Im Bataclan von Islamisten aus dem Leben gerissen

An diesem Freitag wird Georges Salines intensiver als sonst an seine Tochter Lola denken. Die 28-Jährige starb vor fünf Jahren im Kugelhagel von Islamisten in der Pariser Konzerthalle Bataclan. Lola Salines ist eines der 130 Todesopfer der bisher schwersten islamistischen Anschläge in Frankreich. Fünf Jahre später sind die Angehörigen wegen der Corona-Pandemie weitgehend auf sich gestellt.

Lebenslustig, weltoffen, mit Freunden verschiedener kultureller und religiöser Prägung: So beschreibt der pensionierte Arzt Salines seine Tochter, die in einem Jugendbuchverlag arbeitete. Der Jahrestag fällt dem Vater schwer: "Wegen der Ausgangssperre gibt es keine Zeremonie mit den Angehörigen", sagt der Ehrenvorsitzende des Opferverbands "13 onze 15" am Telefon. "Wir können uns nur im engsten Familienkreis an Lola erinnern." Nicht einmal sein ältester Sohn kann bei den Eltern sein, er lebt in einem anderen Stadtteil von Paris.

Kurz vor Beginn der Corona-Krise hat Salines das Buch "Il nous reste les mots" (Uns bleiben die Worte) mitveröffentlicht, das in Frankreich für Aufsehen gesorgt hat. Es ist die Aufzeichnung eines ungewöhnlichen Gesprächs: Zwischen dem Vater des Bataclan-Opfers Lola und dem Vater eines der Terroristen, Azdyne Amimour. Dessen Sohn Samy wurde von einem Polizisten am Abend des 13. November 2015 im Bataclan erschossen. Es war Amimour, der Kontakt mit Salines aufnahm, in der Hoffnung, "dass sich ein solcher Schrecken niemals wiederholt".

In ihrem oft schmerzhaften Gespräch loten die Väter der fast gleichaltrigen Kinder Themen aus, die angesichts der jüngsten Anschläge in Wien, Nizza oder Dresden immer noch aktuell sind: Wieso fiel die Radikalisierung Samys seinen Eltern lange nicht auf? Warum gelang es dem liberalen Muslim Amimour nicht, seinen Sohn trotz einer Reise nach Syrien aus den ideologischen Fängen der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) zu befreien? Ist Vergebung möglich?

Lolas Vater Georges Salines will mit dem Buch gegen "Hass von jeder Seite" ankämpfen - "auch den von Menschen, die den Islam und die Muslime pauschal verurteilen". Durch die jüngsten Anschläge in Europa fühlt er sich zwar "nicht entmutigt". "Aber sie zeigen, dass der Dschihadismus immer noch da ist", betont er.

Für "richtig und ausgewogen" hält Salines die Äußerungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). "Wir verurteilen jede Art von religiösem Hass", hatte Merkel am Dienstag nach einer Video-Konferenz mit Macron und anderen EU-Vertretern gesagt. Auch Macron hatte nach anti-französischen Protesten in muslimischen Ländern betont, Frankreich kämpfe zwar gegen den "islamistischen Separatismus, aber niemals gegen den Islam".

In ganz Frankreich gilt seit den jüngsten Anschlägen wieder die höchste Terrorwarnstufe, während das Land unter dem zweiten Lockdown ächzt und die Krankenhäuser wegen täglich mehr als 400 Todesfällen Alarm schlagen.

Viele Franzosen fürchten weitere Anschläge wie die in Nizza, wo ein Tunesier drei Menschen in einer Kirche ermordete, oder den bei Paris, wo die Enthauptung des Geschichtslehrer Samuel Paty für Entsetzen sorgte, der die Mohammed-Karikaturen im Unterricht gezeigt hatte.

In Erinnerung an die Pariser Terror-Opfer vor fünf Jahren sollen vor dem Bataclan Fotos, Zeichnungen und Blumen aufgestellt werden, zu der offiziellen Zeremonie am Freitag wird Frankreichs Regierungschef Jean Castex erwartet.

Georges Salines und seine Familie sind wegen Corona anders als in den Vorjahren nicht eingeladen. Der Vater setzt auf stilles Gedenken im Familienkreis und weitere Gespräche mit Amimour: "Wir haben das Thema nicht erschöpft", sagt er. (AFP)