Islamexperte Rauf Ceylan: Deutschland kann zum Ausgleich in der Türkei beitragen

Die Bundesregierung kann nach Ansicht des Islamexperten Rauf Ceylan einen großen Beitrag leisten zum Ausgleich der widerstreitenden Kräfte in der Türkei. Deutschland sei seit Jahrzehnten ein guter Partner des Landes, sagte Ceylan in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst.

Die Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) solle sich auch von den in letzter Zeit schärfer werdenden Tönen aus Ankara nicht abschrecken lassen. "Sie muss diese Beziehungen auch weiterhin pflegen."

Es werde mittel- und langfristig darum gehen, die ausgleichenden Kräfte in der Türkei zu stärken, betonte der stellvertretende Direktor des Instituts für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück. Das Land sei nach dem Putschversuch stark traumatisiert. Auf lange Sicht dürfe Ankara aber die Fehler, die in den 1920er Jahren gemacht worden seien, nicht wiederholen.

Mit der Gründung der Republik Türkei sei die Säkularisierung von oben verordnet worden, erläuterte der Soziologe und Religionspädagoge. Das Regime unter Kemal Atatürk habe mit einer kleinen Elite radikale Reformen gegen den Widerstand der einfachen Bevölkerung durchgesetzt.

Die Religion und ethnische Minderheiten wie die Kurden seien verdrängt worden. Diese Konflikte brächen jetzt wieder auf. Die religiös-konservativen Kräfte hätten damals sehr gelitten und bedrängten nun ihrerseits die liberalen Gruppen.

Darüber hinaus sei es nicht sinnvoll, gerade jetzt vom türkisch-islamischen Verband Ditib in Deutschland eine Abkehr von der türkischen Religionsbehörde Diyanet zu verlangen, kritisierte Ceylan. Bei Diyanet gebe es bereits seit einiger Zeit Reformbestrebungen hinsichtlich einer Privatisierung, die allerdings jetzt erst einmal auf Eis gelegt seien.

"Die Zeit ist dort jetzt nicht reif, um über Reformen zu reden." Die emotional sehr aufgeheizte Stimmung müsse sich zunächst beruhigen.

Es sei aber wichtig, mit Ditib im Gespräch zu bleiben, um auch dort liberale Gruppen zu stärken. "Wer sich jetzt aus Vertragsverhandlungen zurückzieht, muss sich darüber im Klaren sein, dass er genau das nicht tut", sagte der Experte mit Blick auf Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und andere Bundesländer, die den Abschluss von Islamverträgen zunächst zurückgestellt haben.

Ditib-Sprecher Zekeriya Altug habe bewusst gerade jetzt angekündigt, sich langfristig nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten umzusehen. Dabei sollten deutsche Regierungen helfen. (epd)