Atomare Altlasten in der Wüste

Frankreich hat nicht nur im Südpazifik Atomwaffentests durchgeführt, sondern auch in der ehemaligen Kolonie Algerien. Paris sperrt sich bis heute gegen den juristischen Protest der Opfer. Bernhard Schmid berichtet.

Französischer Atomwaffentest auf dem Mururoa-Atoll im Jahr 1971; Foto: dpa
Französischer Atomwaffentest auf dem Mururoa-Atoll im Jahr 1971

​​"Wir haben nichts Böses angestellt, denn die anderen sind, oder waren, noch viel rücksichtsloser als wir." Nach diesem altbekannten Motto verfuhr bislang die französische Staatsmacht, wenn es um den "menschlichen Preis" für die Atombombentests ging, die von 1960 bis 1996 von der Armee des Landes durchgeführt wurden.

Unverfroren heißt es etwa in einem parlamentarischen Bericht, der im Jahr 2002 publiziert wurde, zwar könnten solche nuklearen Waffentests "nicht durchgeführt werden, ohne die Umwelt der Testorte zu beeinträchtigen und ohne menschliche Risiken einzugehen".

Aber, so fährt das Papier fort, "all diese Auswirkungen sind lächerlich im Vergleich zu jenen der Tests, die von den beiden Supermächten nach 1945 ausgeführt wurden."

Geschädigte, die die Konsequenzen der Atomwaffentests nicht "lächerlich" finden, hat allerdings auch die französische Militärgeschichte hinterlassen. Was für die Inselgruppe Französisch-Polynesien im Südpazifik gilt, trifft auch auf die nordafrikanische Sahara zu.

Im Juni 2001 berichtete etwa die algerische Tageszeitung Liberté darüber, dass es im Südwesten Algeriens bis heute auf mehreren Dutzenden Kilometern zu häufigem Viehsterben kommt, das auf radioaktive Verunreinigungen zurückzuführen ist, die sich in der spärlichen Vegetation dieser Wüstenregion konzentrieren.

Geheimklauseln im Abkommen von Evian

Seitdem Frankreich im Februar 1960 seine erste Atombombe testete, hat die Regierung in Paris weltweit insgesamt 210 Atomwaffentests durchführen lassen. Zunächst fanden die Explosionen in Südalgerien statt, in der Nähe der Sahara-Stadt Colomb-Béchar und später in Tunneln im Wüstengebirge Hoggar.

Noch bis 1966, vier Jahre nach der Unabhängigkeit Algeriens von der ehemaligen Kolonialmacht, testete Frankreich nukleare Sprengköpfe in dem nordafrikanischen Land: Geheimklauseln im Abkommen von Evian, das im März 1962 zum Waffenstillstand im Algerienkrieg führte, machten es möglich. Vier überirdischen folgten insgesamt 13 unter der Erde verlaufende Testexplosionen.

Südlich von Colomb-Béchar wurde dabei ein 150 Kilometer breiter Streifen radioaktiv kontaminiert. Noch schlimmer ist, dass die unmittelbar bei den Atombombentests eingesetzten Lastwagen und Transportautos einfach in der Sahara dicht unter der Oberfläche verscharrt wurden.

Die Wüste wurde als riesiges Atommülllager betrachtet. Doch die Wüstenbewohner, die sich der unsichtbaren Gefahren wegen der hohen Radioaktivität nicht bewusst waren, gruben später die Geräte aus und verkauften sie.

Das 675fache Potenzial der Hiroshima-Bombe

Später verlegte die französische Regierung das Atomwaffentestprogramm in den Südpazifik. Bis zum Jahr 1974 wurden die Tests dort ebenfalls oberirdisch durchgeführt. Bei insgesamt 46 dieser oberirdischen Atomexplosionen wurde im Südpazifik das 675fache Potenzial der Hiroshima-Bombe gezündet, mit entsprechend starker Freisetzung radioaktiver Spaltprodukte bei den Kettenreaktionen.

Die letzte Kernexplosion auf dem Mururoa-Atoll fand im Februar 1996 statt, nachdem der frisch gewählte Präsident Jacques Chirac im Sommer des Vorjahres allen internationalen Protesten zum Trotz eine letzte Serie von acht Atomwaffentests im Südpazifik angeordnet hatte. Seitdem wurde die Erprobung der Funktionstauglichkeit und der präzisen Effekte atomarer Sprengköpfe, wie in den USA, ins Laboratorium verlagert.

Mindestens 76.000 Personen – größtenteils französische Wehrpflichtige, die in Unkenntnis ihres Bestimmungsorts und ihrer Mission in den Südpazifik geschickt worden waren – wurden an den Atomwaffentests beteiligt.

Aus einer Testgruppe von über 700 Beteiligten, die von der "Vereinigung der Veteranen von Atomwaffentests" (AVEN) untersucht wurde, ist fast ein Drittel an mindestens einer Krebsart erkrankt – doppelt so viele wie in der gleichen Altersgruppe der "Normalbevölkerung".

Manche klagen auch über Haut- und Skeletterkrankungen oder berichten von Missbildungen ihrer Kinder. Genau erforscht sind die medizinischen Auswirkungen bis heute nicht.

Einreise nach Frankreich verweigert

Die Vereinigung AVEN und ein Verband ehemaliger polynesischer Mitarbeiter auf dem nuklearen Versuchsgelände, "Mururoa e Tatou", haben im Herbst 2003 Strafanzeige gegen Unbekannt wegen der erlittenen radioaktiven Verseuchung gestellt.

Im Jahr 2004 haben die beiden Pariser Richterinnen Anne Auclaire-Rabinovitch und Anne-Marie Bellot dann ein Verfahren gegen Unbekannt wegen fahrlässigen Totschlags und Körperverletzung eröffnet. Mehreren Personen, die sich an der Gründung einer ähnlichen Vereinigung in Algerien beteiligen, wurden dagegen die Visa zur Einreise nach Frankreich verweigert. Offenkundig zählen nicht alle Opfer.

Ein Vorbild könnten sich die Nordafrikaner unterdessen an den Pazifikbewohnern nehmen. Anfang 2006 hat sich erstmals das Parlament eines französischen Überseeterritoriums, Französisch-Polynesien im Pazifik, offiziell der Sache der bei Atomwaffentests Geschädigten und Verseuchten angenommen.

Eine Untersuchungskommission, die von den Abgeordneten des Regionalparlaments in Papeete (Tahiti) eingesetzt wurde, veröffentlichte ihren Abschlussbericht im Februar 2006.

Die Pariser Behauptung, die atomaren Testexplosionen seien "sauber und gefahrlos" gewesen, wird darin als "glatte Unwahrheit" bezeichnet. Die Untersuchungskommission empfiehlt der Inselregion, von der französischen Regierung Entschädigungen für Umwelt- und Gesundheitsschäden zu fordern. Seitdem ist der Streit darum anhängig.

Bernhard Schmid

© Qantara.de 2007

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