"Der Islam und wir Muslime werden zu einem Feindbild aufgebaut"

Muhammad Kalisch, Professor für die "Religion des Islam" am "Centrum für religiöse Studien" der Universität Münster plädiert angesichts des Karikaturenstreits für absolute Meinungsfreiheit. Die Würde des Menschen darf dabei jedoch nicht verletzt werden.

Muhammad Kalisch, Professor für die "Religion des Islam" am "Centrum für Religiöse Studien" der Universität Münster plädiert angesichts des Karikaturenstreits für absolute Meinungsfreiheit. Die Würde des Menschen darf dabei jedoch nicht verletzt werden.

Demonstration vor der dänischen Botschaft in Berlin; Foto: AP
Auch der Meinungsfreiheit sind Grenzen gesetzt - Demonstration gegen die Karikaturen vor der dänischen Botschaft in Berlin

​​Wenn man weiß, dass Muslime eine bildliche Darstellung des Propheten als besonders verletzend empfinden, dann sollte jemand, der Kritik am Islam hat und sich in einem ehrlichen Dialog mit Muslimen über seine Kritik auseinandersetzen möchte, sich fragen, ob er seine inhaltliche Kritik in gleicher Schärfe vielleicht nicht mit einem Mittel ausdrücken könnte, das sein Anliegen genauso klar zum Ausdruck bringt, aber die Gegenseite weniger verletzt. Dies ist eine Frage des Anstands und des Stils.

Trotzdem bleibt festzuhalten, dass dabei auftretende Konflikte nicht mit dem Strafrecht gelöst werden können und dürfen. Im Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit einerseits und Religion andererseits muss es eine absolute Freiheit der Meinung und der Wissenschaft geben, auch wenn dies religiöse Gefühle verletzen mag.

Jeder Versuch, hier zu begrenzen, ist mit dem Wesen der Grundfreiheiten nicht zu vereinbaren, und alle historische Erfahrung zeigt, dass dabei nichts Gutes herauskommen kann.

Bei Generalverdacht ist der Staat gefordert

Dennoch gibt es Grenzen. Diese Grenzen betreffen aber nicht das religiöse Bekenntnis von Personen, sondern ihre Personenwürde. Wenn die Anhänger irgendeines religiösen Bekenntnisses, seien es Juden, Christen, Muslime, Hindus, Bahais oder wer auch immer, in Karikaturen oder anderen Meinungsäußerungen so dargestellt werden, dass sie als eine bloße Masse erscheinen, der unterschiedslos ohne jegliche individuelle Differenzierung unbestritten als negativ begriffene Eigenschaften wie Lüge, Falschheit, Betrügerei oder gar Mordlust zugeschrieben werden, dann ist ohne Zweifel die Würde des Menschen verletzt und es liegt eine hetzende Darstellung vor.

Ein Muslim oder Christ muss es hinnehmen, wenn seine Religion als mordlüstern, hinterwäldlerisch oder antidemokratisch bezeichnet wird, auch wenn dies Unsinn ist.

Anderenfalls müssten Gerichte über das Wesen des Islam oder des Christentums entscheiden und könnte freie wissenschaftliche Forschung jederzeit unter Zensur gesetzt werden mit dem Argument, es werde eine Religion falsch dargestellt.

Umgekehrt aber darf es nicht sein, dass ein Mensch, nur weil er einer bestimmten Religion zugehörig ist, automatisch unter Generalverdacht gestellt und mit den Attributen von Kriminellen versehen wird. Hier ist in der Tat ein energisches Vorgehen des Staates zu verlangen!

Meinungsfreiheit als Garant gegen Hetzer

Die Diskussion über den Islam oder irgendeine andere Religion kann nur als freie und tabulose Diskussion geführt werden, in der einzig die Argumente für die jeweils angeführten Behauptungen zählen. In einer solchen Diskussion werden völlig substanzlose Behauptungen schnell entlarvt. Die Freiheit der Meinung und der Wissenschaft wird hier dafür sorgen, dass Hetzer und Demagogen nicht die Oberhand gewinnen.

Es wird viel Unsinn über den Islam geschrieben und es gibt sehr einseitige Darstellungen. Dem stehen aber auch sehr differenzierte und verteidigende Darstellungen gegenüber.

Ich bin der festen Überzeugung, dass in einer Gesellschaft, die konsequent die Freiheit der Meinung und der Wissenschaft garantiert, sich auf Dauer immer ein differenziertes Bild einer Religion in der öffentlichen Diskussion ergibt und Darstellungen, die völlig einseitig und bewusst verzerrend sind, immer auf starke Kritik stoßen werden.

Es gibt ohne Zweifel Darstellungen des Islam, deren Autoren bewusst Fakten einseitig auswählen und die Dinge verzerren mit dem Ziel, zu hetzen. Daneben gibt es aber auch Darstellungen des Islam, die eine Darstellung und Wertung von Fakten beinhaltet, die von einem Muslim nicht geteilt werden, ohne dass der Autor damit Hetze oder bewusste Verzerrung beabsichtigt.

Weil sich aber diese beiden Fälle niemals gerichtlich sicher unterscheiden lassen könnten, muss zur Wahrung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in Kauf genommen werden, dass diese auch missbraucht werden kann. Die Anhänger einer jeden Religion müssen nun einmal bereit sein, sich auch harte Kritik an ihrer eigenen Religion anhören zu müssen.

Schuld ist immer individuell

Das einzelne Individuum oder eine Gruppe aber müssen auch strafrechtlich in ihrer Würde geschützt werden und dürfen nicht als Kriminelle oder Lügner dargestellt werden, nur weil sie einer bestimmten Religion angehören. Man mag den Islam als eine Religion des Terrors und der Gewalt bezeichnen, was er nicht ist. Eine solche substanzlose Behauptung muss dennoch aus den bereits ausgeführten Gründen im Rahmen der Meinungsfreiheit hingenommen werden.

Muhammad Kalisch; Foto: Larissa Bender
Muhammad Kalisch: "Gegen Muslime wird – leider auch mit Billigung durch Politiker dieses Landes, wie der "Muslimtest" in Baden-Württemberg zeigt – ein Generalverdacht aufgebaut."

​​Einem konkreten Menschen oder einer Gruppe von Menschen aber ist grundsätzlich gesetzeskonformes Verhalten zu unterstellen und ein Gesetzesverstoß muss im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens nachgewiesen werden. Dies ist eine Grundlage von Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechten und Pluralismus.

Wer wirklich glaubt, dass alle Muslime, alle Juden oder alle Atheisten Verbrecher seien, der kann in dieser Auffassung nicht mehr von der Meinungsfreiheit geschützt werden, weil er die Grundlage, auf der die Meinungsfreiheit selbst beruht, nicht akzeptiert, nämlich die Würde des Menschen und die Vorstellung, dass Schuld immer individuell und nie kollektiv sein kann, mithin es also unsinnig ist, bestimmten Gruppen pauschal unmoralisches und ungesetzliches Verhalten zu unterstellen.

Das Menschenbild, auf dem Meinungsfreiheit und Demokratie beruhen, unterstellt zunächst einmal keinem einzelnen Menschen und keiner Menschengruppe pauschal böse Absichten oder gar böse Taten und betrachtet die Vorstellung, dass Angehörige einer bestimmten Volksgruppe oder Religion grundsätzlich böse seien als irrational.

Kein differenziertes Bild von Muslimen

Hier liegt meines Erachtens das wirkliche Problem. Es geht nicht mehr nur um Kritik am Islam. Diese ist, wie dargestellt, selbstverständlich legitim. Das Problem liegt darin, dass wir Muslime vielfach nur noch als eine einheitliche Masse gesehen werden, die ausnahmslos und undifferenziert mit negativen Attributen belegt wird. Der Islam und wir Muslime werden zu einem Feindbild aufgebaut mit Mitteln teilweise übelster Hetze.

Es wird nicht mehr differenziert. Eine kleine Gruppe gewalttätiger Terroristen wird mit einer ganzen Religionsgemeinschaft identifiziert. Wir sollen uns ständig von Terror und Gewalt distanzieren, was unterstellt, es sei grundsätzlich zu vermuten, wir würden dies gutheißen.

Gegen Muslime wird – leider auch mit Billigung durch Politiker dieses Landes, wie der "Muslimtest" in Baden-Württemberg zeigt – ein Generalverdacht aufgebaut. Es herrscht eine aus meiner Sicht absurde Diskussion über das Kopftuch, die in der Praxis dazu führt, dass gerade emanzipierte Muslimas vom Berufsleben ausgeschlossen werden.

Die konservativen Parteien machen durch ihre Politik unmissverständlich deutlich, dass sie eine Ungleichbehandlung der Religionen befürworten, die meines Erachtens verfassungsrechtlich keinen Bestand haben kann. Dabei ist in letzter Zeit viel von jüdisch-christlichen Grundlagen des Abendlandes die Rede.

Interessanterweise verstehen sich Muslime und Juden recht gut, wenn man mal vom Palästinakonflikt absieht, der aber ein politischer Konflikt ist. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum die Christen mit den Juden angeblich so gut klarkommen und mit uns Muslimen nicht, obwohl sich Juden und Muslime theologisch näher stehen als Juden und Christen, was bei jedem religiösen Trialog immer wieder deutlich wird.

Muhammad Kalisch

© Muhammad Kalisch 2006

Der Text ist ein Auszug aus einer Stellungnahme von Prof. Dr. Muhammad Kalisch, die er anlässlich des Konflikts um die Karikaturen, die den Propheten Muhammad abbilden, veröffentlichte. Die vollständige Stellungnahme können Sie auf der Website des "Centrum für Religiöse Studien" lesen.

Qantara.de

Mohammed-Karikaturen
Wo bleiben die Besonnenen?
Die Auseinandersetzung um die Mohammed-Karikaturen spitzt sich zu. Europäische und arabische Zeitungen drucken die Karikaturen nach, in islamischen Ländern kommt es zu Gewaltausbrüchen. Auf beiden Seiten, beklagt Aiman A. Mazyek, fehlen die Besonnenen.

Streit um Mohammad-Karikaturen
Proteste als Karikaturen an sich
Die tunesische Literaturwissenschaftlerin Radscha Ben Slama warnt in ihrem Kommentar über den Konflikt um die Propheten-Karikaturen vor überzogenen Reaktionen aus der islamischen Welt, die ein rigides und engstirniges Islambild vermitteln und der Religion massiv schaden.

Christen und blasphemische Karikaturen
Das Recht, Gott zu lästern?
"Man hat das Recht, Gott zu karikieren" – so titelte die France Soir, eine der ersten europäischen Zeitungen, die dem dänischen Vorbild gefolgt waren und einige der umstrittenen Muhammad-Karikaturen abdruckte. Doch hat man dieses Recht noch nicht seit langem. Der Umgang im Westen mit religiösen Provokationen – speziell christlichen Blasphemien – hatte gerade im 20. Jahrhundert eine neue und schärfere Dimension erfahren. Ann-Katrin Gässlein berichtet

www

Centrum für Religiöse Studien der WWU Münster