Gleichstellungspolitik der kleinen Schritte

Der Islamwissenschaftler Dr. Michael Kiefer berichtet in einem Interview mit Qantara.de über die bisherigen Erfahrungen und Kontroversen seit Einführung des islamischen Religionsunterrichts an deutschen Schulen.

Die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen gehört seit langem zu den Forderungen, die von islamischen Verbänden in Deutschland erhoben werden. Auch von christlicher Seite wird immer wieder auf die Bedeutung hingewiesen, die dem im Grundgesetz verbrieften Recht auf eine religiöse schulische Erziehung zukommt.

Dr. Michel Kiefer, Foto: privat
Bei der inhaltlichen Gestaltung der Curricula für den Islamunterricht gibt es bislang keine Gleichstellung, da den islamischen Verbänden keine Mitspracherechte eingeräumt wurden, so Kiefer

​​Der Schulversuch "Islamkunde in deutscher Sprache", der seit dem Schuljahr 1999/2000 an mittlerweile über 110 Schulen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt wird, bietet einen Einblick in die Kontroversen, die mit der Frage eines islamischen Unterrichts verbunden sind. Eine kürzlich veröffentlichte Studie über den Schulversuch, die von dem Islamwissenschaftler Dr. Michael Kiefer erstellt wurde, fasst diese Konfliktpunkte zusammen.

Herr Kiefer, mit dem Schulversuch in NRW ist das Fach "Islamische Unterweisung" als reguläres, deutschsprachiges Schulfach in den Unterricht aufgenommen worden. Ist der islamische Unterricht damit dem Unterricht der christlichen Konfessionen gleichgestellt?

Michael Kiefer: Die Islamkunde in NRW ist ordentliches Schulfach, das heißt die Leistungen, die die Schülerinnen und Schüler im neuen Fach erbringen, sind versetzungs- und prüfungsrelevant. Auf dieser Ebene ist die Islamkunde dem evangelischen oder katholischen Religionsunterricht faktisch gleichgestellt. Was die inhaltliche Gestaltung der Curricula betrifft, gibt es bislang jedoch keine Gleichstellung. Bei der Entwicklung der Curricula wurde den islamischen Verbänden – konkret dem Zentralrat der Muslime (ZMD) und dem Islamrat - keine Mitspracherechte eingeräumt.

Die Landesregierung vertrat bislang die Position, dass es in NRW auf muslimischer Seite keinen Ansprechpartner gibt, der unstrittig die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt. Den islamischen Verbänden wurde lediglich eine beratende Funktion im Rahmen eines so genannten Beirats zugebilligt. In diesem Kontext ist auch der Hinweis wichtig, dass es sich bei der Islamkunde explizit nicht um Religionsunterricht handelt. Dieser ist nach Art. 7. Absatz 3 GG in Übereinstimmung mit einer Religionsgemeinschaft zu erteilen.

In der Debatte taucht immer wieder die Frage auf, wer auf muslimischer Seite für die Lehrplanentwicklung zuständig sein soll. Welche verschiedenen Varianten stehen hier zur Diskussion?

Kiefer: In der Bundesrepublik gilt hinsichtlich des Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 GG kein einheitlicher Rechtsraum. So hat dieser Artikel z. B. in Bremen und Berlin aufgrund der so genannten "Bremer Klausel" keine Gültigkeit. Dieser Sachverhalt führt in Berlin dazu, dass der islamische Religionsunterricht gegen den ausdrücklichen Willen des Senats unter alleiniger Verantwortung der Religionsgemeinschaft - konkret der Islamischen Föderation durchgeführt wird.

Im Geltungsbereich von Art. 7 Absatz 3 GG, dies sind vor allem die alten Bundesländer, wird der Religionsunterricht immer unter staatlicher Verantwortung durchgeführt. Hier braucht der Staat dann eine Religionsgemeinschaft als Ansprechpartner. Genau an diesem Punkt besteht seit vielen Jahren ein großes Problem. Der Islam ist in der Bundesrepublik sehr heterogen. Dies hängt mit den verschiedenen Herkunftsländern zusammen.

Hinzukommt, dass einige islamische Verbände, die sich in Sachen Religionsunterricht dem Staat als Ansprechpartner anbieten, Mitgliedsorganisationen in Ihren Reihen haben, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Schließlich gibt es auch noch eine Reihe von Strukturmerkmalen, die ich hier nicht näher ausführen will, die eine Organisation erfüllen muss, um als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden.

Bislang vertraten die Länder unisono die Auffassung, dass es keine islamischen Verbände gibt, die man als Religionsgemeinschaft anerkennen kann. Aufgrund dieser Sachlage gibt es in Bezug auf den islamischen Religionsunterricht nur Provisorien. In der Regel sind dies kleine bis mittelgroße Schulversuche, die mit lokalen oder regionalen Zusammenschlüssen von Moscheegemeinden durchgeführt werden. Wie sich das in den einzelnen Bundesländern in den nächsten Jahren weiter entwickelt, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen.

Von muslimischer Seite wird darauf verwiesen, dass ein islamischer Religionsunterricht auch ein Zeichen dafür wäre, dass der Islam in der deutschen Gesellschaft angekommen ist. Schließlich handelt es sich bei Fragen des Islam nicht mehr um ein Migrationsphänomen, sondern um ein Thema aus der Mitte der Gesellschaft selbst. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Einflussnahme beispielsweise des türkischen Staates oder auch der ägyptischen al-Azhar Universität? Inwiefern käme ihnen eine Rolle bei der Lehrplanentwicklung zu?

Kiefer: Damit sprechen Sie einen sehr wichtigen Aspekt an. Der Islam sollte als ein akzeptierter und selbstverständlicher Bestandteil dieser Gesellschaft angesehen werden. Mit dieser Forderung hatte bis vor kurzem vor allem die türkische Seite große Schwierigkeiten. So gab es über einen langen Zeitraum große Vorbehalte der türkischen Religionsbehörde gegen die Unterrichtssprache Deutsch. Insgesamt konnte man sich des Eindruckes nicht erwähren, dass die türkischen Behörden die Entwicklung eines eigenständigen Islams in Deutschland nicht gut heißt.

Mittlerweile hat sich diese Haltung ein wenig geändert. Bei der Lehrplangestaltung in den Bundesländern sollte meines Erachtens der türkische Staat möglichst herausgehalten werden. In der Bundesrepublik gilt das im Grundgesetz festgehaltene Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates. Die Gestaltung der religiösen Inhalte der Curricula sollte man den hiesigen islamischen Gemeinschaften überlassen. Ähnliches gilt auch in Bezug auf die al-Azhar. Überdies glaube ich nicht, dass eine externe Entwicklungshilfe sinnvoll sein kann. Der islamische Religionsunterricht muss auf die Lebensrealität der hier lebenden Schülerinnen und Schüler zugeschnitten sein. Aus Kairo oder Ankara sind in diesem Kontext keine sinnvollen Empfehlungen zu erwarten.

In Ihrer Studie haben Sie auch die Reaktionen der Eltern untersucht. Auffallend an Ihren Ergebnissen ist die hohe Zustimmung der Eltern zum neuen Unterrichtsfach - und die große Skepsis gegenüber einem Einfluss der islamischen Verbände. Welche Konsequenzen hat dieses Ergebnis für die inhaltliche und organisatorische Gestaltung des Schulversuchs in NRW, aber auch für ähnliche Projekte in anderen Bundesländern?

Kiefer: Ob die Ergebnisse meiner Studie im Ministerium zur Kenntnis genommen werden, vermag ich nicht zu sagen. Die Ergebnisse zeigen jedoch ganz klar, dass die Islamkunde, die als Platzhalter für einen ordentlichen islamischen Religionsunterricht konzipiert wurde, da wo sie Angeboten wird, sehr viel Zuspruch von den Eltern erhält. Die Beteiligungswerte der muslimischen Schülerinnen und Schüler lagen in den ersten drei Jahren bei mehr als 75 Prozent.

Dennoch wird es perspektivisch nicht ohne einen Ansprechpartner auf muslimischer Seite weiter gehen können. Im Grundgesetz ist ausdrücklich davon die Rede, dass der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit der Religionsgemeinschaft durchgeführt werden muss. Die Frage lautet nur mit wem? Ein wirklich repräsentativer Ansprechpartner steht derzeit nicht zur Verfügung.

Die bestehenden Verbände vertreten nur eine Minorität der Muslime. Dieser Sachverhalt ist selbstverständlich auch den Eltern bekannt. Ideal wäre es, wenn wir in allen Bundesländern demokratisch gewählte Vertretungen hätten, die die Interessen der hier lebenden Muslime gegenüber dem Staat vertreten. Davon sind wir leider noch weit entfernt. Deswegen müssen wir uns kurz- und mittelfristig auf Interimslösungen einlassen und einstellen. Der große NRW-Schulversuch Islamkunde ist in diesem Kontext als ein sehr erfolgreiches Modell anzusehen.

Eines Ihrer Ergebnisse ist, dass zahlreiche Schüler und Schülerinnen von ihren Eltern sowohl für die islamische Unterweisung als auch für den außerschulischen Koranunterricht der islamischen Vereine angemeldet werden. Während bundesweit geschätzt wird, dass etwa zehn Prozent der Schüler die Koranschulen besuchen, waren es an den von ihnen untersuchten Schulen fast sechzig Prozent. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem neuen Angebot einer islamischen Unterweisung in den Schulen und dem relativ großen Interesse, welches von den Eltern für die Angebote der islamischen Vereine gezeigt wird?

Kiefer: Dieser Sachverhalt lässt sich ganz einfach erklären. Die Umfrage wurde teilweise an Schulen im Duisburger Norden durchgeführt. Hier sind die Moscheevereine traditionell sehr gut verankert. Das ist aber eigentlich nicht das wirklich Interessante an diesem Ergebnis. Vor allem bemerkenswert ist aus meiner Sicht, dass Eltern aus Moscheegemeinden, die der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) und dem Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ) angehören und die oftmals unter Islamismusverdacht stehen, ihre Kinder zu einem offenen und dialogorientierten Islamkunde-Unterricht schicken. Dies geschieht, obwohl die IGMG – Führung und auch der Islamrat sich mehrfach gegen das staatliche Unterrichtsangebot ausgesprochen haben.

Interview: Götz Nordbruch

© Qantara.de 2006

Buch Cover: Michael Kiefer, Islamkunde in deutscher Sprache in Nordrhein-Westfalen, LIT-Verlag

​​Michael Kiefer, Islamkunde in deutscher Sprache in Nordrhein-Westfalen. Kontext, Geschichte, Verlauf und Akzeptanz eines Schulversuchs (Münster: LIT-Verlag, 2005) 250 S.

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