Der gekreuzigte Dialog

Navid Kermani wird ein Preis für den Kulturdialog wieder aberkannt, weil er in einem Essay die christliche Kreuzestheologie kritisch bewertet hat. Dabei sind es Kermanis Kritiker, die sich als dialogunfähig erwiesen haben, so Stefan Weidner in seinem Kommentar.

Navid Kermani als Festtagsredner am 50. Jahrestag der Wiedereröffnung des Burgtheaters in Wien; Foto: dpa
Navid Kermani zählt zu den bekanntesten muslimischen Publizisten in Deutschland und hat besonders mit seinen Sachbüchern unleugbar den christlich-islamischen Dialog bereichert, so Stefan Weidner.

​​ In den letzten Jahren ist in Deutschland viel getan worden für den Dialog mit den Muslimen und für die Einbeziehung des Islams in die politische, gesellschaftliche und kulturelle Landschaft. Die kirchlichen Institutionen, Katholiken und Protestanten gleichermaßen, haben bei dieser Annäherung an die Muslime eine positive Rolle gespielt, ja oft eine Vorreiterrolle innegehabt.

Sie brachten für die religiösen Gefühle der Muslime mehr Verständnis auf als die säkularen Kräfte unserer Gesellschaft, die sich gelegentlich in offener Provokation gegen die Religion gefielen; zuweilen konnte scheinen, als habe ein gläubiger deutscher Christ mit einem gläubigen Muslim (gleich welcher Herkunft) mehr gemein als mit seinen der Religion entfremdeten, ungläubigen Mitbürgern.

Eklat um die Preisverleihung

Doch am Mittwoch, den 13.5.2009, wurden die Beobachter urplötzlich eines besseren belehrt. Im Dialog mit dem Islam zeichnet sich ein Perspektivwechsel ab, und fast sieht es so aus, als ließen gerade die einflussreichsten Vertreter die Kirchen ihre dialogfreundlichen Masken fallen.

Was ist geschehen? Das Bundesland Hessen, mit der Metropole Frankfurt prominent in der Mitte Deutschlands gelegen, wollte seinen mit 45.000 Euro dotierten Kulturpreis in diesem Jahr an Protagonisten des interreligiösen Dialogs vergeben und wählte, nicht gerade einfallsreich, die in Hessen wirkenden offiziellen Vertreter religiöser Institutionen aus: den Mainzer Kardinal Lehmann, den früheren Präsident der evangelischen Kirchen in Hessen, Steinacker, den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Frankfurt, Salomon Korn, und, weil sich ein offizieller Vertreter des Islams offenbar nicht finden ließ, Fuat Sezgin, den Begründer des Instituts für arabisch-islamische Wissenschaften an der Uni Frankfurt, ein herausragender Gelehrter.

Differenzen zur Sprache bringen

Doch der mittlerweile 85jährige Sezgin wollte keinen Preis mit Salomon Korn annehmen, dessen einseitig pro-israelische Äußerungen während des Gaza-Krieges für Sezgin nicht akzeptabel waren. Als Ersatz wurde Navid Kermani gewählt, einundvierzigjähriger deutscher Schriftsteller und Islamwissenschaftler aus iranischer Familie, ein sehr liberaler, sich gleichwohl zu seinem Glauben bekennender Muslim. Auch Kermani hatte Vorbehalte, sowohl gegen Korn als auch gegen den hessischen Ministerpräsidenten Koch, der den Preis vergab. Doch Kermani zog es vor, den Preis anzunehmen und die Differenzen anlässlich der Preisverleihung zur Sprache zu bringen. Doch es sollte anders kommen.

Denn jetzt wollten die Vertreter der beiden christlichen Konfessionen nicht mehr mitmischen und erklärten, sie seien nicht bereit, einen Preis gemeinsam mit Kermani entgegenzunehmen. Lehmann und Steinacker störten sich an einem essayistischen Text Kermanis, in dem er seine Empfindungen angesichts einer Kreuzigungsszene des italienischen Malers Guido Reni (gest. 1642) beschreibt.

Ein Kreuz als Gotteslästerung?

Kermani schildert in seiner Bildbeschreibung, wie er sich von Kreuzen eigentlich abgestoßen fühlt, sie sogar als Gotteslästerung empfindet, dass er sich aber angesichts dieses bewegenden Bildes von Reni doch vorstellen könne, an das Kreuz zu glauben.

Kardinal Lehmann im Würzburger Dom; Foto: AP
Kermanis Äußerungen über das Kreuz Christi seien von einer derart schockierenden religiösen Intoleranz, dass es unmöglich sei, zusammen mit ihm aufzutreten, schrieb Kardinal Lehmann in einem Brief an die hessische Staatskanzlei.

​​ "Für mich aber ist das Kreuz ein Symbol, das ich theologisch nicht akzeptieren kann, (…). Andere mögen glauben, was immer sie wollen; ich weiß es ja nicht besser. Ich jedoch, wenn ich in der Kirche bete, was ich tue, gebe acht, niemals zum Kreuz zu beten. Und nun saß ich vor dem Altarbild Guido Renis in der Kirche San Lorenzo in Lucina und fand den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich - nicht nur: man -, ich könnte an ein Kreuz glauben."

"Hypostasierung des Schmerzes barbarisch"

Wer diesen Text von Kermani unbefangen liest, wird – zumal als Christ – vielleicht anfangs irritiert sein von der drastisch formulierten Ablehnung des Kreuzes; umso positiver wird es ihn aber überraschen, dann das Eingeständnis des Autors zu lesen, dass er "an ein Kreuz glauben könnte".

Weiter schreibt Kermani: "Nebenbei finde ich die Hypostasierung des Schmerzes barbarisch, körperfeindlich, ein Undank gegenüber der Schöpfung, über die wir uns freuen, die wir genießen sollen, auf dass wir den Schöpfer erkennen. Ich kann im Herzen verstehen, warum Judentum und Islam die Kreuzigung ablehnen."

Der Text lebt von diesen beiden dramatisch entgegen gesetzten Empfindungen, er ist eine Inszenierung des Dialogs von Christentum und Islam im Kleinen, keine aus niederen Motiven betriebene Diffamierung, sondern vielmehr eine philosophisch-theologische Meditation.

Für diese literarisch-essayistische Inszenierung des Dialogs und seiner Schwierigkeiten hatten die Vertreter der christlichen Kirchen keinen Sinn. Die doch eigentlich verständliche Ablehnung des Kreuzes durch einen Muslim ist für sie offenbar inakzeptabel. An dieser Stelle könnten wir sagen: Gut, wenn das Ihre Meinung ist, wollen wir diese Meinung respektieren. Nur sollten Sie sich dann bitte so verhalten wie Fuat Sezgin und den Preis ablehnen; Ersatzkandidaten werden sich gewiss finden lassen.

Weg des geringsten Widerstandes

Doch es kam anders: Kardinal Lehmann schrieb einen empörten Brief an den Ministerpräsidenten Koch, in dem er verlangte, dass Kermani der Preis wieder aberkannt werde. Vor die Wahl gestellt, Lehmann und Steinacker zu brüskieren oder Kermani zu opfern, entscheidet sich der hessische Ministerpräsident Koch gegen Kermani – dieser ist ein freier Schriftsteller ohne Amt und Würden, ohne Institution im Hintergrund. Ihn fallen zu lassen, musste dem Büro des Ministerpräsidenten als der Weg des geringsten Widerstands erschienen sein. Doch das war eine Täuschung.

Denn Navid Kermani zählt zu den bekanntesten muslimischen Publizisten in Deutschland; es gibt kaum eine seriöse Tageszeitung oder Rundfunkanstalt, die nicht schon Beiträge von ihm publiziert hat. Er hat Preise bekommen, ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Mitglied der von der Bundesregierung ernannten Deutschen Islamkonferenz und hat besonders mit seinen Sachbüchern unleugbar den christlich-islamischen Dialog bereichert.

Roland Koch; Foto: AP
Kermani fallen zu lassen, musste dem Büro des hessischen Ministerpräsidenten Koch als der Weg des geringsten Widerstands erschienen sein, urteilt Weidner.

​​ Die Antwort des kulturellen Deutschlands auf Lehmanns Brief und Kochs Entscheidung gegen Kermani ist von seltener Einhelligkeit: Kermani hat den Preis verdient, Lehmann, Steinacker, das Land Hessen und sein Ministerpräsident Koch haben sich blamiert.

Die jetzt beschlossene Vertagung der Preisverleihung auf den Herbst zeugt von weiterem Kleinmut. Den Preis in diesem Jahr auszusetzen, wäre die einzige konsequente Reaktion gewesen. Nur hofft man, die Probleme durch private Gespräche ausräumen zu können. Aber wie das, nach allem was passiert ist, noch auf glaubwürdige Weise möglich sein?

Kontroverse Diskussion über das Kreuz in den Kirchen

Lehmann und Steinacker haben sich vor der Öffentlichkeit für den Dialog disqualifiziert. Die große Frage ist nun: Ist ihre Meinung repräsentativ für die katholische und evangelische Kirche in Deutschland? Verabschieden sich die offiziellen Kirchenvertreter aus dem doch lange Zeit scheinbar ernsthaft gepflegten Dialog, nur weil die Muslime sich dazu bekennen, Muslime zu sein und daher das Kreuz ablehnen, ja es vielleicht sogar abstoßend finden? Das wäre eine umso dramatischer Kehrtwende der bisherigen Politik, als in den Kirchen selbst die Bedeutung des Kreuzes kontrovers diskutiert wird.

Geradezu grotesk wäre diese Kehrtwende aber, wenn man in Betracht zieht, wie der Westen den Muslimen brüske Ablehnung zentraler islamischer Glaubenselemente zumutet: in der Verspottung Mohammeds im Karikaturenstreit, in der Schändung des Korans in Guantanamo oder dem Irak, in der alltäglichen Debatten um die Scharia. Wenn die Kirche den Dialog aber jetzt nicht abbrechen will, sollten Lehmann und Steinacker den Gang nach Canossa antreten, ihre Dialogunfähigkeit zugestehen und auf den Preis verzichten.

Auferstehung des Dialogs

Schließlich bleibt zu fragen, wie es sein kann, dass ein Bundesland und ein Ministerpräsident sich zum Weisungsempfänger eines aufgebrachten, des ausgewogenen Urteils offenbar unfähigen Bischofs machen lassen. Die angemessene Reaktion auf Lehmanns Brief hätte darin bestanden, die Kirchenvertreter zum Verzicht auf den Preis aufzufordern, genau so wie Fuat Sezgin verzichtet hat.

Wir lernen daraus: Mit der von uns behaupteten, dem Islam als Vorbild entgegengehaltenen Trennung von Staat und Religion ist es nicht so weit her, wie wir uns gern einbilden. Was aber den Dialog betrifft, so möge der sich ein Vorbild an Jesu Christi nehmen und möglichst bald wieder auferstehen!

Stefan Weidner

© Qantara.de 2009

Stefan Weidner lebt als Autor, Islamwissenschaftler und Übersetzer in Köln. Zuletzt erschien von ihm im Verlag der Weltreligionen das Buch: "Manual für den Kampf der Kulturen. Warum der Islam eine Herausforderung ist."

Qantara.de

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