Eindämmung des Coronavirus - Tunesiens Balanceakt

Tunesien setzt bei der Eindämmung des Coronavirus auf strenge Maßnahmen, um das schwache Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren. Doch die sozialen Folgen sind massiv. Von Sarah Mersch

Vereinzelte Fußgänger, die meisten mit Masken oder Schal vor Mund und Nase, sind auf den Straßen von Tunis unterwegs. Immer wieder räumt die Polizei mit Sirene und Blaulicht öffentliche Parks, wo Bürger trotz strenger Ausgangsbeschränkungen ein wenig Sport treiben oder spazieren gehen. Nur vor Supermärkten und Apotheken stehen die Menschen mit Sicherheitsabstand Schlange und warten darauf, nach und nach eingelassen zu werden.

In der ganzen Stadt kontrollieren Polizisten die Sondergenehmigungen. Nur Tunesierinnen und Tunesiern, die in einem als systemrelevant eingestuften Bereich tätig sind, haben weiter das Recht, arbeiten zu gehen. Wer keinen triftigen Grund hat, unterwegs zu sein, dem werden der Führerschein entzogen und das Auto konfisziert. Das öffentliche Leben steht still. Auch die Moscheen sind geschlossen.

In Tunesien wurden zwar bis Freitag (3. April) erst 455 bestätigte Corona-Fälle mit 14 Toten erfasst, aber die öffentliche Gesundheitsversorgung ist schwach. In den Krankenhäusern gibt es gerade einmal rund 300 Intensivbetten, ungefähr genauso viele stehen in privaten Kliniken. Bereits vor der Corona-Krise reichte das nicht aus, um die mehr als elf Millionen Einwohner angemessen zu versorgen. Eine größere Ausbreitung des Coronavirus könnte das Gesundheitswesen zum Kollaps bringen.

Um das zu verhindern, hat der Staat schnell strenge Maßnahmen getroffen, teilweise früher als viele europäische Staaten. Bereits Anfang März, wenige Tage nachdem die erste Covid-19-Erkrankung bestätigt wurde, mussten Reisende aus Risikogebieten 14 Tage in Isolation, größere Versammlungen sowie Kultur- und Sportveranstaltungen wurden untersagt. Seit 18. März ist eine nächtliche Ausgangssperre in Kraft, seit 22. März gibt es auch tagsüber strikte Ausgangsbeschränkungen. Die Grenzen sind geschlossen.

Regierungschef Elyes Fakhfakh, der erst seit Ende Februar im Amt ist, sprach in einer Rede im Fernsehen von einer «Ausnahmesituation, wie wir sie selbst bei der Revolution noch nicht erlebt haben». Er bat die Bürger um Verständnis für die Einschränkungen und um Geduld. Die relativ langsame Ausbreitung des Virus scheint ihm bis jetzt Recht zu geben.

In einer repräsentativen Umfrage vom vergangenen Wochenende bewerteten mehr als zwei Drittel der Befragten die Maßnahmen des Gesundheitsministeriums positiv, über 80 Prozent fühlten sich durch die Sensibilisierungskampagnen gut über Corona informiert.

Doch die strikten Maßnahmen haben auch ihre Schattenseiten. Zwar hat die Regierung ein Hilfspaket von 2,5 Milliarden Dinar (rund 800 Millionen Euro) für Unternehmen aufgelegt. Dies entspricht rund fünf Prozent des Jahreshaushalts Tunesiens. Doch etwa die Hälfte der Wirtschaftsleistung wird im informellen Sektor erbracht, der in der offiziellen Statistik nicht erfasst wird und keine geregelten Arbeitsverhältnisse aufweist.

So stehen viele Tagelöhner, die sonst von der Hand in den Mund leben, seit Beginn der Einschränkungen vor dem Nichts. Das tunesische Sozialministerium kündigte immerhin die Unterstützung von Bedürftigen in Höhe von 50 bis 200 Dinar (15 bis 64 Euro) an. Außerdem soll niemandem, der seine Rechnung nicht zahlen kann, in dieser Zeit Wasser, Strom oder Telefon abgestellt werden. Als diese angekündigten Unterstützungen zu Beginn der Woche nicht pünktlich ausgezahlt wurden, kam es nach Medienberichten in Vororten von Tunis zu Auseinandersetzungen von Demonstranten mit der Polizei.

Auch der Tourismussektor, der sich nach dem politischen Umbruch2011 und zwei Anschlägen 2015 gerade wieder gefangen hatte, leidet unter der Krise. Mouna Allani Ben Hamida, Sprecherin des tunesischen Hotelverbands und Besitzerin eines Fünf-Sterne-Hotels im Küstenort Hammamet, sagte, sie wisse nicht, wie sie im April ihre Mitarbeiter bezahlen soll: «Die meisten Hotels an den Küsten haben nach der Thomas-Cook-Pleite vergangenen Jahres bereits jetzt keine Reserven mehr.»

Mindestens 400.000 Tunesier und Tunesierinnen leben direkt oder indirekt vom Tourismus. Einige Hoteliers in den Städten haben ihre leerstehenden Häuser medizinischem Personal zur Verfügung gestellt, das nicht mehr zu Hause wohnt, um Angehörige vor einer möglichen Infektion zu schützen. In anderen wurden Rückkehrer aus dem Ausland in Quarantäne untergebracht. (epd)