Indisches Gericht spricht heiligen Ort in Ayodhya den Hindus zu

Ein bitterer Streit zwischen Hindus und Muslimen spaltet Indien seit Jahrzehnten. Es geht um ein Stück Land, das beide Gruppen für sich beanspruchen. Der Streit entfachte Hass und Blutvergießen. Nun besteht Hoffnung, dass ein Gerichtsurteil Versöhnung schafft.

Das Oberste Gericht in Indien hat in einem besonders strittigen und polarisierenden Fall ein Urteil gesprochen: Es ging um einen heiligen Ort, einen blutigen Konflikt und zwei Religionen. Der Streit zwischen Hindus und Muslimen um ein heiliges Areal im nordindischen Ayodhya hatte 1992 zu Unruhen mit mehr als 2.000 Toten geführt, aber erst jetzt entschied das Oberste Gericht.

Die Richter urteilten am Samstag, dass Hindus auf dem Stück Land, wo sie damals eine Moschee zerstört hatten, einen Tempel für sich errichten dürfen. Den Muslimen wurde ein anderes Stück Land in Ayodhya zugeteilt, wo sie eine neue Moschee bauen dürfen. Ihr Bauland ist etwa doppelt so groß wie das umstrittene Areal. Die Richter urteilten außerdem, dass die Zerstörung der Moschee vor rund einem Vierteljahrhundert rechtswidrig gewesen sei.

Jahrzehntelang hatte der Streit darum, wem der heilige Ort gehört, Indien gespalten. Etwa 80 Prozent der 1,3 Milliarden Einwohner des südasiatischen Landes sind Hindus. Die Muslime sind eine Minderheit und machen etwa 14 Prozent der Bevölkerung aus.

Vor dem Gerichtsurteil war in Indien die Angst vor Krawallen groß. Die Sicherheitsvorkehrungen in der Region wurden deutlich erhöht. Mehrere Tausend Sicherheitskräfte waren im Einsatz, darunter auch Spezialkräfte für Bombenentschärfungen, wie lokale Medien berichteten. Schulen und Universitäten in mehreren Bundesstaaten blieben geschlossen. Auch die Richter stünden unter Schutz, hieß es.

Am Sonntag, einen Tag nach dem Urteil, waren Sicherheitskräfte noch immer in Alarmbereitschaft. Doch es war weitgehend ruhig geblieben. Indiens Regierung hatte sich darum bemüht, die Stimmung nicht hochkochen zu lassen: Vor der Urteilsverkündung hatte Premier Narendra Modi gesagt, die Entscheidung der Richter stelle für niemanden einen Sieg oder eine Niederlage dar. Auch die sozialen Medien waren laut Medienberichten auf aufrührerische Inhalte hin überwacht worden. So habe die Polizei unter anderem auf Tweets geantwortet und Nutzer aufgefordert, diese zu löschen.

Die Geschichte des 1,1 Hektar großen Ortes in Ayodhya im Bundesstaat Uttar Pradesh ist religiös und politisch aufgeladen: Der Überlieferung nach stand dort, wo Hindu-Gott Rama das Licht der Welt erblickt haben soll, einst ein Tempel. Im 16. Jahrhundert setzten muslimische Eroberer die Babri-Moschee dorthin. Fanatische Hindus rissen diese dann 1992 nieder. Dies löste landesweite Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen mit mehr als 2.000 Toten aus, die meisten Opfer waren Muslime. Die Unruhen gelten als ein besonders polarisierendes Ereignis in der Geschichte Indiens.

Die fünf Richter entschieden nun einstimmig und beriefen sich auf eine archäologische Untersuchung. Auch von muslimischer Seite schien der Richterspruch angenommen worden zu sein. «Wir respektieren das Urteil», sagte Anwalt Zafaryab Jilani, der die muslimische Seite vertritt. Während der Anwalt noch andeutete, das Urteil müsse erstmal genau geprüft werden, zitierte der Sender NDTV später andere hochrangige Vertreter mit den Worten, man habe nicht die Absicht, dies zu tun. Der Tempelbau ist seit Langem ein Wahlversprechen von Modis hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP).

Das Gerichtsurteil war nicht das einzige bedeutende Ereignis in der Region am Wochenende. Inmitten von Spannungen um die umstrittene Region Kaschmir eröffneten Indien und Pakistan am Samstag einen Grenzkorridor zwischen ihren beiden Ländern. Der Korridor erleichtert indischen Anhängern des Sikh-Glaubens den Besuch eines ihrer heiligsten Schreine im pakistanischen Kartarpur Sahib, wenige Kilometer von der indisch-pakistanischen Grenze entfernt.

Als «historisch» bezeichnete Pakistans Ministerpräsident Imran Khan diesen Schritt. Modi zog einen Vergleich zum Mauerfall: «Der 9. November war der Tag, an dem die Berliner Mauer fiel und sich zwei gegnerische Seiten zusammenschlossen. Heute haben wir auch die Öffnung des Kartarpur-Sahib-Korridors in Zusammenarbeit mit Indien und Pakistan gesehen.» Er führ fort: «Auch die Ayodhya-Entscheidung, die das Datum 9. November trägt, sendet eine Botschaft des Zusammenseins, der Harmonie und Freundschaft.» (dpa)