Schon 370.000 Rohingya in Bangladesch - UN fliegen Hilfsgüter ein

Gut eine Million Rohingya lebten in Myanmars Unruheregion Rakhine - mehr als ein Drittel ist nun nach Bangladesch geflohen. Es gibt längst nicht genug Unterkünfte, Zelte werden eingeflogen. Bangladesch will, dass Myanmar die Staatenlosen wieder aufnimmt. Von Nick Kaiser

Die Zahl der aus Myanmar nach Bangladesch geflüchteten Rohingya ist nach UN-Angaben auf etwa 370.000 gestiegen. Rund 60 Prozent von ihnen seien Kinder, sagte ein Unicef-Sprecher in Bangladesch.

Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR begann am Dienstag, Zelte, Decken und andere Hilfsgüter einzufliegen. In Myanmar kündigte das Rote Kreuz an, erstmals seit Beginn der jüngsten Gewaltwelle im Unruhegebiet Rakhine Hilfe leisten zu können. Bangladeschs Premier forderte Myanmar auf, die geflüchteten Rohingya wieder aufzunehmen.

Der UN-Sicherheitsrat in New York wollte den Konflikt am Mittwochnachmittag (Ortszeit) erörtern. UN-Generalsekretär António Guterres hatte das Gremium zuvor per Brief dazu aufgefordert. Die Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Amnesty International kritisierten, dass der Sicherheitsrat den Konflikt nicht schon vorher thematisiert habe. Bislang sei die Reaktion des Gremiums «lächerlich» gewesen, sagte Louis Charbonneau von Human Rights Watch.

Hilfsorganisationen konnten sich nach Angaben des UNHCR in Bangladesch inzwischen einen besseren Überblick verschaffen, indem sie auch abgelegene Dörfer besuchten. So sei es zu erklären, dass die Zahl der geschätzten Flüchtlinge um mehr als 50.000 im Vergleich zum Vortag nach oben korrigiert worden sei. Die Lager seien mehr als voll, und viele Flüchtlinge hätten sich in provisorischen Siedlungen niedergelassen. Öffentliche Gebäude würden nun als Unterkünfte genutzt. Ein erstes Flugzeug habe Hilfsmittel nach Bangladesch gebracht, hieß es aus Genf. Insgesamt 120.000 Flüchtlinge sollten auf diesem Wege Nothilfe bekommen.

In Rakhine konnte seit Wochen keine humanitäre Hilfe geleistet werden, und UN-Mitarbeiter hatten das Land verlassen müssen. Nun lud die Regierung Myanmars das örtliche Rote Kreuz ein, den Behörden bei Hilfsleistungen für Zivilisten zu unterstützen, wie die Organisation mitteilte.

Eine Rohingya-Rebellengruppe hatte am Sonntag eine einmonatige Waffenruhe erklärt und die Regierung aufgerufen, sich anzuschließen, um es Hilfsorganisationen zu ermöglichen, die Opfer zu versorgen. Die jüngste Gewaltwelle hatte am 25. August mit Angriffen der Rebellen auf Polizei- und Militärposten in Rakhine begonnen. Myanmars Armee reagierte nach eigenen Angaben mit einer «Räumungsoperation».

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad al-Hussein, sagte am Montag in Genf, es gebe Satellitenbilder, die zeigten, wie Rohingya-Dörfer niedergebrannt und fliehende Zivilisten erschossen würden. Die Vertreibung der Minderheit sehe aus «wie ein Paradebeispiel für ethnische Säuberungen».

Die Rohingya sind staatenlos, seit das damalige Birma ihnen 1982 die Staatsbürgerschaft aberkannte. Vor der aktuellen Massenflucht waren bereits rund 400.000 von ihnen nach Bangladesch geflohen. Mehr als ein Drittel der in Rakhine verbliebenen Rohingya strömten nach den neuesten Zahlen in weniger als drei Wochen ins Nachbarland.

Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina sagte am Dienstag nach dem Besuch eines Flüchtlingslagers: «Wir können kein Unrecht tolerieren. Myanmar muss seine Leute zurückführen.» Sie forderte die internationale Gemeinschaft auf, Druck auf Myanmar auszuüben, damit das mehrheitlich buddhistische Land die Angehörigen der muslimischen Minderheit als Staatsbürger in ihre Heimat zurücklasse und ihre Sicherheit gewährleiste. Sie sagte aber auch Lebensmittel und Unterkünfte für die Rohingya zu. «Wir werden ihnen weiter zur Seite stehen», obwohl die Lage schwierig sei, erklärte Hasina.

Die Europäische Kommission sagte in einer Mitteilung zusätzliche Hilfe in Höhe von drei Millionen Euro für die Rohingya zu, in Bangladesch und auch in Myanmar - sobald Helfer dort wieder Zugang bekämen. «Die sofortige Wiederherstellung humanitärer Unterstützung im Norden des Bundesstaates Rakhine ist nötig, um eine bereits prekäre humanitäre Situation anzugehen und eine Eskalation der Krise zu vermeiden», sagte demnach der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Christos Stylianides.

In China sagte ein Sprecher des Außenministeriums, das Land verurteile die «gewalttätigen Angriffe» in Rakhine und unterstütze die Bemühungen Myanmars, «Frieden und Stabilität aufrechtzuerhalten». Der Jüdische Weltkongress in New York zeigte sich ebenfalls «zutiefst besorgt» und rief die internationale Gemeinschaft auf, den Schutz der Rohingya sicherzustellen.

Die Regierung von US-Präsident Donald Trump sei «zutiefst besorgt» über die Krise, hatte es am Montag aus dem Weißen Haus geheißen. Man verurteile die Angriffe und die darauf folgende Gewalt. Die Berichte über Menschenrechtsverletzungen seien alarmierend. Die «massive Vertreibung und Schikanierung» von Angehörigen der Rohingya und anderer Minderheiten zeigten, dass die Sicherheitskräfte Myanmars nicht die Zivilgesellschaft schützten. (dpa)

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