassung, fällt jedoch allein in den Bereich der persönlichen Glaubensfreiheit.

Bernard Schmid

© Qantara.de 2008

Qantara.de

Christen in Marokko
"Warum betet ihr nicht in der Moschee?"
In Marokko begegnet man den einheimischen Christen häufig mit Skepsis. Ihre europäischen Glaubensbrüder dagegen genießen volle Religionsfreiheit. Über die kleine Minderheit berichtet Thilo Guschas.

Christen in Afghanistan
Unter Verdacht
Nach Jahrhunderte langer Isolation machen sich am Hindukusch heute vermehrt ausländische Einflüsse bemerkbar – dazu zählt auch das Christentum, dem Afghanistans islamistische Hardliner den Kampf angesagt haben. Von Martin Gerner

Christen in Jordanien
Problemloses Zusammenleben?
Das Christentum ist in Jordanien von alters her verwurzelt. Rund 230.000 Christen leben heute im haschemitischen Königreich König Abdullahs II. Über ihr Zusammenleben mit der muslimischen Bevölkerungsmehrheit berichtet Andrea Seeger.