Eine Frau schließt Ehen - Palästinas kleine Revolution

In der einen Hand den Koran, in der anderen die Personalausweise des jungen Brautpaars erklärt Tahrir Hamad Thaer und Rawan zu Mann und Frau. Es ist eine alltägliche Szene vor dem Scharia-Gericht in Ramallah, bis auf eine frappierende Besonderheit: Erstmals in der palästinensischen Geschichte schließt eine Frau die Ehen. Die 33-jährige Hamad ist die erste islamische Standesbeamtin in den Palästinensergebieten.

Gekleidet in eine schwarze Robe, die Landesfahne über die eine Schulter und das Palästinensertuch über die andere drapiert, symbolisiert die Rechtsgelehrte eine lautlose Revolution in der konservativen Gesellschaft des Westjordanlands. Sie wurde zur bislang einzigen "Mazouna" ernannt und kann damit als muslimische Autoritätsperson Eheverträge beglaubigen und Scheidungen aussprechen. Das gab es in der Arabischen Welt bisher nur vereinzelt in Ägypten und Abu Dhabi.

Das sei der Kultur und nicht der Theologie geschuldet, sagt Hamad lächelnd. "Das einzige, was Frauen an der Ausübung dieser Funktion hindert, ist die patriarchalische Gesellschaft, religiöse oder rechtliche Hürden gibt es nicht". Und sie muss das wissen. Denn die "Mazouna" hat ihr zehnjähriges Studium der Islamwissenschaften mit einem Magister abgeschlossen.

Heiratswilligen Paaren erklärt sie die Besonderheit und bietet ihnen an, sich für einen der vier männlichen "Mazoun" am Scharia-Gericht von Ramallah als Standesbeamten zu entscheiden. In ihrer ersten Woche schloss sie acht Ehen und stieß zweimal auf Ablehnung. "Einer konnte das nicht mal begründen", berichtet Hamad. Aber das sei die Ausnahme. "Die Leute kommen doch her, um ihren Ehevertrag zu beglaubigen. Ob die dritte Unterschrift von eine Mann oder einer Frau ist, stellt für sie kein Problem dar."

Die frischvermählten Thaer und Rawan Schuman sind sogar stolz, dass eine Frau ihre Ehe besiegelte. In den USA lebend, aber palästinensischer Abstammung, wollten sie im Land ihrer Vorfahren getraut werden. "Das ist großartig. Ich bin entschieden für Frauenrechte, und das fördert die Sache der Frauen in Palästina", freut sich die 24-jährige Braut. Der 26-jährige Thaer, ein Zahnarzt, pflichtet begeistert bei: "Die Palästinenser sind tüchtige, respektvolle und gebildete Leute. Es ist eine gute Sache, dass sie sich fortentwickeln, ich unterstütze das."

Vor Tahrir Hamad haben schon drei andere Juristinnen eine Bresche in die männliche Domäne der Gerichtsbarkeit im Westjordanland geschlagen: Sie sind als Richterinnen in Zivilprozessen tätig. Die "Mazouna" kann ihre Stellung aber auch beratend einsetzen, um bei der Aushandlung des Ehevertrags schon im Vorfeld die Rechte der künftigen Braut zu stärken.

So steht in dem Dokument für Tayssir und Faten al-Deik, die sie an diesem Tag als nächstes traut, dass die Braut nach der Heirat zunächst ihre Promotion abschließen und dann eine Arbeitsstelle antreten wird. Und der Vertrag legt fest, dass Faten alleine entscheidet, wenn sie eine berufliche Pause einlegen will. Die stille Revolution schreitet voran. (AFP)