Paradise Now auf der Berlinale

Der Film "Paradise Now" von Hany Abu-Assad, der im Wettbewerb der Berlinale gezeigt wurde, ist der erste Spielfilm, der sich dem Thema Selbstmordattentäter annimmt. Mit dem palästinensischen Filmemacher sprach Igal Avidan.

Der Film "Paradise Now" von Hany Abu-Assad, der im Wettbewerb der Berlinale gezeigt wurde, ist der erste Spielfilm, der sich dem Thema Selbstmordattentäter annimmt. Igal Avidan sprach mit dem palästinensischen Filmemacher.

Hany Abu-Assad, Foto: Berlinale
Regisseur Hany Abu-Assad

​​Zwei junge palästinensische Männer, Khaled und Said, die seit ihrer Kindheit gute Freunde sind, wurden dazu bestimmt, sich als Selbstmordattentäter in Tel Aviv in die Luft zu sprengen. Die voraussichtlich letzte Nacht ihres Lebens dürfen sie noch einmal im Kreise ihrer Familien in Nablus verbringen.

Selbstverständlich verheimlichen sie ihr Vorhaben und nehmen daher keinen wirklichen Abschied von ihren Angehörigen.
Am nächsten Morgen werden sie an die israelische Grenze gebracht. Die Bomben sind unsichtbar an ihren Körpern befestigt.

Doch dann verläuft die Operation nicht so wie geplant: Die beiden Freunde verlieren sich aus den Augen. Voneinander getrennt und ganz auf sich allein gestellt, müssen die "lebenden Bomben" ihrem Schicksal entgegentreten und für ihre Überzeugungen einstehen.

Warum haben Sie einen Film über Selbstmordattentäter gedreht, und das in einer Zeit, Anfang 2000, in der gar keine Selbstmordanschläge stattfanden?

Hany Abu-Assad: Ich suche, wie jeder Filmemacher, nach einer Geschichte. Ich betrachtete das Phänomen damals als Geschichte. Diese Distanz sollte verhindern, dass ich durch die Aktualität und die damit verbundenen Ängste und Emotionen gelenkt werde und einen vorhersehbaren Film drehe.

Und dann brach die zweite Intifada im Oktober 2000 aus und damit kehrten die palästinensischen Selbstmordanschläge zurück. Wie haben Sie auf diese Entwicklung reagiert?

Abu-Assad: Das war vor allem für die Menschen sehr schlimm. Ich habe diese Wirklichkeit jedoch als ein Drama betrachtet, in der sich die Figuren entwickeln. Dieses Drama habe ich in der Filmsprache erzählt. Diese Distanz war notwendig, um das Phänomen des Tötens und Sterbens im gleichen Augenblick zu begreifen.

Warum haben Sie darauf bestanden, trotz der täglichen Gewalt und der Belagerung der Stadt, ausgerechnet in Nablus zu drehen?

Abu-Assad: Weil ich den Film als eine Fiktion drehen, aber zugleich sehr nah an der Realität bleiben wollte. Das bedeutete, am Ort des Geschehens - während des Geschehens - zu drehen. Unsere erste Option Gaza fiel aus, weil die Stadt ein großes Gefängnis ist, und Ein- und Ausreise kaum möglich sind. Damals feuerte Israel täglich Raketen auf Gaza, seit sechs Monaten aber nicht mehr auf die Westbank. Da die israelische Armee täglich in Nablus eindrang, dachten wir, dass wir dort nicht mit Raketen rechnen müssen, die besonders gefährlich sind. Eine Rakete kann man nicht herankommen sehen. Die israelischen Panzer hingegen kann man sehen, und wir hätten genug Zeit gehabt, um uns in Sicherheit zu bringen.

Aber Ihre Prognosen schlugen fehl!

Abu-Assad: Ja, weil plötzlich am 20. Drehtag eine israelische Rakete in unserer Nähe einschlug. Meine erste Reaktion war zynisch. Ich fühlte mich wie der Kapitän eines sinkenden Schiffes. Ich bin zu weit vom Hafen, um zurück zu kehren und muss daher weitermachen. Sechs deutsche Techniker verließen das Set. Ich kann ihnen keine Vorwürfe machen. Das Leben ist wichtiger als ein Film. Aus diesem Grund gingen wir alle weg und drehten stattdessen in Nazareth.

Wo hat das Filmteam gewohnt? An den Dreharbeiten waren immerhin 70 Menschen beteiligt.

Abu-Assad: Wir hatten ein sehr nettes Hotel. Ich fand es unglaublich, wie die Palästinenser in Nablus den israelischen Druck überstanden. Die Kinder gingen täglich in die Schule – nur an Tagen der Ausgangssperre oder der Streiks nicht. Die Geschäfte waren offen, Hochzeiten fanden statt, die Menschen erzählten Witze und lachten. Gleichzeitig waren die Zeichen des gesellschaftlichen Verfalls zu sehen. Es gab keine Polizei, militante Gruppen raubten eine Bank aus. Die Westbank glich dem Wilden Westen.

Und ihr Film wurde zum Stein des Anstoßes zwischen zwei bewaffneten Banden.

Abu-Assad: Eine Fraktion wollte die Dreharbeiten unterbinden. Sie hielt den Film für anti-palästinensisch, weil man die Gewalt der Israelis und die Besatzung nicht sieht. Eine andere Gruppe teilte zwar diese Meinung, plädierte jedoch für Meinungsfreiheit und stellte sich hinter uns, mit Waffen selbstverständlich, die letztendlich nicht zum Einsatz kamen.

Hatten sie das Drehbuch gelesen, oder warum waren sie so gut informiert?

Abu-Assad: Alle Menschen in Nablus haben das Drehbuch vom Hörensagen gekannt, und jeder hatte eine Meinung dazu. Es wurde zum wichtigsten Thema. Sogar im Lebensmittelladen musste ich mein Skript diskutieren. Gleichzeitig mussten wir täglich mit den Soldaten für jede Kleinigkeit verhandeln, zum Beispiel um Schauspieler ein- und ausreisen zu lassen.

Fast alle Schauspieler sind Palästinenser, die in Israel oder - wie Sie - in Europa leben. Die Hauptdarstellerin Lubna Azabal wurde in Belgien geboren. Wie war das Verhältnis zu den Palästinensern in Nablus, die im Gegensatz zur Crew, nicht ausreisen dürfen?

Abu-Assad: Sie haben uns sehr gut behandelt, und wir waren überall willkommen. Sie schätzten die Tatsache, dass wir ihren gefährlichen Alltag am eigenen Leibe erfahren wollten. Einmal ging ich Schuhe kaufen, und als die Verkäuferin erfuhr, wer ich bin, wollte sie mir unbedingt ein Paar schenken.

Sie leben seit 1981 mit einigen Unterbrechungen in den Niederlanden. Gleichzeitig verfolgen Sie aktiv die Situation im Nahen Osten. Wie stellen Sie sich ein Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern vor?

Abu-Assad: Die einzige Lösung ist das Prinzip der Gleichheit zwischen Palästinensern und Israelis, als Nationen und als Individuen. Auf dieser Grundlage könnte man die Details relativ leicht aushandeln. Bis jetzt akzeptieren offizielle Vertreter Israels einen gleichberechtigten Staat Palästina nicht – zumal das die Teilung des Landes und der Ressourcen bedeutet. Sie lehnen das als eine Selbstaufgabe des jüdischen Staates ab und bieten den Palästinensern lediglich Menschenrechte an.

Solange die Selbstmordanschläge andauern, wird Israel keinerlei Kompromisse machen, und die Palästinenser werden keinen eigenen Staat erhalten. Teilen Sie diese Ansicht?

Abu-Assad: Die Selbstmordanschläge sind eine Folge der Unterdrückung, die zuerst aufhören muss. Die Israelis vergessen, dass die Besatzung auch während des Oslo-Prozesses andauerte.

Verurteilen Sie die Selbstmordanschläge?

Abu-Assad: Warum denn? Ich bin gegen die Tötung von Menschen, und ich will das stoppen. Aber ich verurteile die Selbstmordattentäter nicht. Für mich ist das eine sehr menschliche Reaktion auf eine extreme Situation.

Ihr Film endet mit dem Selbstmordanschlag in einem israelischen Bus. Warum zeigen Sie nicht das Blut und die zerfetzten Körper der unschuldigen Israelis?

Abu-Assad: Dieses Ende ist viel stärker, weil wir die Bilder nach dem Anschlag aus den Medien bereits kennen, die Bilder vor dem Anschlag jedoch nicht.

Der Israel Film Fund will Ihren Film fördern, damit er in Israel gezeigt wird. Freuen Sie sich darüber?

Abu-Assad: Ich würde mich sehr freuen, Israelis den Film zu zeigen, weil für sie die Palästinenser unsichtbar oder Terroristen sind. Ich werde versuchen, einige Aufführungen in der Westbank zu organisieren, um eine Diskussion in Gang zu setzen.

Interview: Igal Avidan

© Qantara.de 2005

Hany Abu-Assad erhielt für seinen Film "Paradise Now" auf der Berlinale den Blauen Engel für den besten europäischen Film, der mit 25.000 Euro dotiert ist und von AGICOA gestiftet wird.

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