Expansionistische Agenda - Asiens Christen in Angst vor Taliban

Asiens religiöse Minderheiten fürchten sich nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor dem Erstarken extremistischer islamistischer Gruppen. Den Zusicherungen im Abzugsvertrag mit den USA trauen sie wenig.



Islamabad. Sabir Michael sieht die ohnehin schon schwierige Lage der Christen in seiner Heimat Pakistan durch die Machtübernahme der Taliban im benachbarten Afghanistan mit großer Sorge. "Die Taliban haben eine expansionistische Agenda. Sie geben sich gegenüber der internationalen Gemeinschaft freundlich, aber man kann ihnen nicht trauen", sagt der Katholik, Menschenrechtler und Soziologieprofessor in Karachi auf Anfrage.



"Die Taliban haben seit langem Schläferzellen in Pakistan, die wahrscheinlich jetzt aktiv werden und die einheimischen extremistischen islamistischen Gruppen unterstützen." Zudem hätten die Taliban zunächst zugesichert, ihren pakistanischen Ableger Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP) in Schach halten zu wollen. "Davon sind sie schon wieder abgerückt und stehen jetzt auf dem Standpunkt, das Problem mit TTP müsse die pakistanische Regierung lösen."



Offiziell ist Pakistan ein Partner des Westens im Kampf gegen den Terrorismus. Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass insbesondere der pakistanische Geheimdienst die Taliban unterstützt. "Seit Jahrzehnten sind die Taliban der Hauptverbündete Pakistans in Afghanistan", betonte Samina Ahmed, Sicherheitsexpertin für Südasien der International Crisis Group (ICG) in einer Ende August veröffentlichten Analyse zu den Auswirkungen der Taliban auf die Region.



Mit Entsetzen kommentierte der Katholik Samson Salamat, Vorsitzender der religionsübergreifenden pakistanischen Organisation Rawadari Tehreek (Bewegung für Toleranz) schon Mitte Juli das Lob des pakistanischen Außenministers für den Vormarsch der Taliban. "Das ist gefährlich für unser Land und unsere Gesellschaft. Die Taliban werden fortschrittliche Menschen ins Visier nehmen. Ich fordere alle Pakistaner zum friedlichen Widerstand gegen sie auf", sagte Salamat.



Pakistans Erzfeind Indien sieht die das Comeback mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist die Angst vor Terrorgruppen wie Al Kaida, IS und Lashkar-e-Tayyaba groß. Letztere hatte 2008 von Pakistan aus den Terroranschlag auf Mumbai verübt, bei dem 160 Menschen starben. "Delhi hat es nicht eilig mit der Anerkennung der Taliban als legitimer Regierung von Afghanistan. Es will erst sehen, ob sie Willens und fähig sind, die Gruppen, die Indien als Bedrohung sieht, in Schach zu halten", schreibt der Indienexperte Praveen Donthi in der ICG-Analyse.



Andererseits spielt die Rückkehr der radikalislamischen Taliban innenpolitisch der regierenden hindunationalistischen und extrem muslimfeindlichen "Indischen Volkspartei" (BJP) von Premierminister Modi in die Hände. Muslime, so das Narrativ der Hindunationalisten, hätten sich gegen den Hinduismus verschworen und wollten Indien islamisieren. Praveen Donthi schreibt, die Machtergreifung der Taliban biete der BJP die Chance, ihre anti-muslimische Propaganda noch zu verstärken. "Die Partei bereitet sich auf die Landtagswahlen 2022 in Uttar Pradesh vor - dem mit Abstand bevölkerungsreichsten Bundesstaat Indiens, die durchaus ein Vorbote für die nationalen Wahlen 2024 sein könnte", so der Experte.



Sicherheitsexperten in Bangladesch sehen den Aufstieg der Taliban gelassen, auch wenn in dem mehrheitlich islamischen Land ein radikaler Islam an Einfluss gewinnt und der blutige islamistische Terroranschlag auf das Cafe "Holey Artisan Bakery" in Dhaka im Jahr 2016 noch frisch in Erinnerung ist. "Es gibt noch eine kleine Gruppe enthusiastischer Untergrundislamisten, die der Ideologie von Al Kaida und dem IS folgen, aber sie haben im Volk keine Unterstützung", sagt der Sicherheitsexperte und ehemalige Brigadegeneral Sakhawat Hussain aus Dhaka auf Anfrage, fügt aber hinzu: "Alle Sicherheitsbehörden und die Gesellschaft insgesamt sind wachsam."



Im mehrheitlich islamischen Indonesien rechnet die Regierung mit dem Widererstarken islamistischer terroristischer Gruppen. Die Anti-Terror-Abteilung der Nationalpolizei, "Densus 88", hat Hunderte von mutmaßlichen Unterstützern der einheimischen Terrorgruppe Jamaah Islamiyah (JI) festgenommen, die sich als Brückenkopf des IS- Kalifats in Südostasien versteht. "Die größte Sorge gilt aber derzeit Unternehmen und islamischen Wohlfahrtsorganisationen als Finanziers von JI", sagt der indonesische Sicherheits- und Religionsexperte Andreas Harsono aus Jakarta.



Am Montag setzte der indonesische Vizepräsident Ma'ruf Amin ein Zeichen für das friedliche Zusammenleben der Religionen in Indonesien. Überraschend besuchte der konservative islamische Kleriker den sich noch im Bau befindlichen Tunnel, der die Staatsmoschee in Jakarta mit der gegenüberliegenden katholischen Kathedrale Sankt Marien verbinden wird.



Was die Machtergreifung der Taliban wirklich für die von religiösen Konflikten geplagte Regionen Süd- und Südostasien bedeuten wird, muss die Zukunft zeigen. Kardinal Charles Bo, Vorsitzender der Föderation der katholischen Bischofskonferenzen Asiens, sagte auf die Bitte um eine Stellungnahme: "Ich werde das tun. Aber ich möchte noch eine Weile warten, um die wirkliche Situation sehen zu können." (KNA)