Corona-Welle überrollt Südostasien - Wie konnte das passieren?

Die meisten Länder Südostasiens sind durch Lockdowns und Grenzschließungen gut durch das erste Corona-Jahr gekommen. Die Situation verkehrt sich jedoch nun seit dem Frühjahr in ihr Gegenteil.



Bangkok. Thailand, Myanmar, Indonesien, Vietnam, Kambodscha und sogar das lange fast coronafreie Laos melden explodierende Corona-Zahlen. Die Gründe sind vielfältig - und reichen laut Gesundheitsexperten vom Gefühl falscher Sicherheit durch die anfänglichen Präventionserfolge über Politikversagen, bewaffnete Konflikte, schleppende Impfkampagnen, menschenunwürdige Unterbringungen von Arbeitsmigranten bis zur aggressiven Delta-Variante. Manchmal reichte offenbar schon rücksichtloses Verhalten weniger Reicher für die Auslösung einer Katastrophe.



Bis 7. Februar hatte Kambodscha selten mehr als zehn Infektionen pro Tag. Dann landeten vier Chinesen in einem Privatjet in Phnom Penh. Sie mieteten sich in ein Luxushotel ein, entkamen durch Bestechung der 14-tägigen Quarantänepflicht. Zwei von ihnen wurden positiv auf Corona getestet. Seither rast das Virus durch Kambodscha, infiziert Tausende in den Slums und in den engen Massenunterkünften für Arbeiter.



2020 waren in Laos ganze 41 Corona-Fälle registriert worden. Aktuell sind jedoch schon mehr 3.500 Laoten infiziert, nachdem vor einigen Monaten zwei Thais und eine Laotin illegal einreisten, in den Karaoke-Bars von Vientiane feierten und Massagesalons besuchten. Alle drei wurden nach ihrer Rückkehr in Thailand positiv getestet. In Thailand selbst geht eine massive neue Corona-Welle auf Superspreader-Ereignisse in Massenunterkünften von Arbeitsmigranten nahe der Hauptstadt Bangkok zurück.



Auf den Philippinen werfen Kritiker der Regierung von Präsident Rodrigo Duterte angesichts der trotz Lockdowns anhaltend hohen Infektionszahlen Versagen bei der Corona-Bekämpfung vor. Das Land ist der am zweitstärksten von der Pandemie betroffene Staat Südostasiens. Größter Corona-Hotspot ist das mehrheitlich islamische Indonesien, das zuletzt von Indien den Rang als das am stärksten betroffene Land Asiens übernommen hat.



In vielen dieser Länder spielt sich durch den pandemiebedingten wirtschaftlichen Niedergang ein humanitäres Drama ab. Krankenhäuser, Friedhöfe und Krematorien sind hoffnungslos überlastet. In Indonesien sind seit März 2020 mehr als 500 Ärzte an Corona gestorben, weil es in den Krankenhäusern an Schutzausrüstungen mangelt. Immer mehr Menschen sind durch die Lockdowns ohne Lohn und Brot. Staatliche Hilfen reichen nicht aus, kommen nur schleppend an und landen manchmal auch in den falschen Taschen.



Humanitäre Hilfe für die Armen durch Organisationen wie die katholische Caritas sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Zugleich rollt aber eine Welle der Solidarität von privaten Initiativen, darunter die im indonesischen Ciamis im Bistum Bandung. Zusammen mit Garküchenbesitzern versorgt die katholische Gemeinde dort arme Corona-Betroffene mit kostenlosen Mahlzeiten.



Ein Drama ist in manchen Ländern auch die Impfkampagne. Lange setzten Regierungen wie die Indonesiens und vor allem Thailands aus politischen Gründen auf den Impfstoff Sinovac aus China - der aber weniger wirksam ist als westliche Vakzine. Für den Politologen Thitinan Pongsudhirak ist die chaotische Impfstoffpolitik der vom Militär gestützten thailändischen Regierung unter Ministerpräsident Prayut Chan-o-cha "ein Fiasko". Das werde die gesellschaftliche Unzufriedenheit mit dem Regime verschärfen, warnte er am vergangenen Montag in der "Bangkok Post", einen Tag nach der Niederknüppelung eines Protests gegen die Corona-Politik.



Neuerdings werden in Indonesien wie auch in Thailand die Impfstoffe von Biontech, Moderna oder AstraZeneca zunächst als Booster-Impfungen eingesetzt, ohne dass die Regierungen Sinovac offen kritisieren. "Wenn die Regierungen das direkt sagen würden, wäre das nicht gut für die Beziehungen zu China", sagte der Epidemiologe Dicky Budiman von der australischen Griffith Universität dem "Wall Street Journal" über den verdrucksten "Politikwechsel".



Ein Sonderfall ist Myanmar, das sich seit dem Putsch vom Februar politisch, wirtschaftlich und humanitär in freiem Fall befindet. Das Krankenhauspersonal hatte im Februar mit Streiks die Widerstandsbewegung gegen das Militär begründet. Jetzt fehlen inmitten einer massiven Corona-Welle in den Hospitälern tausende Fachkräfte, während die Junta, die sich Staatsverwaltungsrat (SAC) nennt, Jagd auf die demokratischen Gesundheitsarbeiter macht. "Nachdem sie Ärzte, Krankenpfleger und Ehrenamtler verhaftet haben, fordert die SAC (...) für die Corona-Prävention zum Rezitieren von buddhistischen Sutras auf", twitterte das Widerstandsnetzwerk "Bewegung für zivilen Ungehorsam" (CDM) am Dienstag.



Der Erzbischof von Yangon (Rangun), Kardinal Charles Bo, appelliert an die Behörden, "allen Gesundheitsarbeitern die sichere Mitarbeit" im Gesundheitswesen zu ermöglichen. Bo twitterte: "Vereint retten wir Leben - gespalten werden wir Tausende begraben. Die Geschichte wird der schärfste Richter sein, wenn wir bei der Barmherzigkeit versagen." (KNA)