Islamwissenschaftler Gilles Kepel wirft Politik in Frankreich Versagen vor

Die französische Regierung hat ein Jahr nach den Anschlägen von Paris nach Ansicht des Soziologen Gilles Kepel immer noch keine Rezepte im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus gefunden. "Wir Fachleute werden marginalisiert und ignoriert, stattdessen verschärft man die Rhetorik im Präsidentschaftswahlkampf und übt sich in Aktionismus", sagte Kepel der "Süddeutschen Zeitung" (Mittwoch). "Das ganze Bildungssystem müsste umgestellt werden, wir brauchen Jobs für die postindustrielle Welt, ein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland - nichts davon ist in Sicht."

Am 13. November 2015 verübten Islamisten an fünf verschiedenen Orten in Paris Terroranschläge, bei denen 130 Menschen getötet und über 350 verletzt wurden. Der "Islamische Staat" bekannte sich zu den Taten.

Kepel zufolge steht Frankreich aufgrund dieser und anderer Anschläge inzwischen vor enormen Herausforderungen. Bislang habe sich die Gesellschaft als "ziemlich widerstandsfähig" erwiesen. "Es gab keine Pogrome gegen Muslime. Aber immer mehr Franzosen wählen den rechtsextremen Front National und einen Nationalismus, der sich nur durch Abgrenzung definiert. Und immer mehr Muslime sind es leid, unter Generalverdacht zu stehen, und ziehen sich aus der Gesellschaft zurück."

Dieser "doppelte Rückzug" werde zu einer "großen Belastungsprobe", so Kepel. "In dieser Hinsicht können sich die Salafisten schon die Hände reiben." Der Islamwissenschaftler steht laut eigenen Angaben seit Sommer auf einer "Todesliste" von Islamisten und deswegen unter Polizeischutz - genauso wie inzwischen rund 50 weitere Menschen in Frankreich, darunter Journalisten, Professoren, moderate Muslime, Lehrer und Musiker. (KNA)

Lesen Sie hierzu auch ein Qantara-Interview mit Gilles Kepel