Kinokunst und Kunstkino

Nach der feierlichen Eröffnung des Wettbewerbs folgten am ersten Festivaltag Beiträge aus dem Iran und den USA. Werner Herzogs Wüstenepos "Queen of the Desert" enttäuschte arg, dafür kam Bezauberndes aus Teheran. Von Jochen Kürten

By Jochen Kürten

Eisig hatte sie begonnen, die 65. Berlinale - mit einer Frau am Nordpol. Am Freitag (06.02.) folgte dann das Kontrastprogramm. Wieder war es eine Frau, die in unwirtliche Weltregionen reist, wieder eine historisch verbürgte Figur, auf deren Spuren sich ein Filmkünstler begibt.

Diesmal war es der Deutsche Werner Herzog, der in "Queen of the Desert" das Porträt der britischen Historikern und Schriftstellerin Gertrude Bell zeichnet, die als Archäologin und später als Mitarbeitern des britischen Geheimdienstes im Nahen Osten zu einiger Berühmtheit gelangte. Herzog nimmt eine Episode aus dem Wirken Gertrude Bells in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs unter die Lupe.

Starke Frauenfiguren bei der Berlinale

Wieder also eine Britin aus der oberen Gesellschaftsschicht, die hinauszieht in die Welt, angetrieben von der Leidenschaft, Neues zu entdecken und von dem Wunsch, sich von Erwartungen an das weibliche Geschlecht zu emanzipieren. Auch der Zeitraum der Filmhandlung stimmte mit dem des Eröffnungsfilms "Nobody wants the Night" überein.

Das war es wohl, was Festivalchef Dieter Kosslick meinte, als er im Vorfeld davon sprach, die 65. Berlinale werde eine der "starken Frauen". Dass die Geschichte von starken Frauen nicht zwangsläufig zu starken Filmen führen muss, bestätigte leider auch Herzogs Film. Der Deutsche hat "Queen of the Desert" mit internationalem Starensemble in Szene gesetzt, der Film läuft im Wettbewerb als US-Beitrag.

In der Titelrolle schwebt engelsgleich Australiens Weltstar Nicole Kidman durch die Wüstenlandschaften des Nahen und Mittleren Ostens, Männer verfallen ihr reihenweise, unter anderem James Franco. Dazu kommt Ex-Teenie-Star Robert Pattinson, der einen blässlichen Lawrence of Arabia geben darf.

Nicole Kidman und Regisseur Werner Herzog auf der Berlinale; Foto: Reuters/H. Hanschke
Eien Art weiblicher Lawrence von Arabien": Nicole Kidman spielt in dem Abenteuer- und Liebesdrama "Queen of the Desert" von Werner Herzog die britische Historikern und Schriftstellerin Gertrude Bell.

"Queen oft he Desert" ist Historienkino wie aus längst vergangenen Jahrzehnten: Die Briten treten kühl und schneidig auf, die Stammesfürsten Arabiens verschlagen und gutgläubig. Auch Winston Churchill ist als Karikatur dabei. Mittendrin in dieser Welt der Männer und Eroberer behauptet sich Gertrude Bell alias Nicole Kidman gegen alle Widerstände. Mag sein, dass Werner Herzog der edlen wie mutigen Dame ein filmisches Denkmal setzen wollte, herausgekommen ist nur ein müdes Historienspektakel mit einigen schönen Wüsten-Panoramen und vielen auswendig gelernten Dialogen.

Werner Herzog ohne Inspiration

Das größte Wunder an "Queen of the Desert" ist, dass er von Werner Herzog inszeniert wurde – eben jenem Regisseur, der sich mit fernen Weltregionen bestens auskennt und der nicht selten filmische wie menschliche Abgründe auslotete. Doch vom Wahnsinn eines "Fitzcarraldo" oder eines "Aguirre, der Zorn Gottes" ist er hier meilenweit entfernt. Wenn er denn noch leben würde, hätte Klaus Kinski dem Projekt sicher mehr kreativen Wahnsinn eingehaucht. So ist "Queen of the Desert" nur leeres Kunstkino.

Gertrude Bell verlässt ihre englische Heimat zunächst gen Teheran. Eben dort ist auch "Taxi", der neue Film des iranischen Regisseurs Jafar Panahi, angesiedelt. Ein Werk dieses Filmemachers vorzustellen, ohne die Geschichte des Regisseurs zu erzählen, ist schier unmöglich. Panahi, der seit Mitte der 1990er Jahre Filme inszeniert, fiel bei den heimischen Revolutionswächtern schnell in Ungnade. Werke wie "The Circle" und "Offside" machten ihn zu einem unliebsamen Künstler im eigenen Land, weil er auf die Nöte und Sorgen der Menschen hinwies - auf Dinge, die nicht gut liefen in seinem Heimatland.

Arbeit trotz Berufsverbot

Der Konflikt zwischen Staat und Künstler gipfelte schließlich 2010 in einer sechsjährigen Haftstrafe, die Panahi nach internationalen Protesten allerdings nicht antreten musste. Ein ebenfalls verhängtes 20-jähriges Berufs- und Arbeitsverbot wird von den Behörden nicht konsequent verfolgt. Reisen darf Panahi nicht, das Filmemachen lässt er sich aber nicht verbieten: "Mit Kino drücke ich mich aus, es ist mein Leben. Nichts kann mich am Filmemachen hindern", lautet eine Botschaft des Regisseurs: "Trotz aller Einschränkungen wird in dieser inneren Abgeschlossenheit die Notwendigkeit, etwas zu erschaffen, zu einem immer größeren Trieb."

Der iranische Regisseur Jafar Panahi; Foto: picture-alliance/dpa
Dem teheraner Regime ein Dorn im Auge: Der regimekritische Panahi war wegen seiner Kritik an der iranischen Regierung im Dezember 2010 zu sechs Jahren Haft und einem 20-jährigen Berufs- und Ausreiseverbot verurteilt worden - das Urteil wurde jedoch nicht vollständig vollstreckt. Auch dieses Jahr durfte er an der Berlinale nicht persönlich teilnehmen.

Schon vor zwei Jahren lief bei der Berlinale mit "Closed Curtain" ein Werk des Regisseurs; es wurde prompt mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet. Nun wurde auch "Taxi" im Wettbewerb gezeigt. Wie es dem Künstler trotz Berufsverbot gelingt zu arbeiten, bleibt schleierhaft.

Wie schon "Closed Curtain" ist auch "Taxi" ein kleines filmisches Juwel. Der Zuschauer begleitet den Regisseur und vermeintlichen Taxi-Chauffeur in dessen Auto durch die Stadt. Manche Fahrgäste erkennen Panahi und identifizieren ihn als verfemten Regisseur. Im Straßennetz der Hauptstadt kennt er sich nicht recht aus, und Geld von seinen Kunden will er auch nicht.

Filmkunst mit einfachsten Mitteln: Am Armaturenbrett des Taxis ist eine Kamera befestigt, die den Regisseur und seine Fahrgäste ununterbrochen zeigt: einen illegalen Videohändler, eine Anwältin, ein kleines Mädchen, zwei ältere Frauen, die einen Goldfisch im Glas transportieren und andere Fahrgäste mehr. Die Gespräche zwischen Chauffeur und Beifahrern drehen sich um Politik und Religion, streifen aber auch Banales und Alltägliches.

Ob die Fahrgäste nun tatsächlich tatsächliche Kunden sind oder Schauspieler, dass lässt Panahi offen. Den Zuschauer stört's nicht. Der Film hat viel Witz und Wahrheit, versprüht Charme. Das nicht aufgelöste Spiel zwischen Fiktion und Authentizität lädt zu allerlei philosophischen Gedanken ein. Ein Auto, ein Regisseur, eine Handvoll Akteure, eine einfache Digitalkamera – mehr braucht Jafar Panahi nicht, um über sein Land zu erzählen. Das ist wahre Filmkunst.

Jochen Kürten

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